Zittern, um durchzufallen

■ New Dance Labor: Ein Britta Lieberknecht Workshop auf dem „Tanzboden“ / Ein Probenbericht

Tänzerin

auf Boden,

und noch ne Tänzerin

In einer vegetativ-organischen Abwärts-Spirale: New Dancerinnen im Rhytmus der Synthie-FröscheFoto: Jörg Oberheide

„Ferse! Ferse! Ferse!“ Hochhüpfen, einknicken, Spirale linksrum, der Kopf fällt zur Seite und zieht den Rest Körper hinter sich her. „So, und jetzt geb' ich Euch die Frösche.“ Britta Lieberknecht schmeißt den Cassettenrekorder an, fernes Zirpen und unorganisiertes synthetisches Quaken geben den Takt vor, in dem sich fünf junge Damen barfuß in Leggins und Sweatshirt bewegen. Auf dem „Tanzboden“ in der Grundstraße arbeitet die New- Dance-Fachfrau Britta Lieberknecht mit ihren schwitzenden Elevinnen an einem choreografischen Experiment. Frau Lieberknecht spricht lieber von „Labor“ und „Recherche“.

Es geht um Tanz pur. Es gibt keine Geschichte zu erzählen. Ein Quartett springt synchron durch den Raum, klumpt zusammen, stiebt auseinander, plötzlich laufen die Handlungen im Kanon hintereinader her. Urtiere trotten im Kreis, die Tänzerinnen fliegen

hoch und klappen zusammen wie ein Taschenmesser. Aber viiiel eleganter. „Gut durchgefallen!“ bedeutet in diesem Zusammenhang ein Lob: der Bewegungsablauf wurde nicht durch Denken gestört und geschah flott. Keine Story, aber eine Atmosphäre: vegetativ-organisch, zuckende Insektenleiber, winkende Wasserpflanzen, sich öffnende und schließende Blüten.

Zu einem ordentlichen Tanzstudio gehören eine Barre, das Holzgeländer für einbeinige Übungen, und ein riesiger Spiegel. Über der Barre hängt die umfangreiche Wintergarderobe, der Spiegel ist verhängt. „Mit Spiegel könnten wir nicht arbeiten,“ sagt Britta Lieberknecht; Selbstkontrolle läuft hier über „Kinästhetik“, über das Gefühl für die Bewegung, die der Körper vollzieht. Die Augen kontrollieren nicht, sie tanzen mit, ob der Blick unfokussiert schweift oder fixiert. Eine Kontrollmöglichkeit bietet

eher die gern und reichlich benutzte Videokamera.

Die Fünf, 25 bis 36 Jahre alt, sind einschlägige Halb- und Viertelprofis, die sich bei einem Lieberknecht-Workshop vor einem Jahr kennengelernt haben. Eine macht Kindertheater, eine klassischen Tanz am Theater, eine ist Sportlehrerin, die anderen machen Tanz-Performances bzw. New Dance. Britta Lieberknecht gefiel die Gruppe damals so gut, daß sie sie zu einem „New Dance Labor“ einlud: in 19 Tagen werden jetzt sowohl eine Gruppen

choreografie als auch Solochoreografien einstudiert. Letztere verantwortet jede einzelne selbst. So kann das Publikum, das zu einer Art Werkstatt-Einblick am Ende des Workshops eingeladen wird, Solostil und das Verhalten im Ensemble miteinander vergleichen.

„Quälübungen“, stöhnen die Tänzerinnen: Auf dem Rücken liegend, kreisen die nach oben geöffneten Hände endlos lang über dem Boden. Schließlich beginnen ganze Muskelpartien im Brustbereich zu zittern. Mit diesen Übungen „werden Brustkorb und Arme voneinander getrennt,“ erläutert die Lehrerin. Eine hohe Kunst, die Britta Lieberknecht beherrscht; besonders groß ist der Abstand zu ihren Schülerinnen, was das Eigenleben des Beckens angeht: Was landläufig mit dem Rücken verwachsen, ist bei derLieberknecht ein eigener Körperteil.

Nach den Übungen fällt das „Durchfallen“ leichter, präzise Aktion dagegen schwerer. „Meine Choreografie betont den Umgang mit der Schwerkraft und geht über die lineare Arbeit des klassischen Tanzes hinaus.“ Fernöstliche „Ki“-Techniken bezieht sie mit ein, Kontakt-Improvisation und Erfahrungen des „klassischen“ New Dance. Britta Lieberknecht (31), die in Bremen den New Dance in Workshops und eigenen Shows vertritt, hat als Jugendliche eine klassische Tanzausbildung absolviert, dann alle möglichen neuen Tanzrichtungen probiert, in Polen Grotowskis „Armes Theater“ kennengelernt und zweieinhalb Jahre im Zentrum des modernen Tanzes, in New York gelebt und gelernt.

Seit 1986 hat sie das Studio beim Freiraum-Theater und betreibt ihre „Recherchen“. Sie lobt die Bremer Tanzszene als „rege Amateurszene mit Tendenz zum Profibereich“. Um mehr Ideen, besonders aus dem Ausland, nach Bremen zu holen, hat sie kürzlich mit zwei Kollegen eine städteübergreifende Tanzproduktions- Firma namens „Mammut“ gegründet.

Burkhard Straßmann

New Dance Labor: Werkstattaufführung des dreiwöchigen Projekts am 10. und 11. Januar, 20.30 Uhr, Grundstraße 3.