Narva — im Überlebenskampf

■ Wie die Elektrokonzerne den Wettbewerb auf dem Markt mit dem Berliner Glühlampenwerk und einer kleinen Kreuzberger Lampenbude vermeiden

Am 24. 12. 1924 — »Ausgerechnet zum Fest des Lichts!«, wie Rolf Schwendter in seiner Geschichte der Zukunft schreibt, beschloß das internationale Elektrokartell, die Lebensdauer der Glühlampen von 5.000 auf 2.000 Stunden herabzusetzen. 1986 befragten wir den Dichter Erich Fried über die Praktiken dieses Kartells der Elektrokonzerne. Er hatte mit sechzehn in einer kleinen jüdischen Wiener Glühbirnenfabrik »Orbis« gearbeitet und auch ein Patent besessen — die »Sockelfestigkeit« von Lampen betreffend:

»1937 war Osram maßgebend im Kartell — es stand unter deutscher Hegemonie. Überhaupt war die Kartellpolitik damals sehr merkwürdig: Beispielsweise kämpfte es gegen schon bestehende Herstellungsverfahren bei kleineren Firmen, indem es Patentprozesse anstrengte, von denen es wußte, daß sie nicht zu gewinnen waren. Aber es konnte diese Prozesse aus der ‘Kriegs-Kasse‚ bezahlen, jahrelang, und damit die betroffenen Firmen lähmen oder sogar ruinieren.« (Bismarc Media, Babelsberg, S. 26ff)

An dieser Art von Kartellpolitik hat sich anscheinend bis heute nichts geändert (auch wenn man uns in der Zentrale, in Pully bei Lausanne, erst jüngst wieder — anonym — versicherte, die International Electrical Association habe sich mit dem 31. 12. 1989 aufgelöst — vgl. dazu taz v. 29. 11. 91). Erst vor zwei Monaten schrieb der Elektrokartell-Experte Kurt Rudolf Mirow (Autor des Buches Das Atomgeschäft mit Brasilien) in einem Brief an die Präsidentin der Treuhandanstalt Brigit Breuel:

»Es besteht der Verdacht, daß dieses Kartell sich jetzt den Markt der Neuen Deutschen Bundesländer untereinander aufgeteilt hat... und daß Mitglieder der IEA erneut mit ‘combat-‚, auch ‘fighting proceedings‚ genannt, gegen sogenannte ‘non- members‚ vorgehen... Es wäre bedauerlich, wenn auf Grund der Unkenntnis der Organisationsformen der Elektroindustrie jetzt möglicherweise maschinell veraltete, aber doch sanierungsfähige Betriebe geschlossen würden, die Mitglieder der IEA einmal Paroli und Wettbewerb bieten könnten. Da alle Untersuchungen zeigen, daß es in der Elektroindustrie nie eine Marktwirtschaft gegeben hat, werden sich die Probleme der ostdeutschen Unternehmen vorerst nicht mit reinen marktwirtschaftlichen Instrumenten lösen lassen.«

Gegenwärtig finden angeblich Verhandlungen zwischen Treuhand, Kartellamt und den Kartell-Konzernen (Siemens-Osram, AEG und ABB) statt. Aber nicht nur gegen die ehemaligen DDR-Kombinate, auch gegen kleine westdeutsche Elektrobetriebe geht die IEA noch genauso vor, wie vor dem Krieg von Erich Fried erlebt. So hatte zum Beispiel der Westberliner Erfinder Dieter Binninger Mitte der achtziger Jahre Siemens-Osram ein Patent zur »Verlängerung der Lebensdauer von Allgebrauchsglühlampen« (auf 5.000/100.000 und 150.000 Stunden) angeboten, das insbesondere für den Einsatz in Ampelanlagen sinnvoll war und ist. Der Konzern hatte abgelehnt. Binninger hatte daraufhin angefangen, sich in Kreuzberg eine eigene Produktionsanlage dafür aufzubauen. Bei der Beschaffung von Glasbulbs und Getterpaste wurde er von den europäischen Marktbeherrschern — Osram und Philips — boykottiert.

