„Wider den Populismus“

■ Der Theologe und Politologe Reinhard Jung hat sich über Herbert Wulfekuhls Fragen zum Asylrecht geärgert

In den ersten drei Thesen — die Frageform ist meines Erachtens rein rhetorischer Art — geht es darum, die rechtsextremen Wähler nicht zu verteufeln, zu ignorieren und alleinzulassen, sondern ernstzunehmen und zu verstehen. Da hat Herbert Wulfekuhl meines Erachtens völlig recht: Solche Probleme bewältigt man nur, wenn man sie und die betroffenen Menschen ernst nimmt. Ich lese die Thesen 4. bis 10., einmal, mehrmals. An die Stelle von Zustimmung tritt erst Irritation, dann Ärger, schließlich Empörung.

In These 4 geht es Herbert Wulfekuhl um die Barmherzigkeit gegenüber „Fremden“ und gegenüber den „eigenen Mitmenschen“. So teilt sich anscheinend für ihn die Welt auf: Da sind die Fremden, also doch wohl die Ausländer in unserer Mitte, und da sind die eigenen Mitmenschen, also doch wohl die Deutschen. Ich folgere: Der Ausländer im Nachbarhaus ist kein eigener Mitmensch.

Wer diese sprachliche Trennung vollzieht, bezieht schon Position. Diese Trennung ist das Fundament allen deutschnationalen Populismus'. Wulfekuhl sagt so etwas nicht, aber er befördert dieses Denken. Da bleibe ich doch lieber bei der alten biblischen Botschaft: Der Fremdling in eurer Mitte ist euer Mitmensch und der, der unter die Räuber und Brandschätzer fällt, euer Nächster.

In These 7 und 9 stellt Herbert Wulfekuhl das dauerhafte Festhalten am Asylrecht in Frage. Ärgerlich ist für mich nicht nur, daß, sondern auch wie er es tut: versteckt und verklausuliert mit einer dunkel bleibenden Anfrage an die deutsche Geschichte. Er geht damit selbst über die CSU-Position hinaus. Das ist populär und zugleich unannehmbar.

In These 9 möchte er dann das deutsche Asylrecht den anderen EG-Staaten „anvertrauen“, wohl wissend, daß es dort eingeschränktere Regelungen gibt.

Ich frage: Was hindert uns eigentlich daran, im Rahmen der europäischen Einigung auch unser deutsche Mitbestimmungs-, unser gesamtes Arbeits- und Sozialrecht, unsere Umweltschutzbestimmungen und so weiter den anderen EG-Staaten anzuvertrauen? Antwort: Wir wollen, ich will kein Sozialdumping, keine Anpassung nach unten an die schlechteren Rechte und Sicherungen. Ich will vielmehr die möglichst besten Regelungen, die dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung dienen. Und der schlechteste Weg dahin ist der „vorauseilende Gehorsam“.

In den Thesen 8 und 10 sieht Herbert Wulfekuhl irgendwo einen „Selbstbestrafungsgedanken für Auschwitz“. Zuerst war die deutsche Teilung die ewige Strafe, und jetzt sollen es die „Asylbewerber und Zuwanderer“ sein. Wer denkt so? Wer soll damit getroffen werden? Diejenigen, die mit dem Bundespräsidenten das Asylrecht für unantastbar erklären? Diejenigen, die sich gegen die gegenwärtige Ausländerdiskriminierung wenden? Wer gemeint ist, bleibt ungesagt. Das ist unverantwortliches Geschwafel. Das gleiche gilt für die Unterstellung eines deutschen Irrationalismus, der das Fremde nur erbarmungslos umbringen oder kritiklos lieben kann.

Abschließend: Herbert Wulfekuhl wirft die richtige Frage auf. Die Antworten, die er sucht, liegen aber ganz auf der populistischen Linie, dem nationalistischem Ressentiment entgegenzukommen. Statt die politische Debatte und Kultur in Bremen aufklärend und verantwortlich zu befördern, wie es seine erklärte Absicht und wohl auch amtliche Verpflichtung wäre, vernebelt er sie durch diffuse Mutmaßungen.

Statt die Austrocknung der politischen Bildung in Bremen durch die SPD-Weiterbildungspolitik der 80er Jahre selbstkritisch zu betrachten, kritisiert er — laut Weserkurier — die „gutmeinenden Pfarrer“, die sich vor die Ausländer stellen. Nach den rechtsradikalen Wahlerfolgen seit der Bürgerschaftswahl 87 haben die Verantwortlichen für politische Erwachsenenbildung aller Träger in Bremen eine „Offensive der politischen Bildung“ gefordert; herausgekommen ist dabei nach jahrelanger Beratung eine minimale Förderungserhöhung. Seminararbeit reicht aber nicht aus. Das evangelische Bildungswerk hat zum Beispiel das Arbeitslosenzentrum Tenever aufgebaut. Alltäglich geht es dort um die sozialen Existenzprobleme von deutschen und ausländischen Mitbürgern und um Wut und Aggressionen.

Alleingelassen war es dabei nicht von der Kirche, bei allem nötigen innerkirchlichen Streit. Die Politik hat uns, ebenso wie andere außerkirchliche Initiativen, alleingelassen. Bis heute weigern sich SPD-Senatoren, auch nur einen Teil der Personalkosten zu finanzieren. In Tenever oder bei der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsloser Bürger in Walle könnten die ersten drei Fragen von Herbert Wulfekuhl eine richtige, praktisch-politische Antwort erhalten.

Reinhard Jung

Dieser Text des langjährigen Geschäftsführers des Bildungswerks evangelischer Kirchen in Bremen ist zuerst in der Bremer Kirchenzeitung 24/1991 erschienen.