Es droht ein Roll-Back in der Bremer Drogenpolitik

■ Für die SPD-Politikerin Elke Steinhöfel ist die Bilanz der Drogenpolitik (vgl. taz 4.1.92) für das Land Bremen durchaus positiv. Das Roll-Back droht nicht durch populistisches Eingehen auf Stimmungen in der Bevölkerung, sondern durch fehlenden Dialog, sagt Karoline Linnert (MdBBü Die Grünen) in ihrer Antwort auf Elke Steinhöfel

Eine Bilanz der Drogensituation in Bremen muß mindestens 2 Seiten beleuchten, die der Politik und die Lebensbedingungen der abhängigen DrogengebraucherInnen. Die Drogenpolitik in Bremen hat sich in der letzten Legislaturperiode erheblich verbessert:

— die mit ideologischer Verbohrtheit durch das Sozialressort geführte Abwehr von Methadon geriet in die Minderheit, die durch das Gesundheitsressort durchgesetzte Methadonvergabe eröffnet für über 200 DrogengebraucherInnen die Chance für ein stabiles Leben;

— gesundheitliche Hilfen für DrogengebraucherInnen wurden Teil des Hilfeangebotes;

— der niedrigschwellige Ansatz, der die sofortige Bereitschaft, den Drogenkonsum zu beenden, nicht zur Voraussetzung von Hilfe macht, wurde akzeptiert und gefördert;

Helfen

— frauenspezifische Angebote sind zum selbstverständlichen Bestandteil der Hilfen geworden.

Diese Entwicklung sehe ich eindeutig als Fortschritt an, für sie haben sich DIE GRÜNEN über Jahre eingesetzt. Sie wurde in ihren Kernpunkten von allen Parteien getragen. An der Umorientierung Bremer Drogenpolitik haben die Beiräte Mitte und Östliche Vorstadt, Vera Rüdiger und Elke Steinhöfel ein großes Verdienst, das von den Betroffenen, den Professionellen und den Sozial- und GesundheitspolitikerInnen aller Parteien anerkannt wird.

Zurück zu dem Konzept der Vertreibung und Repression?

Bei der Betrachtung der Situation der abhängigen DrogengebraucherInnen komme ich allerdings zu Ergebnissen, die einen Ausbau der Hilfen notwendiger denn je machen. Der gesundheitliche Zustand der für die Öffentlichkeit sichtbaren, besonders verelendeten DrogenkonsumentInnen ist schlechter geworden; noch nie waren so viele von ihnen wohnungslos, noch nie die Aussichten so schlecht, ihnen Wohnraum zu vermitteln.

Die NeueinsteigerInnen sind im Gegensatz zu früher vorrangig benachteiligte Jugendliche. Dem sozialen Zusammenhang des Einstiegs ist drogenpolitisch nicht zu begegnen, die bestehenden Hilfsangebote erreichen diese Personengruppe erst dann, wenn die soziale Situation sich sehr verschlechtert hat.

Viele MethadonempfängerInnen finden kein ausreichendes Angebot an Wohnraum, Arbeitsmöglichkeiten und begleitenden Hilfen vor. Die MitarbeiterInnen im niedrigschwelligen Bereich sind am Ende ihrer Kräfte und die Bereitschaft der Bevölkerung, Drogenabhängigkeit und deren Begleiterscheinungen in ihrem Stadtteil zu tolerieren, ist an einem Tiefpunkt angelangt.

Als Folge der allgemeinen Überforderung und Ratlosigkeit droht ein Roll-Back: Niedrigschwellige Arbeit will niemand mehr aushalten, Entkriminalisierung scheint gescheitert, Grundrechte für DrogengebraucherInnen auch in Einrichtungen scheinen unwichtig. Das Roll-back würde bedeuten: Zurück zu dem Konzept der Vertreibung und Repression, die knappen Mittel nur noch für die Menschen ausgeben, wo es noch „was bringt“, forcierter Aufbau von Einrichtungen mit Langzeitansatz.

Auf diese Tendenzen wird Drogenpolitik reagieren müssen und daraus leiten sich für DIE

hier das foto mit der Schatten-Frau

fürDrogenabhängigeistunpopulär. Im GRÜNEN auch die drogenpolitischen Perspektiven für die nächsten 4 Jahre ab. Die Hilfsangebote an DrogengebraucherInnen müssen das physische und soziale Überleben sichern helfen. Zur Zeit droht der niedrigschwellige Ansatz zu einem Versorgungsghetto mit niedrigstem Standard zu verkommen. „Niedrigschwelligkeit“ heißt nicht bedingungslos helfen, aber den Menschen muß in der Situation, in der sie sich jetzt befinden, Hilfe angeboten werden. Dazu muß aber auch etwas anzubieten sein, das über Aufwärmen, Kaffee-Ausschank und Spritzentausch hinausgeht.

