Große retten, Kleine krepieren lassen?

■ Das »Intime Theater« in Kreuzberg steht vor der Pleite/ Der Senat hat 21 Millionen für den Friedrichstadtpalast übrig, kann aber unmöglich eine Viertelmillion fürs IT aufbringen / Auch Lotto und potentielle Sponsoren winken ab

Schwer zu sagen, ob wir es eher mit einer Provinzposse oder mit einem kulturpolitischen Skandal zu tun haben: Den »Friedrichstadtpalast«, für den angeblich schon vor Monaten private Interessenten gefunden waren, rettet der Berliner Senat mit 21 Millionen Mark vor dem Zusammenbruch. Für das Kreuzberger »Intime Theater« ist die lumpige Viertelmillion, die dem Haus das einstweilige Überleben sichern würde, offenbar nicht aufzutreiben.

Aus dem Topf der »Freien Gruppen« kann das »IT« nicht gefördert werden, weil es nicht in die dafür gültigen Statuten paßt. Lottoanträge führten ebenfalls nicht zum Erfolg, Sponsoren waren bisher nicht zu gewinnen. Georg Tryphon vom IT führt das Desinteresse der Wirtschaft darauf zurück, daß man sich dort offenbar von einem Theater mit weniger als hundert Plätzen zu wenig rechenbare Wirkung einer Partnerschaft verspricht — als gehe es beim Sponsoring vorrangig darum und nicht um eine moralische Schuld, die die Wirtschaft beim kulturellen Sektor der Gesellschaft zu begleichen hat.

Abgesehen von der kaum bestreitbaren Tatsache, daß jede Theaterschließung eine kleine Kulturkatastrophe ist (außer im Fall der Freien Volksbühne natürlich) — das Intime Theater ist nicht irgendein kleines Privattheater. Der Spielplan des seit April 1989 existierenden Hauses setzt Schwerpunkte bei der Förderung unbekannter deutscher Autoren, bevorzugt, wenn möglich, Ur- oder deutsche Erstaufführungen und ganz allgemein »Stücke, die auf unterhaltende Weise heutige Probleme behandeln«.

Auch nicht alltäglich für ein kleines und daher armes Theater: Maria Körber und Joachim Kerzel, beide profilierte und erfahrene Berliner Schauspieler, betreiben im Intimen Theater eine eigene Ausbildungsstätte für den Nachwuchs. Mit dem Ende dieses Hauses, das nun schon monatelang vom Zubuttern aus Kerzels und Körbers Privatgeldern lebt, würde also nicht nur eine Spielstätte, sondern auch ein bewährtes und wichtiges Modell von assoziierter Theaterproduktion und Ausbildung verschwinden.

Seit der Gründung, also in anderthalb Jahren, hat das IT seine Platzausnutzung von 38 auf 65 Prozent steigern können — eine Zahl, von der die meisten Off-Theater nur träumen können. Konkret hieße das zum Beispiel, auf zwanzig Vorstellungen für ein 100-Plätze-Haus gerechnet: Angenommen, 5 von zwanzig Vorstellungen wären ausverkauft (was natürlich eine sehr optimistische Annahme für ein kleines Theater ist), und dreimal wäre Flaute mit jeweils nur 15 Zuschauern — dann müßten in den übrigen 12 Vorstellungen immerhin 62 Leute sitzen, damit die 65-Prozent- Marke erreicht wäre. Mit anderen Worten: Die Platzausnutzung des IT ist für ein Haus dieser Art und Größe weit respektabler, als die Zahl ahnen läßt.

Der Spielplan reicht von William Mastrosimones Tagträumer (dessen männlicher Hauptdarsteller Maximilian Held inzwischen in Bern den Sommernachtstraum spielt) über (Un)glückliche Zufälle von Peter Jones und Dario Fo über Neil Simons und Marvin Hamlischs Musical Sie spielen unser Lied bis zum Portrait eines Planeten von Friedrich Dürrenmatt. Mit der voraussichtlich letzten Premiere, Kurz davor, gibt das Intime Theater der ehemaligen »Grips«- Schauspielerin Christiane Reiff Gelegenheit, ihre mit dem Ein-Frau- Stück Die da so erfolgreich begonnene Arbeit als Autorin und Protagonistin fortzusetzen.

Anfang 1992 hängt das Intime Theater immer noch in der Luft. Alle Möglichkeiten, eine wie auch immer geartete Förderung zu finden, scheinen ausgeschöpft. Selbstverständlich ist es prinzipiell albern, die Millionenkosten für großes Musiktheater aufzurechnen gegen die Bagatellsummen, mit denen ein kleines Theater gerettet werden könnte. Es soll ja beides geben in einer angeblichen Metropole. Nun hat aber der Kultursenator vor Monaten behauptet, der »Friedrichstadtpalast« werde unter privater Trägerschaft weitergeführt, der Senat also entlastet. Daß er den Mund da zu voll genommen hat, schlägt jetzt mit immerhin 21 Millionen zu Buche.

Es will mir nicht in den Kopf, daß zur gleichen Zeit lumpige 200.000 oder 250.000 für die Rettung des IT nicht da sein sollen. Vielleicht muß man andersherum denken: Private Investoren sollten das IT über die Runden retten, während der Senator damit beschäftigt ist, Riesensummen in etwas so Unbedeutendes (und vom Fernsehen genügend geliefertes) wie das Friedrichstadt-Trallala zu pumpen. Ob es so kommt oder ob der Kultursenator vielleicht doch noch ein Einsehen hat: Das Intime Theater muß gerettet werden. Klaus Nothnagel