Konsens für RAF-Haftentlassungen

Justizminister Kinkel will acht Gefangene der Rote Armee Fraktion freilassen/ Konsens unter den Sicherheitsbehörden/ Parteipolitischer Streit gefährdet die Initiative  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Der parteipolitische Streit um die unter Federführung von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) geplante vorzeitige Entlassung mehrerer RAF-Gefangener ist gestern voll entbrannt. Der innenpolitische Sprecher der Bonner Unionsfraktionen, Johannes Gerster, warnte nach Bekanntwerden der geplanten Freilassungen postwendend vor „Signalen, die als Erpreßbarkeit des Staates aufgefaßt werden könnten“.

Im krassen Gegensatz zu den Experten im Bundesjustizministerium, im Innenministerium wie auch in den Verfassungsschutzbehörden und der Generalbundesanwaltschaft behauptete Gerster, es sei unlogisch zu erwarten, daß eine Haftentlassung der zum Teil schwer erkrankten RAF- Gefangenen eine „befriedigende Wirkung“ auf die aktive RAF-Szene ausüben könnte. Werde einer der RAF-Gefangenen ohne vorherige Reue oder Abkehr von seinen Tatmotiven entlassen, „sieht sich die Szene erst recht ermutigt“. Für die Union, so Gerster, komme ein „Bonus für Terroristen“ nicht in Frage.

Im Gegensatz dazu argumentierte der FDP-Rechtsexperte Burkhard Hirsch. Zum einen bestätigte er, daß bereits seit Monaten Gespräche darüber geführt werden, „ob einige Terroristen der Rote Armee Fraktion, die seit Jahren in Haft und schwer erkrankt sind, entlassen werden sollen“. Zum anderen vertrat er die Auffassung, „daß beim Strafvollzug Terroristen ebenso behandelt werden müssen wie andere Straftäter auch“. Die gesetzliche Bestimmung, wonach bei lebenslänglich Verurteilten nach 15 Jahren Haft die Möglichkeit einer Haftentlassung auf Bewährung geprüft werden müsse, „sollte bei Terroristen ebenso angewendet werden, wie die Frage geklärt werden sollte, ob aus gesundheitlichen Gründen eine vorzeitige Entlassung in Frage kommt oder nicht“. Das Justizministerium war gestern bemüht, die entflammte Diskussion in Griff zu bekommen und kleinzukochen. Der Bericht des Magazins 'Stern‘, der die Debatte entfachte, wurde weder bestätigt noch dementiert.

Im Hintergrund der vom 'Stern‘ beschriebenen Absicht, bis zu acht der RAF-Gefangenen noch in diesem Jahr aus den Gefängnissen zu entlassen, steht ein Beschluß der Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung (KGT). Die aus den Vertretern des Justizministeriums, des Innenressorts, der Bundesanwaltschaft, des Kölner Verfassungsschutzamtes und des Bundeskriminalamtes zusammengesetzten KGT hatten die Haftentlassung befürwortet und anschließend auf politischer Ebene eingebracht. Treibendes Motiv ist dabei das anhaltende Fahndungsdefizit im Terrorismusbereich und der Versuch, die Aktiven der RAF über eine politische Lösung zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bringen. Der KGT-Beschluß wurde auch von Bundesjustizminister Kinkel auf einer Tagung der Justizminister der Länder vorgestellt. Die Initiatoren haben sich auch der „Duldung“ durch das Kanzleramt versichert. Die Initiative wurde zudem in den letzten Monaten auch mit den zuständigen Vertretern der Ländern abgesprochen — bis auf Bayern versprachen alle mitzuziehen.

Der abgesprochene „Grundkonsens“ unter den Sicherheitsbehörden wird auch in Reihen des Verfassungsschutzes bestätigt. Mit der vorzeitigen Veröffentlichung der Initiative ist man dort allerdings reichlich unglücklich. Die Verfassungsschützer mußten beipielsweise in der von ihnen befürworteten Kleingruppenzusammenlegung für die RAF-Gefangenen die Erfahrung machen, daß politische Initiativen „in dem Augenblick tot sind“, in dem sie als umstrittene Maßnahmen „in die politische Landschaft gegeben werden“.

Insbesondere wird auch darauf verwiesen, daß die geplanten Freilassungen auch der Zustimmung der RAF-Gefangenen bedürfen. Im Gegensatz zum öffentlich entstandenen Eindruck sei die Umsetzung der Initiative „alles andere als soweit gediehen“. Es gebe allerdings keinen Grund für Befürchtungen, daß das Innen- oder Justizministerium nun ihre bisherige Position aufgeben könnten. Notwendig wäre jetzt ein Signal der Rechtsanwälte der Gefangenen, wie aus ihrer Sicht das weitere Verfahren verlaufen sollte.

Den Anwälten war die Tragweite der geplanten Initiative bislang nicht vermittelt worden. Mögliche Haftentlassungen waren bisher nur in Einzelfällen in Aussicht gestellt worden. Sollte eine Freilassung beispielsweise nicht mehr an ein „Abschwören“ gekoppelt werden, urteilte einer der Rechtsanwälte, „dann wäre das in der Tat etwas Neues“.