Da die Wohnungslosigkeit von DrogengebraucherInnen alle weiteren Hilfsansätze zu ersticken droht, gehört dazu vor allem Wohnraum. Notübernachtungsangebote wie die Yola oder Container, die zudem tagsüber verlassen werden müssen, können nun wirklich nicht als Erfolge verbucht werden. Sie sind eine grausame Konsequenz aus sich verschärfender Ausgrenzung. Wenn Politik sich damit begnügt, stellt sie das Menschenrecht auf den Schutz und die Privatheit in der eigenen Wohnung für Drogenabhängige zur Disposition.

Der Ausbau dezentraler, niedrigschwelliger Hilfen, im Drogenhilfeplan der Bremer Landesregierung vorgesehen, von der Bürgerschaft beschlossen, im Koalitionsvertrag bekräftigt und den BewohnerInnen des Viertels versprochen, bedeutet drei oder vier weitere Beratungsstellen, in denen Hilfen angeboten werden. Diese müssen auch das Ziel verfolgen, eine Integration in bestehende, für alle Menschen zugängliche Hilfsangebote (wie niedergelassene Ärzte, Angebote für Frauen, Hilfen bei der Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung usw.) zu ermöglichen.

Zankapfel „medizinische Ambulanz“

mitten im Viertel

Der Zankapfel „medizinische Ambulanz im Hauptgesundheitsamt“ (HGA) ist leider für viele Akteure zum Symbol für Sieg oder Niederlage geworden. Die Entscheidung für die Ambulanz ist gegen das Votum des Beirates und der damaligen Oppositionsparteien gefallen. Das Versprechen an die AnwohnerInnen, die Planungen so nicht weiter zu verfolgen, wurde von VertreterInnen der drei Koalitionsparteien gemacht, mit grün-schwarzer Verweigerung hat das wenig zu tun. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich fachliche Gründe gegen dieses Projekt anführen kann. Die gesundheitlichen Hilfen für DrogengebraucherInnen müssen sich in einen dezentralen niedrigschwelligen Ansatz integrieren, der kein neues Versorgungsghetto auf niedrigstem Niveau schafft.

Schatten:KarolineLinnert T.Vankann Deshalb ist eine Konzeption aus meiner Sicht richtig, die Nothilfe in den Beratungsstellen leistet und das Ziel verfolgt, weitergehende Hilfen von niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern erbringen zu lassen. Die Neukonzeption für das Krankenhaus Sebaldsbrück eröffnet Chancen, die stationären gesundheitlichen Angebote für DrogenkonsumentInnen zu verbessern.

Der Tendenz, Randgruppen aus dem bestehenden Versorgungssystem auszusondern, muß entgegengewirkt werden. Andernfalls erhöht sich der „Vertreibungsdruck“ im medizinischen Bereich nicht nur für Drogenabhängige. Obdachlose und Asylbewerber benötigen jetzt schon Hilfen, um das allgemeine Versorgungssystem nutzen zu können. Vor dem Hintergrund sich verschärfender Armut ist es eine Illusion zu glauben, daß es gelingen kann, für diese Gruppen besonders gute Hilfen anbieten zu können. Für die Menschen, die Hilfen am nötigsten brauchen, ist das Hilfeniveau am schlechtesten, herrschen die belastendsten Arbeitsbedingungen für Ärzte und SozialarbeiterInnen, die dann leichter repressiv reagieren, und sind die Gefahren weiteren Abbaus am größten. Bremen ist gefüllt mit solchen Beispielen: das Sondersozialamt in der Langenstraße, die Ausländerbehörde, die Baracke für Obdachlose am Bahnhof.

Zum Vorwurf des Populismus

Ein letzter Gedanke zum „Populismus“- Vorwurf: Nach wie vor kann Bremer Drogenpolitik aus den Niederlanden etwas lernen. Dort sterben nicht nur weniger Menschen im Zusammenhang mit ihrem Drogenkonsum, dort gibt es auch weit weniger obdachlose DrogenkonsumentInnen. In den Niederlanden gibt es ein breit gestreutes, relativ gut ausgestattetes Angebot unterschiedlicher Hilfen und das Ziel der Integration in allgemeine Hilfesysteme. Dort gibt es aber auch ein Klima einer gemeinsamen Verantwortung für ein Gemeinwesen, in dem die Bevölkerung nicht nur Duldende hoheitlicher Entscheidungen ist. Sie beteiligt sich dort an den Hilfekonzepten und hat das Recht, ohne gleich in die Vertreibungsschublade gesteckt zu werden, Schmerzgrenzen zu benennen.

Wenn es eine Stimmung geben sollte, die nur noch „Junkies raus“ will, wäre das ein schlimmes Versagen Bremer Drogenpolitik, die Opfer würden die Drogenabhängigen sein.