Berlins Abfall-Alpen wachsen

■ Brandenburg will kein Geld für die milliardenteure Sanierung der Berliner Deponien zahlen

Silvester ist vergessen. Nur die etwa 1.800 Straßenreiniger sind noch bis Mitte nächster Woche mit dem »Wegfegen« der Spuren beschäftigt. Mit überbreiten Besen kehren sie Sektkorken, Schwarzpulver und Schlangen von Bürgersteigen und Fahrbahnen. Die Großstadt sieht dann wieder normal und sauber aus — doch das Bild trügt.

Auch wenn der Müll aus dem Stadtbild verschwindet, wird der Gestank der Wegwerfgesellschaft beißender. Ein Teil des Abfalls wird durch den Schornstein der Müllverbrennungsanlage Ruhleben oder Flottenstraße in den Himmel geblasen und der andere Teil auf die bereits vorhanden Gebirge von Essensresten, Einwegverpackungen und so weiter hinter der Stadtgrenze gekippt. Gleichzeitig wird der Mülltourismus in den Brandenburger Abfall-Alpen teurer denn je. Brandenburg will zu der Sanierung der Halden Vorketzin, Schöneiche und Deets keinen Pfennig dazugeben. Der dortige Umweltminister kündigte dies vor zwei Tagen an, schließlich hätten West-Berlin und Westdeutschland ihren Dreck auf die Devisen-Deponien gekippt, Brandenburg habe aber nie einen Pfennig für die Vergiftung erhalten. Verdient habe vielmehr die ehemalige DDR, deren Rechtsnachfolgerin die Bundesrepublik sei, so der Minister. Und diese solle dann auch zusammen mit Berlin zahlen.

Berlins Umweltstaatssekretär Lutz Wicke reagierte auf den Unwillen der Brandenburger, sich an den Kosten des nachträglichen Umweltschutzes zu beteiligen, mit Stirnrunzeln. Er erinnerte daran, daß die Reparatur der undichten Giftlager durch erhöhte Abfallgebühren finanziert werden soll, wie es eine gemeinsame Vereinbarung zwischen Stadt und Nachbarland vorsehe. Doch selbst wenn Brandenburg zahlen würde, ist allen Beteiligten klar, daß eine Gebührenerhöhung allein nicht ausreichen würde. Insider schätzen, daß die Entsorgung einer Tonne Hausmüll von derzeit 100 auf bis zu 500 Mark steigen müßte, damit die Milliarde Mark für die Sanierung der Deponien innerhalb der nächsten sechs Jahre zusammenkäme. »Gewerbebetriebe würden unter dieser finanziellen Last zusammenbrechen«, prophezeite ein Mitarbeiter der Umweltverwaltung. Wicke weiß auch nicht, wo die Milliarde Mark für die mehreren Millionen Tonnen Altlasten herkommen soll: »Der Stadtsäckel ist nicht prall gefüllt.«

Einen Damm gegen die Müllflut einer Rohstoffe verschwendenden Industrieproduktion versprechen sich Verwaltung und Stadtreinigung am ehesten noch von Töpfers Verpackungsverordnung. Nach dieser werden die Hersteller dazu verdonnert, bis Juli 1995 neun Zehntel ihrer Verpackungen wieder einzusammeln. Dann sollen Hausmülltonnen nur noch halb voll sein — Glas, Weißblech, Aluminium, Pappkartons, Papier, Kunststoff und Verbundstoffe würden in den Sammelcontainern der Industrie landen. Die betroffenen Verpackungen sind schon jetzt mit einem grünen Punkt gekennzeichnet.

In Berlin begann die Einführung dieses »Dualen Systems« jedoch mit einem Streit zwischen manchen Bezirken und der Senatsverwaltung für Betriebe. Kostenlos soll die öffentliche Hand der privaten Entsorgungsfirma »Dass GmbH«, an der die BSR und die »Alba-Gruppe« zu gleichen Teilen beteiligt sind, Plätze für ihre gelben Sammelbehälter zur Verfügung stellen. Uwe Szelag, Baustadtrat aus Wilmersdorf, teilte Staatssekretär Schmitt mit, »daß der Bezirk sich nicht aktiv an der Flächenaquisition für eine privatrechtlich organisierte GmbH beteiligt«.

Die Flächensuche sei zu zeit- und personalintensiv, würde öffentliche und private Aufgaben miteinander vermischen. Ohnehin erteile Wilmersdorf »seit Jahren« keine weiteren Genehmigungen mehr, da die Container das Stadtbild störten, die Anwohner durch Lärm belästigt und die Fußwege verdreckt würden. Die »Dass«-Container sollten dort stehen, wo die Einwegverpackungen verkauft werden — auf den Privatgrundstücken der Einzelhändler, riet Szelag im Dezember dem Staatssekretär.

Der Baustadtrat befürchtet darüberhinaus, daß Betriebesenator Haase mit der Getrenntsammlung auch das »Berliner Modell« abschaffen wolle. Die in den Westberliner Bezirken aufgestellten grünen und blauen Tonnen für Altglas und -papier sollten heimlich abgeschafft werden, entnahm Szelag einer Äußerung des Senators aus dem vergangenen Jahr. Doch Bernd Müller, Sprecher der BSR, dementierte Szelags Behauptung. Keine einzige Recycling-Tonne würde aus Kreuzberger Hinterhöfen oder Zehlendorfer Vorgärten verschwinden. Für den Ostteil der Stadt überlege man allerdings, bei Einfamilienhäusern auf die Aufstellung einzelner Tonnen zu verzichten.

Im Ostteil der Stadt kommt die Stadtreinigung mit der Aufstellung von grünen und blauen Umwelt- Mülleimern nicht voran, was die Bürger sehr enttäuschte — so der stellvertretende Bürgermeister und Umweltstadtrat Vollrad Kuhn. Weil auch die Sperrmüll-Container der ehemaligen Ostberliner Stadtreinigung abgeschafft worden seien, landeten Tannenbäume im grauen Plasteeimer und die ausgediente Wohnzimmereinrichtung auf der Straße. Dirk Wildt