Randale auf dem Friedhof in Huchting

■ Unbekannte fuhren Sargwagen und stürzten Grabsteine / „Man sollte denen die Füße schmoren“

Am frühen Nachmittag herrschte auf dem Huchtinger Friedhof bei Nieselregen ein aufgescheuchtes Besuchertreiben. Durch eine Radiomeldung hatten Angehörige erfahren, daß in der Nacht von Freitag auf Samstag unbekannte Täter auf dem Huchtinger Friedhof randaliert hatten; zahlreiche HuchtingerInnen eilten nach dem Mittagessen oder nach dem Abwasch zum Tatort, um „ihre“ Gräber in Augenschein zu nehmen. „An einem Grab muß doch Schluß sein“ — „Früher war der Friedhof tabu“ — „Die schönen alten Steine“ — „Ob das die Hausratsversicherung bezahlt?“ - „Die Hände abfaulen müßten den Bengels“.

Empört blieb ein Mann gleich links nach dem Eingang am ersten Grab stehen, der Grabstein war umgeworfen. Er kenne den Toten, Karl-Heinz M. sei schuldlos im Urlaub bei einem Autounfall ums Leben gekommen. „Und jetzt sieht das so aus“, echauffierte er sich lautstark vor den Umstehenden, während er auf das Grab deutete: „Diesen Leuten sollte man bei lebendigem Leibe die Füße in den Ofen stecken und solange schmoren, bis sie nicht mehr laufen können.“ Eine resolute ältere Dame war nicht minder aufgebracht: „Was das für ein Geld kostet und die Toten lassen sie nicht mehr ruhen, das ist die größte Sauerei.“ Ihren Namen wollte sie nicht nennen, aus Angst, daraufhin in ihrer Wohnung ebenfalls Opfer von randalierenden Jugendlichen zu werden. Sie habe nur Mitleid mit den „vielen armen Leuten“, die eiRatlosigkeit und Wut der Huchtinger angesichts zerstörter Gräber

nen neuen Grabstein nicht bezah

hier das foto mit dem

einen umgestoßenen Grabstein

valen könnten.“ Die alte Frau, die mit ihr auf dem Friedhof unterwegs war, und ebenfalls die 60 weit überschritten hatte, wollte mithelfen, die Täter zu fassen zu kriegen: „Da hätte ich direkt Lust, die ganze Nacht hier zu bleiben.“ Mit zwei kleineren Söhnen stand ein jüngeres Ehepaar um das Grab von „Vaddi, Opa und Oma“ herum. Der eine Sohn stellte lapidar fest: „Unser Stein ist natürlich durchgebrochen.“ Seinem Vater entfuhr „Schweine“.

Helmut Krugjohann, einer der Huchtinger Steinmetze, wohnt mit seiner Frau direkt gegenüber dem Friedhofseingang. Er hatte am Samstag gemeinsam mit Polizisten die Schäden fachmännisch begutachtet. Auf Nachfrage zählte er auf: „Letzte Woche wurden schon einmal neun bis zehn Steine umgeworfen, in der Nacht

von Freitag auf Samstag waren es ca. 30 Stück. Davon sind zwei restlos kaputt.“ Die Täter hätten mit Trittplatten, die man über die offenen Gräber lege, ein Seitenfenster der Friedhofskapelle eingeschlagen, seien in die Kapelle eingedrungen, hätten Kerzen, Gesangbücher und Stühle heillos durcheinangerworfen. Außerdem hätten sie von innen die Kapellentüre geöffnet und seien mit dem Sargwagen umhergefahren, mit diesem schwarzen Wagen würden ansonsten die Särge zum offen Grab transportiert. Der Steinmetz: „Früher waren in der Kapelle auch Aufbahrungen. Das erfolgt ja jetzt in den Bestattungsunternehmen. Nicht auszudenken, was die in der Kapelle mit einer Leiche gemacht hätten.“

An jugendliche oder alkoholisierte Randalierer sind die HuchtingerInnen bereits gewöhnt. Autoaufbrüche sind Alltag. Genausowenig verwundert es, wenn Gullideckel gegen die Acrylglaswände der Bushaltestellen geschleudert werden und in Vorgärten landen.

Auch die Grabsteine waren in den vergangenen 25 Jahren in Bremens südlichstem Stadtteil Huchting nie heilig — allerdings nur diejenigen, die im Vorgarten des Steinmetzes Krugjohann aus- und aufgestellt waren. Helmut Krugjohann hat sich an die jugendlichen Kraftmeiereien in seinem Vorgarten gewöhnt: „Jedes Jahr wächst eine neue Generation heran.“ Er wehre sich aktiv nur noch gegen die Auswüchse des Schützenfestes: „Davon habe ich jedes Jahr 300, 400 Mark Schaden. Beim Schützenfest ziehe ich jetzt extra zwei Reihen Stacheldraht.“ Für die Randale auf dem Friedhof macht er die städtischen Sparmaßnahmen mitverantwortlich: Die Stadt zahle auf den kleineren Friedhöfen die Schließzeiten nicht mehr. Der Huchtinger Friedhof sei deshalb tagsüber wie auch nachts immer geöffnet.

Wie erklärt sich der Huchtinger Pastor Altmann von der St.Georgs-Gemeinde den nächtlichen Tabubruch? Gegenüber der taz gestand Altmann zunächst seine Ratlosigkeit ein: „Unsereiner käme doch gar nicht auf die Idee. Wir denken doch darüber nach: Wie kann man die Stunde des Abschieds so gestalten, daß sie dem Verstorbenen gerecht wird. Aber daß man das genaue Gegenteil tut, ergibt für mich wenig Sinn.“ Seine Analyse: „Das können nur schmutzige, schäbige Menschen getan haben, die sich am Schmerz der Leidtragenden freuen, die kein Verständnis für das Leid anderer aufbringen.“ Der Pastor prognostizierte am gestrigen Sonntag: „Da wird eine Welle der Empörung durch Huchting gehen.“

Barbara Debus