Elke Steinhöfel (SPD): Bilanz der Drogen-Spirale

■ Droht eine grün-schwarze Verweigerungskoalition in der Drogenpolitik? / SPD versuchte in Bremen neue Wege

Die Zeit ist gekommen, Bilanz zu ziehen. Am Ende eines jeden Jahres wird in Bremen wie in anderen Großstädten und im Bund eine Rechnung aufgemacht: Ist es gelungen, in der Drogenpolitik Fortschritte zu machen, oder ist alles unverändert?

Um es gleich zu sagen: Die Bundesbilanz ist niederschmetternd. Erstmals wird die Zahl der Drogentoten vierstellig sein. Während 1990 offiziell 991 Tote gezählt wurden, sind es Ende dieses Jahres mehr als 2.000. 100.000 Menschen sind in der Bundesrepublik nach Angaben des Bundeskriminalamtes von illegalen Drogen wie Heroin und Kokain abhängig.

Dramatisch ist für Fachleute, daß im Gegensatz zu den Niederlanden in der Bundesrepublik die Zahl junger Erstkonsumenten harter Drogen immer noch steigt. 11.000 Neueinsteiger wurden 1991 auffällig; jeder sechste Jugendliche hat in der Bundesrepublik (alte Länder) Erfahrungen mit harten Drogen. Soweit die offiziellen Daten; die Dunkelziffer ist unbekannt... Da die verheerenden Auswirkungen des Drogenkonsums allgemein bekannt sind, eine kaum faßbare Tatsache.

Wir alle müssen uns die Frage stellen, woran liegt das und wie ist dem beizukommen, ohne daß dazu perfekte Antworten bereitlägen. Und die Politiker, die ihr Brot damit verdienen, Antworten auf soziale Verwerfungen zu geben, sind hier besonders in der Pflicht. Wenn sie als persönliche Leitbilder für junge Menschen nicht taugen, was nicht unbedingt vorwerfbar ist, sollten wenigstens Sachorientiertheit und Mut, Selbstkritik und ein bescheidener Umgang mit der Macht die politischen Handlungsmaximen sein. Doch leider, auch dies scheint eine Überforderung zu sein, denn meist ist damit Fehlanzeige...

Vom Übergeordneten zum Konkreten: Wie sieht es Ende 1991 in Bremen aus?

Die tödliche Spirale von Drogentod und —elend hat sich auch hier weitergedreht. 77 Drogentote waren es 1990, 74 sind es am 27.12.1991. Diese Zahlen, die nicht der alleinige, aber doch ein wichtiger Gradmesser für Politiker sein müssen, machen betroffen und sie sind tragisch.

Da wir nur sehr schwer damit umgehen können, bedürfen diese Zahlen der Erläuterung: Setzen wir unsere Bremer Zahlen ins Verhältnis zu vergleichbaren oder größeren Drogenhochburgen, wie Berlin, Frankfurt oder Hamburg, so stellen wir fest, daß dort die Zahl der Drogentoten im Vergleich zum Vorjahr um 50 bis 100 Prozent gestiegen ist. Starben 1990 in Bremen zehn Prozent aller aller bundesrepublikanischen Drogentoten, so sind es 1991 „nur“ noch fünf Prozent. Daß unsere Zahlen sich „gehalten“ haben und nicht nach oben geschnellt sind, ist bei aller Selbstkritik kein rauschendes Ergebnis, aber ein bescheidener Erfolg.

Hierzu hat sicher beigetragen, daß in Bremen die Substitution Elke Steinhöfel, SPD-Politikerin

mit Methadon in einer bundesweit anerkannten Weise durchgeführt wird. Dazu beigetragen hat auch, daß es neue Therapieformen wie die Kompakttherapie der Bremer Hilfe gibt, das Krankenhaus Sebaldsbrück seine Entgiftungstherapien inzwischen vorzeigbar praktiziert. Die Obdachlosigkeit von Drogenabhängigen hat sich gegen Jahresende etwas entkrampft, nicht zuletzt durch die Entschlossenheit der Junkies, sich notfalls ein Dach über dem Kopf per Gerichtsbeschluß zu erstreiten.

