Schwulsein — Ein Hormon-GAU?

■ Ein Film, bei dem man von der ersten Minute an weiß, wo es lang geht/ »Poison« von Todd Haynes — eine Fingerübung

Möcht' gern ein Skandal werden, bringt's aber nur zur pubertären Fingerübung: Todd Haynes' erster langer Spielfilm Poison ist ein kunstloses Patchwork aus drei Filmgenres: einem B-Picture Katastrophenfilm der 50er Jahre (mit dem Titel »Horror«), dem schwulen Knastfilm à la Cocteau/ Genet (»Homo«!) und schließlich einem semidokumentarischen Sozialdrama (»Hero«).

Von der ersten Minute an weiß man, daß dieser Film vorhat, dem Zuschauer eine mentale Gleichgewichtsstörung zu verpassen. Mit handgehaltener Kamera und schrägen Winkeln wird ein gutbürgerliches Wohnzimmer durchschlichen (Filmsignal: Vorsicht Monster), während draußen die Polizei schon an der Türe hämmert. Die häßlichen Nachbarn und die Polizei stürmen schließlich herein, »Oh my God!« rufend, angesichts der Leiche und des kleinen Jungens, der zum Mörder wurde und der nun, immer noch subjektive Kamera, aus dem Fenster fliegt.

An diesem Filmfetzen wird sich nun, eineinhalb Stunden lang, eine Intensivserie über das Ödipaldrama mit Mutter, Mitschülern und Erzieherinnen anhängen, die rekonstruieren soll, warum der kleine Hero so ein Genie war und Mammi von dem gemeinen Vaterschuft befreit hat (wir werden's nie erfahren). Dazwischen schießt, mit schnittechnischer Brachialgewalt, der in schwülstig- schummrigem Philipp-Morris-Blau gehaltene Film über Kindheit, Jugend und Knastzeit eines schwulen Mannes, der sich in einen mitgefangenen Adonis verliebt, den er vergewaltigt.

Diese Figuren wirken wie verklemmte Karikaturen der Kunstcharaktere in Cocteaus Un Chant d'Amour; was bei Cocteau würdige Ikonen schwulen Mannseins, wird bei Haynes zum Typ aus der Zigarettenwerbung. Die S/M-Knastsexualität, bei Cocteau/Genet eine Art ästhetischer Entscheidung, wird bei Haynes aufs peinlichste sozial motiviert: Eine gruppe fieser Jugendlicher hat dem armen Jungen nämlich in einer Grotte in den Mund gespukt — kein Wunder, daß so einer ein schwuler Verbrecher wird.

Worauf Poison eigentlich hinaus will, merkt man so richtig erst beim dritten Film, dem einzigen mit kompletter narrativer Struktur. Er erzählt die Geschichte vom Sexualforscher, der in seinem Grusellabor DAS HORMON entdeckt, es trinkt, als er endlich einer Frau begegnet, und leprös daran zugrunde geht, nicht ohne vorher noch einige Damen infiziert und ermordet zu haben. Wie es die Dramaturgie des Katastrophenfilms vorschreibt, muß schließlich die Moral von der Geschichte noch vom Balkon herunter auf die Menge herabrieseln, die das Haus des Monster-Forschers umstellt hat: »Ihr denkt, ich bin Dreck«, ruft er ihnen zu, »aber ich bin nur aus demselben Schmutz, der in jedem von euch auch steckt, und ihr wißt es...«

Man fragt sich, wo so ein Film in Zeiten von Aids herkommt. Warum ein Film, in dem schwule Sexualität immer Besudelung, Infektion, Vergewaltigung, ein Hormon-GAU ist, im selben Jahr Erfolg hat wie My Private Idaho, Paris Is Burning oder Young Soul Rebels, die sämtlich selbstbewußt vom schwulen Leben erzählen.

Ein Blick in das bisherige ×uvre Todd Haynes gibt Aufschluß: Der erste 16-mm-Film, den der in Los Angeles geborene Student nach dem Abschluß eines Kunst- und Semiotik- Studiums drehte, hieß: Assassins: A Film Concerning Arthur Rimbeaud. Dem folgte, was sein erster großer Hit in der Underground-Szene New Yorks wurde: Superstar: The Karen Carpenter Story von 1987, in dem er die Verbindung von Starruhm und Magersucht mit Hilfe von Barbie- Puppen inszenierte. Im selben Jahr gründete er eine Produktionsfirma, die er »Apparatus« nannte, nach der gleichnamigen Theorie über die Konstitution des Zuschauers innerhalb der kapitalistischen Kino-Maschinerie.

All das bezeugt, was Haynes umtreibt: ein pseudoakademisches, spießig-spitzfingeriges Interesse an der Pose der Outlaws, gepaart mit einigen halbgaren Gedanken über die Funktionsweise des Kinos und einer Ästhetik, die sich unentschieden zwischen Davod Lynchs Elephant Man und Allan Parkers The Wall bewegt. Kein Hauch von gelebtem Leben ist zu spüren. Mariam Niroumand

Poison von Todd Haynes läuft noch bis 5. 1. im »Olympia«, Kantstraße 162, 1 — 12, jeweils um 18.30 und 22.30 Uhr, OmU.