Später meinte man dazu im Bundeskartellamt am Platz der Luftbrücke: »Das wäre eigentlich ein Fall für uns gewesen.« Zum Glück für Binninger kaufte kurz darauf General Electric sich bei Tungsram-Budapest ein, und die hatten ein Interesse daran, in die Osram- und Philips- Märkte einzubrechen. Sie belieferten Binninger sofort. Der nannte seine Langlebensdauerglühlampen dann »Vilux« — und bekam deswegen sogleich erneut Ärger mit Osram, denen der Name zu nahe an ihren »Bilux«-Birnen lag.

Dazu befragten wir Dieter Binninger Ende vergangenen Jahres: »Das wissen die eigentlich auch, daß man das praktisch nicht verwechseln kann — Vilux und Bilux. Aber sie wollten mir auf alle Fälle einen Tritt in den Hintern verpassen. So macht man die kleinen Leute auf Dauer fertig. Wenn Sie so einen Brief von der Osram-Rechtsabteilung morgens auf dem Schreibtisch liegen haben, dann ist doch erst mal der Tag gelaufen, das können Sie sich doch vorstellen...«

Binninger hatte weder das Geld noch die Muße, den 500.000 DM- Streit vor Gericht auszufechten und änderte zähneknirschend den Namen auf Briefpapier, Verpackung, Birnen, Stempel etc. in »Vilum«.

Die Bezeichnung »Langlebensdauerglühlampe« hatte er von Narva, dem Ostberliner Glühlampenwerk: die hatten Anfang der achtziger Jahre ihre von Tungsram übernommenen »Resista«-Lampen so genannt. Sie hielten 2.500 Stunden. Schon damals, als Narva sie erstmalig auf der Leipziger Messe vorstellte, hatte ein Osram-Direktor geunkt: »Ihr wollt euch wohl alle arbeitslos machen...« (Osram-Birnen halten seit der letzten Stromspannungserhöhung nur noch zirka 700 Stunden!) Nach der Wende gelang es den Siemens-Managern in der Treuhand, Narva auf die Abwicklungsliste zu setzen, was Rohwedder dann aber wieder rückgängig machte. Im zweiten Anlauf versuchten sie insbesondere den einzigen Narva-Bewerber aus der Branche, die japanische Firma Phoenix Electric, mit »Patentproblemen« aus dem Rennen zu drängen.

Dabei ging es jedoch nicht um Glühbirnen, sondern um sogenannte Energiesparlampen, die bei Narva seit 1990 auf einer neuen Osram-Fertigungsstrecke produziert wurden und mittlerweile reißenden Absatz finden. Die eigentlichen Patente dafür liegen bei Philips, aber Osram besitzt für seine einen Geschmacksmusterschutz. Dem Berliner Glühlampenwerk gelang es, diese Ansprüche zu umgehen, indem es einfach statt eines runden Sockels einen achteckigen verwendete.

Bei der deutschen Philips Lighting Division, wo man angeblich keinen Pfifferling mehr auf Narva gibt, erwog man statt dessen, beim Kartellamt gegen das Berliner Glühlampenwerk zu klagen. Man ging davon aus, daß bei der veralteten Narva- Produktionstechnik die Lampenpreise sozusagen von der Treuhandanstalt subventioniert sein müßten (und vergaß schlicht, daß auch die Löhne im BGW entsprechend »veraltet« sind und die dort Beschäftigten zur Zeit jedenfalls noch ein bißchen mehr motiviert sind als bei Philips!).

