INTERVIEW
: „Der Krieg in Kroatien ist eine Aggression Serbiens und kein ethnischer Konflikt“

■ Savka Dabcevic-Kucar ist die profilierteste und populärste Oppositionspolitikerin in Kroatien und könnte bei Präsidentschaftswahlen den jetzigen Präsidenten Tudjman schlagen

Savka Dabcevic-Kucar, Vorsitzende der kroatischen Oppositionspartei „Hrvatska Narodna Stranka“ (Kroatische Volkspartei), war eine der Leitfiguren des sogenannten „Kroatischen Frühlings“ im Jahre 1971, einer Massenbewegung, die eine größere nationale Autonomie für Kroatien innerhalb des jugoslawischen Staatenbundes anstrebte. Sie wurde von Tito kaltgestellt und war lange Jahre aus der Politik verbannt. Heute stellt ihre Partei einen Minister im neuen „Kabinett der nationalen Einheit“ Franjo Tudjmans.

taz: Frau Dabcevic-Kucar, wie sehen Sie das Problem der Truppen der Vereinten Nationen in Kroatien? Wo sollten Ihres Erachtens UN-Friedenstruppen in Ihrem Land stationiert werden, und wie soll ihrer Meinung nach der Rückzug der Armee aus den bislang besetzten Gebieten vonstatten gehen?

Savka Dabcevic-Kucar: Die Bedingungen über den Einsatz von Blauhelmen sollten vorab klar definiert werden. Sie müßten erstens an den Grenzen Kroatiens zu Bosnien-Herzegowina und Serbien stationiert werden, um weitere Angriffe von diesen Republiken aus zu verhindern. Zweitens müßten auf dem von Blauhelmen kontrollierten Territorium die dort jetzt operierenden terroristischen Verbände vollständig entwaffnet werden. Drittens müßte es der Einsatz der UN-Truppen ermöglichen, daß die Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückkehren können, aus der sie vertrieben wurden. Ich halte diese drei Bedingungen für außerordentlich wichtig, weiß aber nicht, ob die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates über die Entsendung von Blauhelmen in diesem Sinne getroffen wird. Standpunkt unserer Partei ist es, daß zunächst die Souveränität Kroatiens anerkannt und dann erst Blauhelme an die Grenzen gestellt werden sollten, um den Waffenstillstand zu sichern und weitere Aggression zu verhindern. Die Anerkennung der Souveränität Kroatiens offenbart den Charakter der jugoslawischen Bundesarmee als Aggressor, und darüber hinaus beseitigt sie die Illusion, daß es sich bei dem Krieg in Kroatien um ethnische Auseinandersetzungen handelt.

Was halten Sie von der Politik der EG, vor allem in den letzten paar Wochen, in denen sich der Krieg dramatisch verschärft hat?

Bei der Einschätzung der Möglichkeiten Europas und der Welt sollte man sehr realistisch sein. Wie Sie gesehen haben, kamen mit europäischer Hilfe bereits 14 Waffenstillstände zustande, die letztlich leider nur dem Aggressor dienten. Alle Prinzipien, für die sich die demokratische Öffentlichkeit Europas ausgesprochen hat, sind auf unserer Seite: das der Selbstbestimmung, der Demokratie und der Verteidigung gegen eine Aggression. Dennoch reagierte Europa ziemlich spät. Es wurde lange Zeit nicht verstanden, daß es sich bei dem Krieg in Kroatien um eine Aggression Serbiens und ihrer Armee und nicht um ethnische Auseinandersetzungen handelt.

Die Frage für die westlichen Staaten war auch, welche Rechte den Serben in Kroatien gegeben werden sollen und ob den serbischen Gebieten in Kroatien ein Sonderstatus engeräumt werden soll.

