■ VONPETERCONRADI
: Ein Hochsicherheitspark am Schloß?

Ein Hochsicherheitspark am Schloß?

Das kann doch nicht wahr sein: Die Parkanlage hinter dem Bellevue- Schloß, dem Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin, wird für die Öffentlichkeit aus Sicherheitsgründen gesperrt, ebenso die Uferwege an der Spree, die am Amtssitz des Präsidenten vorbeiführen. Das haben Vertreter des Bundespräsidialamtes, der Berliner Senatsverwaltung und des Bezirks Tiergarten vereinbart. Ob der Bundespräsident weiß, was seine Sicherheitsbeamten in Berlin anrichten? In Bonn führt die Rheinpromenade seit eh und je am Grundstück und Amtshaus des Bundespräsidenten vorbei. Warum soll das in Berlin entlang der Spree anders sein?

Die Vermutung einiger Berliner, es sei dies eine der vielen kleinen Gemeinheiten »rachelüsterner Bonner Beamter«, ist so abwegig nicht. Mit solchen Forderungen wird das Ansehen des Bundespräsidenten beschädigt. So weit darf das Nachkarten aus Bonn nicht gehen.

Es gibt viele Möglichkeiten, die Sicherheit des Bundespräsidenten in seinem Amtssitz zu verbessern, ohne den Spreeuferweg zu sperren. Das Schloß Bellevue braucht schußsichere Fenster, die Außenwände und der Spreeuferweg müssen beleuchtet und mit Fernsehkameras überwacht werden. Im Ostflügel sollten Nutzungen untergebracht werden, die weniger sicherheitsempfindlich sind als andere Nutzungen im Hause.

Sicherheit ist ein hohes Gut. 100prozentige Sicherheit gibt es nicht einmal in Diktaturen, in Demokratien schon gar nicht. Der Preis wäre zu hoch, nicht finanziell, sondern im Verlust an Freiheit, z.B. im Umgang der Bürger mit ihren gewählten Repräsentanten.

Es ist zu befürchten, daß die Bonner Staatssicherheitsbehörden auch bei den weiteren Planungen in Berlin ihr Unwesen treiben. Die Sicherheitsbehörden haben — das ist ihre dienstliche Pflicht — Vorschläge zu machen, wie Bundespräsident, Bundestag und Bundesregierung geschützt werden können. Zu entscheiden aber haben die Betroffenen allein. Niemand sonst. Der Bundespräsident, die Bundestagspräsidentin, der Bundeskanzler und die Fraktionsführungen müssen selbst abwägen zwischen ihren Sicherheitsbedürfnissen und der Forderung nach freiem Umgang zwischen Wählern und Gewählten.

Wenn es nach der Sicherheitsbürokratie ginge, würde im Herzen Berlins alles dichtgemacht, damit Bundestag und Bundesregierung unter sich bleiben. Nur die Lobbyisten der Wirtschaft haben freien Zutritt. Für sie gibt es keine Sicherheitszone und keine Bannmeile!

Die Vorstellung, mitten in Berlin würde eine streng bewachte Hochsicherheitszone für die Volksvertretung entstehen, ist furchterregend. Die Umwandlung der Spielwiese vor dem Reichstagsgebäude in einen »feinen« Park — übrigens völlig unhistorisch, denn eine derartige Parkanlage gab es dort nie — war das erste falsche Signal. Warum sollen die Berliner nicht auf der Wiese vor dem Bundestag Picknick machen und Fußball spielen, so wie Hunderttausende von Amerikanern in Washington, D.C. sich auf den Rasenflächen zwischen Capitol und Weißem Haus ergehen? Wenn die amerikanischen Bürger ihrem Präsidenten oder ihren Abgeordneten etwas sagen wollen, demonstrieren sie mit Transparenten vor dem Weißen Haus und dem Capitol. In Deutschland greifen Polizei und Staatsanwaltschaft ein, wenn fünf Frauen mit Transparenten vor dem Parlament stehen.

In London stehen täglich Hunderte von Menschen auf dem Platz vor dem Unterhaus. Niemand käme auf die Idee, die Downing Street zu sperren, weil dort der Prime Minister wohnt. Warum ist dieser selbstverständliche Umgang des Volkes mit seinen Vertretern nicht möglich?

Es ist die böse alte Tradition des deutschen Obrigkeitsstaates vom wilhelminischen Reich über die Nazizeit und die SED-Diktatur, das Volk von der Regierung fernzuhalten. Demokratie, das heißt Volksherrschaft, lebt vom freien Umgang des Volkes mit seiner Vertretung, vom lebendigen Meinungsaustausch, von Protest und Kritik. In polizeibewachten Sicherheitszonen erstickt die Demokratie. Der Bundestag darf nicht zulassen, daß in Berlin die Sicherheitsbeamten bestimmen, wie Demokratie stattzufinden hat. Es ist absurd: Wir bemühen uns, den Stasi-Terror der ehemaligen DDR unter Schmerzen aufzuarbeiten, während gleichzeitig unsere Staatssicherheit versucht, demokratisches Leben zu ersticken.

In der ehemaligen DDR haben die Bürger das SED-Regime durch friedliche Demonstrationen zu Fall gebracht. Es wäre schlimm, würden sich die Institutionen der Demokratie vor den Bürgern in einer Weise schützen, die eher zur SED-Diktatur paßt.

Peter Conradi ist SPD-Abgeordneter im Bundestag und Mitglied des Ältestenrates. In der taz-Rubrik »Stadtmitte« schreiben Persönlichkeiten zu den Problemen der zusammenwachsenden Hauptstadt.