Älter ego Von Walter Glatt

Ein neues Jahr ist angebrochen. Und was wünschen wir uns? Wir, die wir 37 geworden sind oder es demnächst werden? Klaro: nicht mehr altern! Alle 37jährigen wollen es „lieber nicht mehr“. Frauen sogar noch früher. Warum das so ist, weiß niemand genau; doch in dieser Lebensspanne, soviel steht fest, gerät so mancher von uns unter das erbarmungslose Joch der Autogerontophobie, der Angst vor dem eigenen Altern. Als klassische Kopf- und Gesellschaftskrankheit entwickelt sie beim Befallenen große Ängste, die die weitere Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen können, Leistungsfähigkeit und Motivation oftmals schrumpeln lassen. Dies wiederum verstärkt die bereits vorhandenen Ängste. Ein Teufelskreis beginnt, der einige angeblich direkt in die Midlife-Crisis schleudern soll. Sicher, während die Spuren des Alterns Männer vielfach erst erblühen lassen, weil man sie dann endlich mal als solche erkennt, sind Frauen in der Regel ziemlich angeschmiert. Jung und faltenlos bleibt in. Da eilt man schon mal besorgt zur Kosmetikberatung, erkennt dort mit Schrecken den eigenen „zur Fältchenbildung neigenden Hauttyp“, erfährt mit Grauen, daß „Gesichtsmuskeln sich auch im Schlaf keineswegs entspannen, sondern ununterbrochen aktiv sind“ und muß hören, daß Schlaffalten „von Ihrem Teint leider besonders gut aufgenommen werden“. Panische Folge: Antifaltenpflaster, Overnight-Intensity-Kur, sündhaft teure Cremes, die sich angeblich „auf den Nachtplan der Haut einstellen“, Masken in allen Farb- und Folterstufen, Halswickel, Faltenkillerkissen und Liposomenkombi.

Aber alles für die Katz. Man sieht's ja doch! Ist noch nicht mal ein richtiger Placeboeffekt im Kosmetikpaket, denn die Angst pocht natürlich weiter unter der 13-mm-Aktivmaske mit Ceramid und Micellen- Kügelchen. Da haben die Frauen ein hartes Päckchen zu tragen, zweifellos. Doch leiden sie auch, rein physisch gesehen, so sehr wie die Männer? Ein Freund meinte letztens in der Sauna, „Schwitzen hin oder her, irgendwie spüre ich bald jedes Zipperlein, eh“. Wütend beobachtete ein Teil meiner selbst, wie der andere mitleidheischend nickte und die Sache mit den lächerlichen Magenbeschwerden letztens wichtigtuerisch breitzutreten begann. „Ja früher“, sagte jemand mit meiner Stimme, „da hätten wir so ein Magendrücken mit ein paar Flaschen Chivas korrekt herausgefräst“. „Und wären dann einen heben gegangen“, pflichtete der andere Idiot bei.

In dieser Nacht träumte ich erstmals in meinem Leben von diesem weißen Sanatorium, in dem ich mit dem grünen Schlitzhemd für Schwerkranke stets auf einem endlosen Gang entlangtippele und „I'm singing in the rain“ summe.

Seither hat sich mein Zustand etwas verschlechtert. Es sind diese dummen rheumatischen Beschwerden hinzugekommen, die ich früher nicht einmal bemerkt hätte. Und heute denke ich manchmal, ab wann es eigentlich normal wirkt, wenn jemand mit 'nem Stock rumläuft. Vor allem aber: diese juvenilen Trotzschübe, die einen jetzt immer häufiger befallen. Sie zu überleben, wird zusehends schwierig. Der letzte Vorfall ereignete sich am 31.12. Er war überraschend stark und in der Folge äußerst schmerzhaft. Seitdem sitze ich hier in meinem Lieblingssessel, mit großen Schmerzen und viel Eis und beneide meine Gazelle von Gattin. Wie sie von Aufgabe zu Aufgabe springt, so als hätte es den Silvesterabend nie gegeben.