Über das Problem der Serben in Kroatien kann man reden, es läßt sich aber in keinem Fall durch territoriale Eingriffe lösen. Zur Illustration ein paar Daten: In Kroatien gibt es in elf von 119 Bezirken eine serbische Mehrheit. Diese Bezirke erstrecken sich über ein ziemlich großes Gebiet, auf dem jedoch nur etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung Kroatiens und nur ein Viertel der serbischen Bevölkerung in Kroatien leben, überdies hat es keine Grenzen mit Serbien. Nehmen wir also einmal an, daß diese elf Bezirke sowie neun weitere Bezirke in Westslawonien, auf die Serbien territoriale Ansprüche erhebt, an Serbien gehen, dann würde es damit ungefähr 230.000 (233.500) Serben und zugleich über 300.000 Kroaten hinzubekommen! Damit würden aber noch immer 300.000 Serben außerhalb Serbiens, das heißt auf dem restlichen Territorium Kroatiens verbleiben. Offensichtlich führt Serbien diesen Krieg nicht, um das Minderheitenproblem zu lösen — Serbien führt diesen Krieg, um territoriale Ansprüche durchzusetzen. Man darf nicht vergessen, daß Serbien sich als Verteidiger von Minderheitenrechten nicht eben qualifiziert hat. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, daß für die Albaner im Kosovo die Menschen- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt wurden, ebenso wie für die Moslems im Sandžak und die Ungarn und Kroaten in der Vojvodina. Das Minderheitenproblem kann nur mit demokratischen Mitteln gelöst werden, nicht mit territorialen Eingriffen. Die Verfassung Kroatiens garantiert allen Bürgern unabhängig von ihrer Nationalität gleiche Rechte und für die Minderheiten zusätzlich Sonderrechte. Diese Sonderrechte müssen Standards und Normen erfüllen, die für Minderheiten in allen europäischen Ländern gelten — nicht mehr und nicht weniger. Es sollte hier keine besondere politische Autonomie geben, sondern eine Kulturautonomie — das Recht auf die eigene Kultur, Sprache und Schrift — mit der Möglichkeit einer größeren lokalen Autonomie.

„Wir garantieren wie die Regierung die Rechte der serbischen Minderheit“

Die Vorleistungen, die Kroatien jetzt erbringt, werden auf Serbien zurückschlagen, für den Fall, daß es ebenfalls die Anerkennung der Souveränität beantragen sollte, Minderheitenrechte in Serbien müssen gewahrt werden.

Ja, ohne Frage. Wir garantieren den Serben in Kroatien Minderheitenrechte nicht deshalb, weil sie dies fordern, sondern wir garantieren ihnen diese Rechte, weil sie ihnen zustehen, wenn wir ein demokratischer Staat sein wollen. Überall in solchen Staaten hätten sie diese Rechte. Wir haben Interesse an der Situation der Minderheiten in Serbien und in allen anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawien. Wir meinen, daß überall dieselben Normen und Rechte wie in Europa gelten sollten — also auch in Serbien, falls es eines Tages als ein demokratisches Land innerhalb Europas anerkannt werden will. Sie wissen vielleicht, daß einst Teile des jetzt serbischen Territoriums in der Vojvodina zu Kroatien gehörten. Wir erheben dies nicht zu einer Frage, weil sich das Minderheitenproblem nicht mit der Änderung von Grenzen lösen läßt. Was realpolitisch möglich und pragmatisch gerechtfertigt ist, findet sich in der Helsinki-Deklaration— das heißt keine Änderungen bei den inneren Grenzen.

Neuwahlen erst, wenn die Souveränität territoriale Integrität erreicht hat

Bald sollen in Kroatien Neuwahlen ausgeschrieben werden. Wie sehen Sie die Entwicklung hin zur inneren Demokratisierung in Ihrem Land, zumal die Kritik an Präsident Tudjman sich verschärft hat?

Wahlen können erst dann stattfinden, wenn Kroatien die faktische Souveränität auf ihrem gesamten Territorium erreicht hat. Und das wird leider sicher noch eine Weile dauern. Demokratie ist den Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung unterworfen. Obwohl sich die Demokratie bei uns noch in den Kinderschuhen befindet, denke ich, daß wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Unsere Partei verlangt eine weitere Stärkung der Demokratie: größere Einflußmöglichkeiten des Parlaments, eine strenge Trennung von Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, stärkere Betonung der demokratischen Kräfte in der Gesellschaft — einschließlich der außerparlamentarischen Opposition —, Presse- und Rundfunkfreiheit sowie die Stärkung aller Elemente, die ein Rechtsstaat aufweisen sollte.

Was halten Sie vom jetzigen Wahlsystem? Sollte es geändert werden?

Wir meinen, daß das heutige Wahlgesetz nicht das Beste ist. Ein neues Wahlgesetz ist in Vorbereitung.

1971 waren Sie eine Leitfigur des „Kroatischen Frühlings“, die „Königin Kroatiens“, eine Art kroatische Dubcek. 1972 wurden Sie dann von ihren Gegnern als „Ustascha“ bezeichnet.

