: „Sieben Mohrenköpfe, äh, sechs...“
■ Ungezählte VerkäuferInnen zählen Ungezähltes: Das ist Inventur
Neulich, zwischen den Jahren, im Kaufhaus: Mit der höflichen Frage, ob frau mal vorgreifen dürfe, nimmt die ahnungslose Verbraucherin ein Klopapier- Sixpack aus dem Regal — und erntet damit den bösesten Blick seit Kinski von den beiden vor dem Regal stehenden Verkäufern. „Lager 361, Nummer 13.973, minus eins!“, ruft der eine dem mit Bleistift und Schreibblock bewaffneten Kollegen zu. Um solche Szenen zu vermeiden, bleiben in dieser Zeit von vorneherein so manche Geschäfte einen Vormittag lang „Wegen Inventur geschlossen“.
Nach dem Motto „Einer zählt und einer schreibt“ wird zur Jahreswende jede zum Verkauf stehende Cevapcici-Dose, jede Zahnpastatube und jedes Kondom statistisch erfaßt. Doch selbst wenn vielen Geschäftsleuten eine akute Zahlenallergie und so mancher langgedienten Bürorechenmaschine der sudden death droht, geht es beim Bestattungsunternehmer eher ruhig zu. Während in einem Kaufhaus wie Horten bei der Inventur etwa 200.000 verschiedene Artikel und etwa eine dreiviertel Million einzelner Waren erfaßt werden, zählt der Bestatter höchstens mal bis acht: sechs Särge in der Auslage, zwei auf Lager. Punkt. „Auch der Lagerbestand an Urnen, Decken, Kissen und Hemden ist unerheblich“, erklärt ein Mitarbeiter des Beerdigungsinstitutes „Pietät“. „Das sind Waren, die schnell wiederzubeschaffen sind.“ Und wie sieht es aus mit dem üblichen Schwund, fachsprachlich „Inventurdifferenz“ genannt? „Das kommt bei uns nicht vor.“ Bei Horten sind's zwischen 0,5 und 2,5 Prozent des Umsatzes.
Ob der Fuchs die Gans gestohlen hat, kann die Geflügelzucht Siedler in Blumenthal trotz Inventur nicht so recht feststellen. „Die über 12.000 Legehennen brauchen wir nicht einzeln zu zählen“, sagt eine Angestellte. Da werden einfach nur Listen überprüft. Obwohl hier die fachfrauliche Erklärung der Inventur — „körperliche Erfassung des Warenlagers“ — wirklich mal treffen würde.
Genau definieren muß auch der Bäcker nebenan, was nun eigentlich gezählt werden muß: Trüffel und Kuchen ja, Brot und Croissants nein. Alles, was jeden Tag frisch gebacken wird, fällt raus bei der Inventur. Also: Mohrenköpfe: Neun. Ääh, ich meine acht... Blümchen für Blümchen will von der Floristin erfaßt werden: „Da sehe ich zu, daß ich zum Jahresende wenig Bestand habe — dann muß ich nicht soviel zählen“, sagt Annegret Roskamp von der Blumenbinderei auf den Häfen.
Rund 500 verschiedene Artikel hat Uwe Matthiesen, Inhaber des Fachgeschäftes für Ehehygiene „Las Vegas“ zu zählen. Den größten Anteil nehmen Pornohefte ein. Mit dem Schwund durch Klauerei hat der Sexshop- Inhaber nicht so große Probleme; auch nicht durch Verklemmte, die lieber nicht vorzeigen wollen, was sie nun wirklich mitnehmen: „Wer schon den Mut hat reinzukommen, hat auch den Mut zu bezahlen.“ Susanne Kaiser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen