Ein Verwaltungsweg der organisierten Schikane

■ Feindliche Behandlung von Asylbewerbern durch Behörden (Heute Teil 1 einer Serie in drei Folgen)/ Ein Unternehmensberater lernte zufällig einen Asylbewerber kennen und begleitete ihn auf dem Amtsweg/ Der beschämende Umgang hat ihn derart schockiert, daß er seine Eindrücke aufschrieb

Ich bin 47 Jahre alt und selbständiger Unternehmensberater aus Bad Segeberg. Nach einem Geschäftstermin in Berlin wartete ich an einem Montag im Dezember 1991, gegen 4.30 Uhr im Pressecafé am Bahnhof Zoo auf meinen Zug nach Hamburg, der gegen 6 Uhr abfahren sollte. In dem Café fiel mir ein junger Ausländer auf, der mit großem Gepäck erschienen war und äußerst beunruhigt und verwirrt wirkte. Nach einer Weile sprach er mich an und bat um Hilfe.

Sensibilisiert durch die aktuelle politische Diskussion über die Ausländerproblematik und besonders durch die öffentlichen Aufforderungen des Herrn Bundespräsidenten zur Solidarität mit Ausländern in Deutschland, hörte ich mir seine Geschichte an und beschloß, mich um ihn zu kümmern.

Es stellte sich heraus, daß der junge Ausländer, Herr A.A.B. aus Lahore/Pakistan, gerade nach einer wochenlangen Flucht aus Pakistan in Berlin eingetroffen war. Nach seinen glaubwürdigen Schilderungen handelte es sich um einen jungen Studenten, der in Pakistan als Funktionär der Studentenorganisation PSF (Peoples Student Federation) angehört. In dieser Eigenschaft wurde er von der rivalisierenden Studentenorganisation MSF (Muslim Student Federation) monatelang bedroht, verprügelt, verschleppt und mit physischer Gewalt bedrängt.

Nach all dem beschloß seine Familie, daß er außer Landes gehen müsse, um sich selbst und seine Familie vor weiterer Verfolgung in Sicherheit zu bringen. Man bemühte sich um Geld und zahlte einem anonym arbeitenden Agenten 5.000 US-Dollar, damit dieser ihn in ein sicheres Land brachte. Viele Wochen lang war er dann unterwegs. In den letzten vier Tagen hatte er keine Gelegenheit zum Schlafen und kein Essen bekommen, weil konspirativ arbeitende Zwischenagenten ihn und eine Gruppe anderer Flüchtlinge zu ständig wechselnden Aufenthaltsorten in der Gegend von Prag und nahe der deutschen Grenze verfrachteten. Irgendwie setzten sie schließlich den völlig übermüdeten und desorientierten Studenten in Berlin ab, wobei sie seinen Paß behielten, eventuell um eine Rekonstruktion des Fluchtweges unmöglich zu machen.

Nach dieser Odyssee saß er mir im Presscafé gegenüber. Die Strapazen der Flucht waren ihm ins Gesicht geschrieben, er kannte niemanden in Deutschland und wußte nicht, wie es mit ihm weitergehen sollte. Ich beschloß, dafür zu sorgen, daß er in staatliche Obhut kam und seinen Asylantrag stellen konnte. Da ich selbst die Asyldiskussion zwar aufmerksam verfolgt hatte, aber nicht wußte, wie so etwas technisch abläuft, brachte ich ihn zunächst in einem Hotel unter, damit er endlich den überfälligen Schlaf bekam und ich Zeit gewann, um mich über das Prozedere zu erkundigen.

Vom Amt der Ausländerbeauftragten wurde mir empfohlen, mich an die Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirchengemeinde in Kreuzberg zu wenden. Ich bekam sofort einen Termin für den nächsten Tag. Die Mitarbeiterinnen der Asylberatung dieser Kirchengemeinde kümmerten sich wohltuend einfühlsam und fachlich versiert um den jungen Flüchtling, der zudem unter heftigen Kopf- und Leibschmerzen litt. In stundenlangem Gespräch (mühsam in Englisch) wurde sein Fall diskutiert, anschließend ein Asylantrag aufgesetzt. Eine Mitarbeiterin der Asylberatung war gerade aus Pakistan zurückgekehrt und konnte aus ihren dortigen Beobachtungen und ihren Gesprächen mit dem Deutschen Botschafter in Pakistan die Angaben des jungen Flüchtlings zu der Situation in seinem Lande und den aktuellen militanten Aktivitäten der regierungsnahen MSF bestätigen.

Für den nächsten Tag wurde von der Asylberatung der Evangelischen Kirchengemeinde in Kreuzberg ein Arztbesuch arrangiert, und der zu beschreitende Amtsweg wurde detailliert beschrieben.

Da der junge Flüchtling aufgrund der Fluchtstrapazen und erkennbarer Erkrankung noch hilfsbedürftig war, begleitete ich diesen am nächsten Tag, zunächst zum Landeseinwohneramt Berlin im Wedding.

Am eisernen Gittertor der Ausländerbehörde war vermerkt, daß die Behörde mittwochs geschlossen sei. Dennoch herrschte reger Besucherverkehr. Ich nahm an, daß aktuelle Asylanträge täglich gestellt werden können. Zudem war der junge Flüchtling auf Unterkunft und Versorgung angewiesen, ich wollte ihn dementsprechend bald in staatlicher Obhut wissen. Daher suchte ich mit dem ihm das Gebäude auf, an dem das Schild ASYL angebracht war.

An der Pförtnerloge wurde nach der Übergabe des Asylantrages von der Bediensteten die Vorlage des Passes verlangt. Ich erklärte, daß der Flüchtling über keinen Paß verfüge, sich aber mit dem Pakistanischen Personalausweis ausweisen könne. Sie schob daraufhin den Asylantrag resolut zurück und verlangte, er solle sich zunächst einen Paß besorgen und dann wiederkommen. Nachdem ich zu bedenken gab, daß es ja gerade politischen Flüchtlingen unmöglich sein dürfte, sich von dem ihn verfolgenden Heimatstaat einen Paß zu besorgen, schmunzelte die Bedienstete gut gelaunt und beharrte: »Wir schicken die alle erst zu ihrer Botschaft. Ohne Paß bearbeiten wir hier gar nichts...«

Ich beharrte energisch darauf, vorgelassen zu werden. Widerstrebend wurde mir eine Service-Nummer ausgehändigt, und die vorgelegten Unterlagen wurden in den Bearbeitungsgang genommen. Dabei bemerkte die Bedienstete an der Pförtnerloge höhnisch süffisant: »Na, Sie werden schon sehen, was die Sachbearbeiterin dazu sagt...«

Nach etwa einer Stunde wurde die Service-Nummer aufgerufen, und hinter einer Glasscheibe erschien eine Sachbearbeiterin. Sie hatte den Antrag und den pakistanischen Personalausweis des Flüchtlings vor sich liegen und fragte, ob der Flüchtling Paßfotos bei sich habe. Dies mußte verneint werden. Daraufhin lehnte sie eine Bearbeitung ab. Auf meinen Vorschlag, sofort die erforderlichen Paßfotos zu beschaffen, gab sie mir merkwürdig triumphierend die Auskunft, daß die Fotoabteilung im Hause geschlossen sei. Genüßlich teilte sie mit: »Er soll mal in aller Ruhe sich ein paar Paßfotos machen lassen und dann morgen wiederkommen.«

Die ganze Behandlung war feindselig und höhnisch-abweisend. Alle Bemühungen schienen darauf ausgerichtet, einen formalen Vorwand zu finden, um den Antragsteller abzuwimmeln. Auf meinen Hinweis, daß es sich hier schließlich um einen Menschen in Not handle, um den man sich kümmern müsse, erwiderte sie schnippisch: »Dann können Sie sich ja drum kümmern.«

Auf meine Erinnerung, daß gerade ein Asylantrag vorgelegt worden sei, auf den die zuständige Behörde nicht einfach untätig bleiben könne, blickte sie mich nur trotzig stumm an. Auf meine Aufforderung, wenigstens die Entgegennahme des Asylantrags zu quittieren, machte sie sich wortlos in Unterlagen zu schaffen. Ich beharrte erneut darauf, daß der Flüchtling Unterkunft und Versorgung benötigte. Daraufhin gab sie mir strahlend Bescheid: »Das Sozialamt hat heute sowieso geschlossen!« Sie weidete sich sichtlich an meinem wohl etwas verdutzten Gesichtsausdruck. Als ich mich erkundigte, welche Regelungen für Notfälle zur Verfügung stünden, lachte sie mich nur höhnisch aus. Daraufhin fragte ich, warum sie mich denn wie einen Feind behandelte. Ich bestand darauf, höflich und korrekt behandelt zu werden, schließlich sei eine Behörde ja ein Dienstleistungsunternehmen für den Bürger. Ihre Reaktion: »Na, das war wohl nichts...« Damit schob sie mir den Asylantrag und den Personalausweis des Flüchtlings wieder zu und lehnte jede weitere Bearbeitung des Vorgangs ab.

Ich bat um ihren Namen und erkundigte mich, wo ich ihren Vorgesetzten erreichen könne. Als ihren Namen gab sie »Frau S.« an. Der Vorgesetzte sitze in Zimmer 6, aber der habe eine Befragung. Den Namen des Vorgesetzten wollte sie nicht nennen: »Der Name steht an der Tür.« In Zimmer 6 (an der Tür stand »Anhörer«) bat ich den anwesenden Herrn um ein Gespräch wegen einer Beschwerde. Er war gerade mitten in einer Anhörung und forderte mich auf, draußen zu warten. Nach 45 Minuten kam er auf den Flur und bat mich herein.

Ich trug den Fall vor und kündigte an, eine Dienstaufsichtsbeschwerde erheben zu wollen. »Ja, machen Sie das — dann habe ich wenigstens ein paar Stunden lang einen Bericht zu schreiben!« Dann las er sich zunächst einmal den Asylantrag durch. Als er geendet hatte, lachte er lustlos auf und erklärte mir: »Das kann ich schon auswendig singen. Das schreiben sie alle...« Offenkundig stand für ihn fest, daß alles erlogen war. Auf meinen Vorhalt, daß solche Situationen vielleicht schlicht deshalb so häufig vorgetragen würden, weil es eben tatsächlich noch sehr viel politische Verfolgung auf diesem Planeten gebe, räumte er ein: »Na ja, manche mögen ja die Wahrheit sagen...«

Schließlich fertigte er eine vorläufige Bescheinigung für den Flüchtling aus und nahm den Asylantrag in Bearbeitung. Den pakistanischen Personalausweis behielt er ein. Für den nächsten Tag wurde ein neuer Termin gesetzt. Vier Lichtbilder seien mitzubringen. Auf meine Nachfrage bezüglich der sozialen Absicherung des Flüchtlings bis zum Folgetag nannte er mir als Adresse das Wohnheim des Deutschen Roten Kreuzes in der Streitstraße. Dort werde der Flüchtling für die Nacht versorgt. Daraufhin verzichtete ich auf eine Dienstaufsichtsbeschwerde und legte dem Vorgesetzten nur nahe, der offenbar überarbeiteten Frau S. einen Tag frei zu geben, damit sie wieder freundlicher mit den Antragstellern umgehen könne.

Nach drei Stunden gab ich die Versuche auf, das Wohnheim in der Streitstraße zu erreichen. Zudem war es aufgrund der körperlichen Beschwerden von Herrn B. dringend erforderlich, daß er in ärztliche Behandlung kam. Dieser Arztbesuch tat dem Flüchtling sichtlich gut, er faßte wieder Mut. Udo Teichmann

INTERVIEW