Gründerboom aus dunklen Quellen

Bei der „kleinen Privatisierung“ in der CSFR werden Betriebe meist mit schmutzigem Geld ersteigert  ■ Aus Prag Sabine Herre

Seit einem Jahr gehört eine besondere Nutzung öffentlicher Gebäude zum Alltag der Tschechoslowakei: An jedem Wochenende verwandeln sich Sitzungssäle der Rathäuser, Kinos und Theater in Auktionshallen. Auf den auf lokaler Basis organisierten Auktionen können Bürger aus Prag und Bratislava, dem Böhmerwald und der Hohen Tatra Zeitungskioske, Gemüseläden, Restaurants und Hotels ersteigern.

Seit im Januar 1991 mit der „kleinen Privatisierung“ der Umbau des Wirtschaftssystems begann, sind im ganzen Land über 19.000 staatliche Dienstleistungsbetriebe auf diese Weise verkauft worden. Der Erlös von 22 Milliarden Kronen (rund 1,3 Milliarden Mark) floß in die Staatskassen.

Doch die scheinbare Routine trügt. Hinter den Kulissen der Auktionssäle gärt es; die langsame, aber stetig fortschreitende Veränderung der Besitzverhältnisse wird von der Öffentlichkeit mit immer größerem Mißtrauen verfolgt. Und dies nicht ohne Grund: Bereits vor den ersten Versteigerungen überlegten nicht nur Tschechen und Slowaken, deren Durchschnittseinkommen bei 3.500 Kronen liegt, sondern auch Finanzminister Vaclav Klaus, woher das Kapital für den Erwerb der nahezu 100.000 staatlichen Kleinbetriebe eigentlich kommt. In Verbindung mit der restriktiven Geldpolitik der Regierung gewährten die Banken nur sehr zögernd Kredite; ausländischen Interessenten war aus Furcht vor einem „Ausverkauf des nationalen Reichtums“ die Beteiligung per Gesetz verwehrt worden. Ein Jahr danach ist klar: Gesteigert wird in erster Linie mit sogenanntem „schmutzigem Geld“ — Geld also, das Schwarzhändler, Geldwechsler, Leiter von Restaurants, Fleisch- und Obstgeschäften durch undurchsichtige Machenschaften in den Zeiten den realsozialistischen Systems erwirtschafteten. Durch den Verkauf von Mangelwaren etwa ließ sich gut verdienen; andere hatten ihre Reichtümer aus den Pfründen der früheren Nomenklatura gesichert. Daß sich wahre Schätze aus dunklen Quellen auftürmen ließen, belegen die Auktionsergebnisse: So gelang es etwa einem ehemaligen Händler, innerhalb weniger Wochen 24 Objekte im Gesamtwert von 3,6 Millionen Kronen zu ersteigern. Auch der Ausschluß von Ausländern führt regelmäßig zu Mißbräuchen: Die Geschäfte werden über Strohmänner abgewickelt.

Zunächst hatte der monetaristische Finanzminister trotz immer heftiger werdender politischer Kontroversen gegen das „schmutzige Geld“ nichts einzuwenden. Geld sei Geld; eine Kontrolle, woher es komme, sei nicht möglich und zudem schädlich, weil sie viele Investoren abschrecken würde. Und: Hatten nicht all diese Jungunternehmer bereits im alten System ihr Wirtschaftsgeschick bewiesen? Nun würden sie ihren Beitrag zum schnelleren Aufbau der Marktwirtschaft leisten.

Inzwischen jedoch muß auch Klaus eingestehen, daß die ehemaligen Mangelverwalter die Gründung konkurrierender Unternehmen und damit die Entstehung des vielbeschworenen „freien Marktes“ eher behindern. Immer deutlicher treten die neuen Machenschaften der „alten Strukturen“ zutage. Da gibt es zunächst eine fast legale Form des Betrugs. Die bisherigen Leiter eines Staatsbetriebes geben an die Privatisierungsministerien falsche Angaben über Umsatz und Gewinn weiter. Die Folge: Der Laden wird „unter Wert“ versteigert und fällt nicht selten an den ehemaligen Leiter. Eine andere Variante: Geschäftsführer gliedern aus nahezu bankrotten Unternehmen die besten Betriebsteile aus und ersteigern diese als Privatbesitz — um den maroden Rest muß sich dann der Staat kümmern.

Ersteigert, aber nicht bezahlt wurden zahlreiche Geschäfte und Restaurants. Die Leiter wollten so die tatsächliche Privatisierung hinauszögern. Bis die Behörden herausfinden, daß für ein Objekt nicht ordnungsgemäß bezahlt worden ist, können Monate vergehen. In dieser Zeit wirtschaften die Besitzer in die eigene Tasche; wiederholt wurde die gesamte Einrichtung verkauft. Dies wird durch die Tatsache erleichtert, daß rund drei Viertel der Verkäufe lediglich Mobiliar, Lagerbestände, das Recht auf Gewerbetätigkeit und Pachtverträge für die Räumlichkeiten umfassen, nicht aber den Kauf der Immobilien. Oft wird schon die Versteigerung verzögert, indem Geschäftsführer ihre Mitarbeiter veranlassen, sich als Besitzer der Immobilien, in dem die Geschäfte untergebracht sind, zu melden und dessen Rückgabe zu fordern. Da in der CSFR entsprechend dem sogenannten Restitutionsgesetz Tausende Häuser an die nach der kommunistischen Machtübernahme enteigneten ehemaligen Eigentümer zurückgeben werden müssen, ziehen bei der Überprüfung dieser Forderung ebenfalls Monate ins Land.

In letzter Zeit erscheint immer häufiger die Polizei in den Auktionssälen. Der Grund: „Echte“ Kaufinteressenten werden von „unechten“ Preistreibern erpreßt. „Wenn Du uns nicht 50.000 Kronen zahlst, steigern wir mit, treiben den Preis deines Objektes in die Höhe“, so lauten die Drohungen. Wollen die Schwarzhändler dagegen tatsächlich selbst ein Objekt ersteigern, werden die Mitkonkurrenten unter Androhung von Gewalt am Mitsteigern gehindert. Wiederholt sollen Taxifahrergangs den Zugang zu den Auktionsräumen versperrt haben. Dieses Treiben haben auch die „Holländischen Versteigerungen“ unterstützt: Meldet sich zum Ausrufspreis kein Käufer, kann der Objektwert bis auf 20 Prozent des Ausrufswerts sinken.

Wieviel Geld bisher an der Staatskasse vorbei in andere Taschen geflossen ist, läßt sich kaum abschätzen. Doch ist man auf den Ministerien emsig damit beschäftigt, den Spekulanten das Handwerk zu legen. Für ersteigerte, aber nicht bezahlte Objekte müssen Strafen von bis zu 30 Prozent der Verkaufssumme gezahlt werden; für falsche Betriebsangaben können bis zu 200.000 Kronen Strafe verlangt werden. Zu einer völlig neuen Methode griff auch der slowakische Privatisierungsminister Roman Zitny. In der Rolle eines Schwarzhändlers verfolgte er bei einer Auktion unerkannt und unverdächtigt die Erpressungsversuche seiner „Kollegen“. Als er genug Beweise gesammelt hatte, schritt er ein. Die Versteigerung wurde abgebrochen.