Osram versuchte derweil, den japanischen Konkurrenten Phoenix direkt anzugehen: In der Konzern-Zeitung 'Osram-Nachrichten‘ (2/91) ist von einem »Patentkrimi« die Rede: »Wie er sonst so spannend nur im ‘white collar‚-Genre des Fernsehens läuft.« Der Tatort war die Hannovermesse 1991, und es ging um »die kleinste Halogendampflampe der Welt«, die »Powerstar HQI-T«. Der Artikel beginnt mit dem Satz: »Es ist bekannt«, daß Japaner Schlitzohren haben, nein: »gerne und mit Erfolg schwierige Produkte nachmachen, in die der Urheber erheblichen Aufwand für Forschung und Entwicklung investiert hat.« Das war zwar einmal, ist heute aber nurmehr frommer Selbstbetrug: Bekannt ist vielmehr, daß zum Beispiel die japanischen Elektronikentwickler dem Rest der Welt gute zehn Jahre voraus sind und die europäischen Elektrokonzerne viele Produkte unter ihrem Namen bloß noch verkaufen, wenn sie sie nicht auf in Japan gekauften Maschinen in Lizenz herstellen. Erwähnt seien nur die Telefax-Geräte, die schon weltweit in Benutzung waren, als Siemens noch seine Telex- Großmaschinen verbesserte. Bei Siemens ließ man sich jüngst eine weitere Variante einfallen, um den japanischen Vorsprung aufzuholen: Bei den Werken für passive Bauelemente übernahm Matsushita 50 Prozent der Anteile. Zum selbstinszenierten Powerstar-Lämpchenkrimi schreibt der Osram-Nachrichtenredakteur mit bedauernswert angeknackstem Selbstbewußtsein: »Eine schnelle, schlagkräftige Aktion hat unser Unternehmen vor Schaden bewahrt.«

Mit »schlagkräftig« meint er den dünnen Schriftsatz der Siemens-Anwälte, der drei Braunschweiger Richter bewog, »unmittelbar auf der Hannovermesse zu tagen« — und ein »Versäumnisurteil« auszusprechen: »Eine Ausfertigung des Urteils wurde dem Gegner am selben Tag um 15.25 Uhr zugestellt. Kurze Zeit danach waren die nachgemachten Powerstars vom Phoenix-Stand verschwunden.« Das Abendland kann echt stolz auf Siemens sein! Phoenix- Deutschland-Chef Kazuhiko Kobayashi nannte Osrams Weltsicht und -handeln einfach »kindisch« und »albern«.

Eher »link« benahmen sich Osram und Philips sodann gegenüber der ehemaligen Glühbirnenfirma Dieter Binningers, der Anfang des Jahres mit seinem Flugzeug abgestürzt war, nachdem er sich um den Kauf Narvas beworben hatte. Seine Firmenerben hatten mittlerweile die Langlebensdauerglühlampenfertigung fast eingestellt und verkauften statt dessen in China hergestellte Energiesparlampen namens »Vidilum«. Dieses Geschäft hatte seinerzeit noch Binninger selbst angeschoben, zusammen mit einer chinesischen Handelsvertreterin, Miß Zou, wobei sie einige Verbesserungen beziehungsweise Veränderungen gegenüber den für den chinesischen Inlandsmarkt hergestellten durchsetzten. Im Sommer dieses Jahres hatten die »Vidilum«- Vertreter sich so weit vorgearbeitet, daß sie die ersten Aufträge von Großabnehmern (wie Bauhaus zum Beispiel) aquirieren konnten. Ende November nun machten die Osram GmbH und die Philips Gloeilampenfabrieken plötzlich Geschmacksmusterschutz beziehungsweise Patentrechte gegenüber den Binninger- Lampen geltend. Es ging dabei um einen Streitwert von insgesamt 2.250.000 Mark. Wenig später meldete sich auch noch das Bauhaus: »Hiermit stornieren wir die Aufträge aller noch nicht ausgelieferten Energiesparlampen wegen der anstehenden Philips-Einwendung...« und im Vertrag mit dem Nürnberger Ring, einer Lieferfirma für Handwerksläden, drohte im Falle einer Nichteinhaltung der Lieferfristen eine Vertragsstrafe von 135.000 Mark. Zuerst einmal gaben die Landgerichte in Hamburg und Köln den einstweiligen Verfügungen von Osram und Philips statt.

