„Die alte antifaschistische Keule geschwungen“

■ Herbert Wulfekuhl antwortet in einer kurzen Replik auf den Vorwurf des Populismus von Reinhard Jung

1. Der Verlust von 50.000 Wählerstimmen ist zwar das zentrale Problem der Bremer Sozialdemokratie, es wäre aber absolut kurzsichtig, dies etwa in Form einer Gewinn- und Verlustrechnung der an Wahlen teilnehmenden Parteien allein zu betrachten. Alle gesellschaftlichen Institutionen, die den Anspruch erheben, an der politischen Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen, sind gefordert, die bisherigen Positionen zu überprüfen und sich damit auseinanderzusetzen, was das schnell beschworene Nichtverteufeln rechtsextremer WählerInnen in der Konsequenz für die eigenen Ansprüche bedeutet.

2. Als Theologe sich über meine Frage 4 zu entrüsten, geht in Ordnung, denn schließlich hat man ja ein Monopol auf den Begriff Barmherzigkeit. Was gemeint ist, illustriert ein Zitat von Cora Stephan (SZ vom 7.12.91): „Dieses Land braucht eine Selbstdefinition nach außen wie nach innen — eine Selbstdefinition, die es auch seinen ressentimentgeladenen, aber noch nicht radikalisierten Bürgern erlaubt, sich mitgedacht zu fühlen bei der neuen Übereinkunft, wie man hierzulande mit wem zusammenleben will — was nun mal einfach zum Selbstbestimmungsrecht einer jeden Nation dazugehört.“

3. Die alte antifaschistische Keule schwingend verortet mich Jung jenseits von CSU-Positionen, ohne daß klar wird, wie das angehen soll. Von wegen dunkle Anfrage an die deutsche Geschichte. Wer die Positionen unserer europäischen Nachbarn zu allen Seiten kennt, der weiß, worauf bei den 2-plus-4-Gesprächen der entscheidene Bezug genommen wurde, auf Artikel 24 Grundgesetz, aus dem sich die Bundesrepublik Deutschland als Konsequenz aus dem deutschen Sonderweg bereiterklärt, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, also auf die Nato und die EG. Reinhard Jung entdeckt wie viele neuerdings das Modell Deutschland als Vorbild für ganz Europa. Ich dachte, da hätten unsere europäischen Nachbarn und Freunde auch noch ein Wörtchen mitzureden in den Brüsseler Gremien...

4. Viele haben wie Günter Grass die deutsche Teilung als Strafe für Auschwitz empfunden, das ist doch kein Geheimnis. Es geht nicht darum, daß jemand mit der Frage „getroffen“ werden soll. Es geht um die Selbstprüfung, ob die Projektionsvermutung einen realen Kern haben könnte. Und über das Irrationale der deutschen Seele haben lange vor mir sehr viel bedeutendere Geister sich geäußert. So sagte mir neulich ein Pastor, von Martin Luther sei der Spruch überliefert, die Deutschen seien ein komisches Volk, sie würden immer abwechselnd einmal links und einmal rechts vom Pferd fallen.

5. Zum Thema der angemessenen Mittelausstattung für die politische Weiterbildung sei erwidert, daß die Ampelkoalition darüber 1992 eine politische Diskussion eröffnen will. Dort ist Gelegenheit, die Wirksamkeit des integrierten Bildungsansatzes zu erörtern, denn wie in Ziffer 1 schon gesagt, ist das Wahlergebnis vom 29.9.91 ein Problem aller gesellschaftspolitischen Kräfte, bezogen auf ihre bisherige Arbeit. Einigkeit müßte zwischen uns beiden eigentlich darüber bestehen, daß politische Bildung nicht ersetzen kann, was praktische Politik in Bremen und Bremerhaven in den Bereichen Arbeit, Wohnen und soziale Gerechtigkeit erst einmal leisten müßte, übrigens auch mit und für Inländer, die sich nicht mehr vertreten fühlen. Herbert Wulfekuhl, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung