Stahl: RAF-Haftentlassung prüfen

■ Der Generalbundesanwalt geht auf Kinkel-Kurs, dafür schießt nun CSU-Chef Waigel quer

Berlin (taz) — Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat sich hinter die Pläne des Bundesjustizministeriums gestellt, im Laufe des Jahres bis zu acht der RAF-Gefangenen aus der Haft zu entlassen. In einer gestern in Karlsruhe veröffentlichten Erklärung wies Generalbundesanwalt Alexander von Stahl darauf hin, daß die Prüfung einer vorzeitigen Haftentlassung im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen durchgeführt werden muß — unabhängig davon, ob ein Verurteilter dem terroristischen Bereich zuzurechnen ist oder nicht. Eine Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung ist unter anderem in den Fällen zulässig, in denen zwei Drittel der Haftstrafe verbüßt oder bei einer Verurteilung zu einer lebenslangen Strafe 15 Jahre Haft verstrichen sind. Bislang hatte sich die oberste Anklagebehörde in aller Regel aber geweigert, RAF-Gefangenen die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung zuzugestehen.

Wie berichtet, beabsichtigt Bundesjustizminsiter Klaus Kinkel (FDP) in Abstimmung mit allen Sicherheitsbehörden und der Zustimmung der Bundesländer (mit Ausnahme von Bayern) im Frühjahr die schwer erkrankten Häftlinge Günter Sonnenberg, Bernd Rößner und Claudia Wannersdorfer aus den Gefängnissen zu entlassen. Treten keine Komplikationen auf, sollen entsprechend einem Beschluß der Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämfung dann im Herbst die Gefangenen Irmgard Möller, Lutz Taufer, Christine Kuby, Christa Eckes und Karl-Friedrich Grosser folgen. Voraussetzung für die vorzeitige Entlassung ist neben der Verbüßung einer Mindeststrafe die Erwartung, daß die Freigelassenen künftig keine Straftaten begehen. Erforderlich ist die Zustimmung der Verurteilten. Die Schwere der Schuld dürfe nicht eine weitere Vollstreckung der Haft gebieten.

Zur Vorbereitung einer gerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe muß die Bundesanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde den zuständigen Gerichten die Akten vorlegen und die erforderlichen Vorbereitungen treffen, heißt es in der Erklärung. Nur im Fall von Irmgard Möller ist die BAW nicht zuständig. Möllers lebenslange Haftstrafe wird von der Staatsanwaltschaft in Heidelberg vollstreckt.

Neue Hürden zur Umsetzung der Kinkel-Initiative hat indessen der CSU-Vorsitzende Theo Waigel aufgebaut. Er forderte, daß die Frage von Haftentlassungen bei einem Spitzengespräch der Koalitionsparteien diskutiert werden muß. Das Gespräch solle auf die Tagesordnung der nächsten Koalitionsrunde gesetzt werden, hieß es gestern in einer von der CSU-Landesleitung verbreiteten Erklärung. Die Hoffung sei „trügerisch“, daß mit einer vorzeitigen Entlassung der Gefangenen weitere terroristische Straftaten verhindert werden könnten. Nach Waigels Worten muß auch „auf das Rechtsempfinden der Opfer und der Bevölkerung Rücksicht genommen werden“. Wolfgang Gast