Entgegen den Unkenrufen der Initiativen und Anwohner im Viertel hat sich im Bereich Dezentralisierung von Hilfen 1991 einiges getan:

-Die Methadonvergabe während der Woche erfolgt dezentral durch niedergelassene Ärzte

-Y.E.S.-Cafe für Abhängige in Finndorf

-Kompakttherapien in Schwachhausen und Oyten

-Beratungs- und Therapievermittlung in Beratungsstellen im Bremer Westen und in Bremen- Nord

-Mehrere Betreute Wohngemeinschaften außerhalb des Ostertor-/Steintorviertels

-Notunterkünfte in Hotels und Pensionen wie dem Schiff Jola außerhalb des Ostertor-/Steintors u.a.

Die Selbsthilfegruppe Elrond arbeitet außerhalb des Viertels, und alle zukünftigen neuen Aktivitäten, so ein Senats- und Koalitionsbeschluß, werden an regional anderen Standorten eingerichtet werden.

Zu den ärgerlichen Stagnationen, die sich gerade in jüngster Zeit in der Drogenpolitik ereignet haben, zähle ich u.a.:

-Die Räume der medizinischen Notambulanz in der Bauernstraße sind seit einem halben Jahr vom Gemeindeunfallversicherungsverband gesperrt worden. Erst Anfang 1992 sollen sie durch das Hochbauamt hergerichtet werden.

-Die Umbauarbeiten der medizinischen Ambulanz beim Hauptgesundheitsamt, für deren Einrichtung es Bürgerschafts- und Deputationsbeschlüsse gibt, und die auch nicht durch anderslautende Koalitionsbeschlüsse obsolet geworden ist, stagniert ebenfalls wegen der Langsamkeit des Hochbauamtes.

Für diese medizinische Ambulanz beim HGA gibt es weiterhin gute Gründe. Wer die Lebenssituation Drogenabhängiger und damit ihre medizinischen Vesorgungsprobleme im Viertel kennt und glaubt, er könne diese Hilfen auch über den noch zu schaffenden Methadon-Bus erbringen, der versteht von der Sache wenig, oder aber ihm ist primär daran gelegen, die Junkies aus seinem Gesichtsfeld zu verbannen.

Ich plädiere für mehrere Optionen: die medizinische Ambulanz im HGA und einen Methadon-Bus, der seine Patienten an verschiedenen Standorten aufsucht.

Nachdem in Bremen eine Ampel-Koalition regiert, darf drogenpolitisch nicht populistisch agiert werden. Wenn die künftige Sprecherin der Sozialdeputation, die Grüne Abgeordnete Frau Linnert, ohne fachliche Diskussion einen „Planungsstop“ für die medizinische Ambulanz beim HGA verkündet, läßt dies nichts Gutes vermuten. Daß sich die CDU-Abgeordnete Frau Erlenwein nur noch resignativ über die Drogenpolitik äußert, ist ein — angesichts eigener Mißerfolge erklärbarer — objektiver Rückschritt. Kündigt sich hier eine grün-schwarze Verweigerungskoalition an?

Zu den wichtigsten Aufgaben für 1992 zähle ich die Weiterführung und Ausweitung der Substitutionsbehandlungen mit Methadon durch niedergelassene Ärzte. Wo dies nicht über die Kassen finanziert werden kann, muß die Sozialhilfe einspringen. Das leidige Thema der Wohnungslosigkeit ist entschieden voranzubringen, und es sind sichtbare Schritte in Richtung Beschäftigung und Arbeit für Methadon- und andere cleane Drogenabhängige zu tun.

Eines der zentralen Probleme, die im Rahmen der Fortschreibung des Drogenhilfeplanes 1992 zu klären und durch Umsetzungsschritte zu konkretisieren sind, besteht in der Dezentralisierung von Hilfsangeboten zur Entlastung der Bevölkerung im Ostertor und Steintorviertel. Hierzu gehört die Verstetigung der Sondergruppen der Polizei wie der Einsatz einer ausreichenden Anzahl von Streetworkern und nicht zuletzt eine effektive und koordinierte Zusammenarbeit der Ressorts Inneres und Justiz im Kampf gegen Drogenkriminalität und den Drogenhandel. Das, was aus dem Bund in Sachen Drogenpolitik nach Bremen dringt, kann für uns weder Ansporn noch Hilfe sein. Die neuen Wege, die wir in Bremen versucht haben, gilt es auszubauen und zu verbreitern. Um zu verhindern, daß sich die tödliche Spirale unaufhaltsam weiterdreht.