Wird Georgien zum Libanon?

■ Der Sturz eines Tyrannen ist kein Beginn der Demokratie

Wird Georgien zum Libanon? Der Sturz eines Tyrannen ist kein Beginn der Demokratie

Wenn der paranoide Alleinherrscher Swiad Gamsachurdia schließlich mit seiner klaustrophobischen Weltsicht im Kugelhagel seiner ehemals besten Freunde in den Verliesen des Regierungspalastes untergeht, ist die kaukasische Geschichte um eine blutrünstige Episode reicher — mehr nicht. Und die Intelligenz dieses uralten Stückes Europas ist auch reicher. Um eine weitere Variation auf das Thema Liebe, Rache, Verrat. Die Opposition in Georgien hat gute Gründe, sich gegen die erneute Despotie zur Wehr zu setzen. Siegt sie, ginge es schneller, als sie es Anfang des Jahres noch wahrhaben wollte. Doch für die konfliktgeschlagene Kaukasusregion bedeutet das noch lange keinen Frieden, geschweige denn Demokratie.

Die Opposition ist ein illustrer Haufen, der sich vor den Septemberunruhen dieses Herbstes untereinander selbst nicht grün war. Von politischen Programmen kann nur am Rande die Rede sein. Bisher arbeitete sich die Opposition vornehmlich an der Figur Gamsachurdias ab. Und jene Kräfte, die heute in der ersten Reihe der Opposition für ein Gamsachurdia-freies Georgien streiten, waren ehemals seine besten Freunde und Vertrauten. Sie mußten wissen um das krankhafte Geltungsbedürfnis dieses Präsidenten, der keine Götter neben sich dulden kann. Der Kommandeur der Nationalgarde, Kitowani, gehörte zu diesem Kreis, ebenso wie sein Teilzeitverbündeter Joselani. Der neue Kopf der Notstandsregierung, Tengis Schigua, diente seinem Herrn noch bis August als Vizepremier. Die Verflechtung mit der alten Macht ist augenfällig. Das Abwenden von ihr läßt auf eine Reihe sehr persönlicher Gründe schließen. Bände spricht auch die Weigerung des Kommandeurs einer dritten bewaffneten Kraft, Besik Kutateladse, an der Übergangsregierung teilzunehmen.

Das Parteiensystem in Georgien steckt noch in rudimentären Ansätzen, deren Führungsfiguren zum Teil noch sehr jung sind, hitzig und blauäugig. Sollten sie die Chance zur Machtübernahme erhalten, wäre damit noch lange kein friedlicher Weg in eine demokratische Gesellschaft eröffnet. Ihr Habitus und ihre Rhetorik erinnern an Cowboys und Machos. Wenn es derzeit zu Koalitionen mit nachdenklichen Intellektuellen kommt, dann sind es die Intellektuellen, die in ihrer Verzweiflung hier Schutz suchen. Die Politik werden sie auch danach nicht bestimmen. Überhaupt bleibt fraglich, ob die Parteien eine Rolle spielen werden. Denn keine von diesen Gruppierungen könnte sich auf einen tragfähigen Rückhalt im Volk stützen. Georgien geht einer Libanonisierung entgegen. Klaus-Helge Donath, Moskau