Wir haben damals viele Fragen aufgeworfen, die erst heute richtig zum Tragen kommen. Ich bin schon damals für stärkere politische und wirtschaftliche Rechte Kroatiens eingetreten, aber ich dachte, daß es möglich sei, dieses Problem im Rahmen eines geeinten Jugoslawien zu lösen. Zweitens glaubte ich damals, daß eine Demokratisierung der Gesellschaft notwendig sei und man die Konfrontation mit Andersdenkenden auf der Ebene politischer Auseinandersetzung und nicht durch polizeiliche Maßnahmen suchen sollte. Drittens dachte ich, daß es notwendig sei, ein freies Unternehmertum, Privateigentum und Konkurrenz zu entwickeln — was sich im Rahmen der sozialistischen Eigentumsverhältnisse als unmöglich erwiesen hat. Jeder der drei Punkte läuft eigentlich darauf hinaus, das bolschewistisch-totalitaristische System zu zerstören. Dies hatte natürlich zur Folge, daß ich entfernt wurde, und zwar, wie es in solchen Gesellschaften üblich war, ziemlich brutal entfernt wurde. Heute werden wieder ähnliche Forderungen gestellt, doch die internationale politische Situation ist hierfür ungleich günstiger. Damals war die Zeit des kalten Krieges, die Breschnew-Doktrin der begrenzten Soveränität und einer starken kommunistischen Partei im Land. Heute herrschen andere Bedingungen. Jugoslawien gibt es praktisch nicht mehr, der Totalitarismus in Osteuropa ist zusammengebrochen, Europa tendiert zur Vereinigung, das Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten hat sich geändert. Heute sehe ich eine Situation, die die Erfüllung dieser jetzt nach 20 Jahren radikalisierten Ideale ermöglicht.

Welche politischen Fehler hat ihrer Meinung nach die kroatische Regierung unter Tudjman gemacht?

Wissen Sie, unsere Partei ist in der Opposition, stellt sich jedoch angesichts der heutigen Situation hinter die Ziele der Regierung: die Anerkennung der Souveränität Kroatiens und ihrer territorialen Integrität beziehungsweise die Stärkung des Widerstandes im kroatischen Volk gegenüber dem Aggressor. Darin sind sich, glaube ich, unabhängig von der Parteizugehörigkeit alle einig. Trotz der schwierigen Lage, in der wir uns befinden, dürfen jedoch die Bemühungen für eine wirklich demokratische Gesellschaft nicht nachlassen. Unsere Partei hat bei vielen Punkten Kritik geltend gemacht: etwas, was den Aufbau der kroatischen Verteidigung betrifft — mit dem viel früher hätte begonnen werden müssen —, in Fragen der Wirtschaftspolitik, der Entwicklung und Festigung der Demokratie und so weiter. Wir haben ein politisches, ein Wirtschafts- und ein Sozialprogramm.

Die Legitimität und der demokratische Charakter der vorausgehenden Wahl stehen außer Frage. Selbstverständlich. Wahlen demokratisch zu gewinnen, ist eines, ein Land demokratisch zu regieren, ein anderes.

Der Faschismus hat sich überlebt und hat heute in Kroatien keine Chance mehr

Wie stark schätzen Sie die Gefahr des Rechtsextremismus ein? Wie stehen Sie zur Verhaftung von Dobrislav Paraga (der nach der Anerkennung Kroatiens durch Deutschland freigelassen wurde, Anm. der Red.), des Vorsitzenden der rechtsradikalen „Stranka Prava“?

Ich bin weder mit den Stellungnahmen Herrn Paragas einverstanden, noch bin ich ein Anhänger seiner Ideologie. In vielen demokratischen Ländern gibt es rechte beziehungsweise ultraextreme Parteien und Meinungen. Trotzdem sind diese Länder nicht weniger demokratisch. Eine ganz andere Frage ist die Existenz von Parteien innerhalb der Armee. Die Armee muß eine Staatsarmee sein, in der keine Parteien existieren. Das wäre zu gefährlich. Ich denke aber nicht, daß in Kroatien eine große Gefahr besteht, daß es zum Faschismus kommt. Der Faschismus ist unter den gegenwärtigen Bedingungen antihistorisch, deshalb hat er keine große Chance. Das Interview wurde im Dezember von Gerd

Busse, Carol Fiedler und Erich Rathfelder geführt