Wohl um zu testen, ob »Vidilum« sich auch an das verfügte Auslieferungsverbot hielt, bestellte die Berliner Flughafen-Gesellschaft draufhin 110 Lampen, die sie sofort geliefert haben wollten. Der Diplomphysiker und Energiesparlampen-Verbesserer Hartmut Schmidt entwarf dann eine Entgegnung auf die von Osram »wegen Geschmacksmusterverletzung und unlauteren Wettbewerb« eingereichte Klage. Er thematisierte darin im wesentlichen drei Differenzpunkte: Lüftungslöcher, eine andere Deckelform und runde Doppelrohre — im Gegensatz zu den eckigen der Osram-Lampen. Wobei letztere einen anderen Herstellungsprozeß voraussetzten. Außerdem hob er hervor, daß der Geschmacksmusterschutz immer einen über das funktionale Mindestmaß hinausgehenden designerischen Zusatzaufwand erfordere. In einem Schreiben an die OMPI (Organisation Mondiale de la Properieté Intellectuelle) in Genf bat er deswegen auch um Anerkennung des Geschmacksmusterschutzes für die Osram-Energiesparlampen. Das Kölner Gericht gewährte dann zwar eine »Aufbrauchfrist« bis Ende Januar 92, bürdete aber der Firma Vidilum die Kosten des Verfahrens (15.000 Mark) auf. Immerhin konnte damit nunmehr der Nürnberger Ring wieder beliefert und eventuell auch der Anschlußauftrag der Bauhaus AG erledigt werden.

Die Philips-Klage wird erst Ende Januar verhandelt werden. Zur Untermauerung ihrer Argumentation hatten sie bereits eine eidesstattliche Erklärung eines Philips-Ingenieurs aus Eindhoven eingereicht, in der Diplomphysiker Hartmut Schmidt jedoch eine mindestens leichtfertige Festlegung auf »zwei Kolben« erkannte, wo es sich bei der Vidilum jedoch in Wahrheit nur um einen mit zwei Heizelektroden handelte (sonst müßte man dafür auch zweimal Leuchtmittelsteuer — je 130 Mark plus 14 Prozent Mehrwertsteuer zahlen). Dies würde dann im weiteren zu einer Verwechslung von — im Patentrecht klar definierten — »Kolben-Teilen« mit »Kolben-Abschnitten« führen. So weit in etwa die Argumentationslinien. Der Prozeß — wie gesagt — steht noch aus, auch ob die Vidilum-Anwälte, Patentrechtler aus Bremen, Hartmut Schmidts Scharfsinn überhaupt folgen werden. Der geniale Physiker wittert schon wieder eine Verschwörung sowohl hinter den Kölner Richtern als auch hinter den Bremer Patentanwälten. Tatsächlich scheint hinter der konzertierten Osram-Philips-Klage gegen Vidilum mehr zu stecken, als auf den ersten Blick sichtbar ist: Zum einen hat sich Vidilum-Geschäftsführer Weise immer bester Beziehungen zur Philips-Geschäftsführung gerühmt und zum anderen vertreibt seine Firma nach wie vor jede Menge Philips-Produkte. Im übrigen läßt auch Philips die Doppelrohre für seine Energiesparlampen in China produzieren.

Und die kleine westdeutsche Lampenfirma »Merkur«, mit der Binninger früher Geschäfte machte, und in der nach der Wende etliche Narva-Kader Anstellung fanden, wurde gerade — nach Patentrechtsstreitigkeiten mit Osram, Philips und Vidilum — liquidiert. Als wir neulich jemanden aus der Siemens- Rechtsabteilung um Klärung dieses Kuddelmuddels angingen, bekamen wir bloß zu hören: Das sei alles noch zu heiß — jetzt »eine falsche Bewegung und wir werden alle vorzeitig pensioniert!« Helmut Höge

(Contact-Man of the Mob)