INTERVIEW
: Bei der Feuerwehr ist die Einsatzplanung ein Sicherheitsrisiko

■ Silvester herrschte bei der Feuerwehr Ausnahmezustand/ Wolfgang Scholz, Chef der Feuerwehr, warnt, daß auch an anderen Tagen alle Rettungswagen gleichzeitig unterwegs sind/ Zu wenig Personal verschärft die Probleme noch

taz: Silvester hat die Feuerwehr den Ausnahmezustand ausrufen müssen. Hätten Sie einen größeren Brand noch schnell in den Griff bekommen können?

Wolfgang Scholz: Wir rufen Silvester grundsätzlich ab etwa 22.30 Uhr den Ausnahmezustand aus. Angesichts der Vielzahl von Einsätzen können wir dann statt mit ganzen Löschzügen auch mit einzelnen Fahrzeugen ausrücken. Für einen Großeinsatz zwischen Mitternacht und morgens halb vier hätten wir allerdings sehr stark umdisponieren müssen. Da waren keine Fahrzeuge mehr — wie wir sagen — im Stall. Wir hätten sie von Einsatzfahrten geringerer Priorität wegholen müssen.

Auch wenn Sie jedesmal in den ersten vier Stunden des neuen Jahres den Ausnahmezustand ausrufen, so mußte die Feuerwehr in der diesjährigen Neujahrsnacht doch doppelt so viele Einsätze wie 1991 fahren. Hat das keine Auswirkungen auf die Sicherheit der Stadt?

Wir haben Silvester, 23.30 Uhr, bis Neujahrsmorgen, 4.30 Uhr, um die 800 Einsätze gehabt. Wenn Einsätze länger dauerten, war eine vernünftige Arbeit kaum noch machbar — Feuerlöschen dauert länger.

Wenn mein Tannenbaum gebrannt hätte, wäre Silvester gleich meine ganze Wohnung ausgebrannt?

Während des Ausnahmezustandes hätten Sie möglicherweise eine halbe Stunde warten müssen— normalerweise kommen wir nach fünf bis zehn Minuten. Unser größtes Problem ist, daß wir drei Leitstellen haben. Einsätze werden statt zentral von drei verschiedenen Orten aus geleitet. Die Leitstelle hier in der Landesbranddirektion im Nikolaus-Groß-Weg ist von 1967. Trotz elektronischer Datenverarbeitung erfahren wir nicht über Computer, ob die Wachen, die zu benachrichtigen sind, nicht bereits andere Einsätze fahren, dies wird immer noch von Hand erledigt. Wir hatten russische Gäste aus Moskau, Petersburg — damals noch Leningrad — und Kiew hier. Die sagten, wir seien ihrer Computertechnik zehn Jahre hinterher. Daß weiß auch der Senat. Die 50 Millionen Mark für eine neue Datenverarbeitungsanlage sind deshalb seit Jahren gefordert, aber der Neubau eines Gebäudes ist bisher nicht bewilligt worden.

Bescherung ist nun gerade gewesen, aber wie steht Innensenator Heckelmann zu ihren Wünschen?

Wir sollen ein neues Gebäude bekommen. Doch das dauert.

Sie hatten nicht nur Silvester Probleme. Auch sonst kann es vorkommen, daß Ihre Leitstellen nach einem Alarm bis zu neun Wachen abklappern müssen, bis sie endlich Feuerwehrwagen und -männer bekommen. Das nennt sich dann »neunter Abmarsch«.

Die Leitstelle hat die Gesamtübersicht über alle Fahrzeuge. Neunter Abmarsch bedeutet, daß die acht von der Einsatzstelle aus gesehenen nächsten Wachen keine verfügbaren Einsatzmittel haben. Vor Weihnachten waren zum Teil alle Rettungswagen gleichzeitig unterwegs. Die Probleme verschärfen sich noch dadurch, daß der Notruf 112 im überwiegenden Teil der Ostbezirke nicht in einer Zentrale ankommt, sondern in den einzelnen zehn Berufsfeuerwehrwachen. Vor der Wende war die Arbeit mit diesem Notruf auch möglich, da hatten die Kollegen im Ostteil 30 Einsätze pro Tag — heute haben wir dort 250 Einsätze. Die Männer in den Fernmeldezentralen leisten Übermenschliches. Da kann mal was schiefgehen. Erst bis Ende dieses Jahres soll der Notruf zentral auflaufen.

Wieviel Personal braucht die Feuerwehr, damit Sie wieder in altbekannter Schnelligkeit anrückt?

280 Stellen sind unbesetzt. Die Bewerber müssen gesund sein und erst mal zwei Jahre ausgebildet werden. In unserer Schule werden jährlich nur 120 Leute ausgebildet, um aber auch die Kollegen zu ersetzen, die aufgrund ihres Alters die Feuerwehr verlassen, müßten wir jährlich 200 Leute unterrichten. Nur so könnten wir — und auch erst in fünf Jahren — einen ausreichenden Personalstand erreichen. Darüber hinaus müßten die Berufsfeuerwehren in den Ostberliner Randbezirken verstärkt werden. Auch durch den Regierungssitz kommen neue Aufgaben auf uns zu. Das Interview führte Dirk Wildt.