Zumeist vollziehen sich die Veränderungen in der bundesrepublikanischen Sicherheitspolitik nicht von heute auf morgen, sondern eher schleichend. Im Falle der Übernahme der Bahnpolizei durch den Bundesgrenzschutz (BGS) geschieht dies derzeit zudem in einem Bereich, dem nicht allzuviel Bedeutung beigemessen wird und der dem öffentlichen Interesse daher leicht entgeht.  ■ VON OTTO DIEDERICHS

Als das Bundesinnenministerium 1987 die „Arbeitsgruppe BGS 2000“ einsetzte und ihr die Aufgabe übertrug, angesichts der absehbaren Aufhebung der EG-Binnengrenzen infolge des sogenannten „Schengener Abkomens“ Zukunftsplanungen für den Bundesgrenzschutz zu betreiben, kamen den Planern u.a. auch alte Überlegungen der Deutschen Bundesbahn wieder in den Sinn. Um aus „unternehmerischen Gründen“ rund 20 Millionen DM im Jahr einzusparen, überlegte man bei der Bahn nämlich schon des längeren, den Bahnfahndungsdienst aufzulösen und dessen bisherige Aufgaben künftig von der regulären Polizei wahrnehmen zu lassen. Diese Bahnfahnder, bundesweit zirka 220, sind Bestandteil der rund 2.700 Mann starken Bahnpolizei. Ebenso wie diese sind auch sie ursprünglich gelernte Eisenbahner mit einer zusätzlichen Sonderausbildung.

Geschichte und Aufgaben der Bahnpolizei

Ein eigener Fahndungsdienst der Bahn wurde bereits kurz nach Beendigung des Ersten Weltkrieges eingerichtet. Bedingt durch die damalige wirtschaftliche Notlage der Bevölkerung nahmen Transportdiebstähle derartig zu, daß sich die Bahnführung zu einer eigenständigen Bekämpfung entschloß und hauptamtlichen Bahnpolizisten nun auch Fahndungsaufgaben übertrug. Die Ermächtigungsgrundlage für diesen Schritt entnahm man dem Gesetz über den Belagerungszustand. Später dann wurden diese Beamten zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gliederte man den Fahndungsdienst aufgrund eines alliierten Kontrollratsbeschlusses im September 1946 als „Bahnkriminalpolizei“ in die Bahnpolizei ein. Im März 1953 wurde daraus dann der heutige „Bundesbahnfahndungsdienst“. Die Bahnfahnder verfolgen Unregelmäßigkeiten und Straftaten (Betrug, Diebstahl, Unterschlagung etc.) im Bereich des Güterverkehrs. Doch auch Fahrkartenfälschungen u.ä. fallen in ihre Zuständigkeit. Mit ihren uniformierten Kollegen, denen hauptsächlich Sicherheits- und Werkschutzaufgaben im Bereich der Bahnhöfe, Bahnanlagen und Güterschuppen obliegen, teilen sie sich zudem die Sicherung von Gepäckschließfächern und die Verfolgung von Graffitti-„Künstlern“. Die für ihre speziellen Aufgaben notwendige Zusatzausbildung dieser Eisenbahner erfolgt an der Bahnpolizeischule im bayerischen Freimann. Jährlich wurden dort zirka 800 Beamte aus- und weitergebildet sowie etwa 160 Hunde für den Einsatz trainiert.

Im Gegensatz zur blauuniformierten Bahnpolizei, deren Kompetenzen an den Grenzen der Bahnanlagen enden, haben die Männer von der „Bahnkripo“ auch das Recht, außerhalb des Bahngebietes tätig zu werden — bis hin zur Festnahme. Allerdings muß der Grund für ihr Einschreiten immer von einem Delikt ausgehen, das die Bundesbahn betrifft. Offiziellen Angaben aus dem Herbst 1987 zufolge bringt die Tätigkeit der Fahnder jährlich etwa 6,9 Millionen DM zurück in die Bahnkassen, während an Gehältern usw. im gleichen Zeitraum rund 19,5 Millionen DM aufgewendet werden mußten. Dieses Geld sollte nach dem Willen der Bundesbahn nun eingespart werden.

Bonn denkt nach

Standen die Innenminister diesem Plan auf ihrer Sitzung im Oktober 1987 noch ablehnend gegenüber, weil dies „aus polizeilicher Sicht nicht für vertretbar“ gehalten wurde, so hat sich die Meinung in dem, zu jener noch von dem CSU-Hardliner Friedrich Zimmermann geführten Innenministerium, dann doch recht schnell geändert. Von der Bitte der Innenministerkonferenz (IMK), der Bundesinnenminister möge mit seinem Kollegen Warnke vom Bundesverkehrsministerium und dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn Gespräche aufnehmen, um sie zur Rücknahme ihrer Pläne zu bewegen, war plötzlich keine Rede mehr. Statt dessen wurde nun eine interministerielle Arbeitsgruppe aus Vertretern des Innen-, Verkehrs-, Justiz- und Finanzministeriums gebildet, die prüfen sollte, wie man nicht nur die Bahnkripo übernehmen könnte, sondern gleich auch die gesamte Truppe, um sie dann als geschlossene Einheit in den Bundesgrenzschutz einzugliedern.

Die Schengener Verträge und „BGS 2000“

Für den Bundesgrenzschutz machten solche Überlegungen durchaus einen Sinn. Die Bemühungen um den Abbau der EG-Binnengrenzen im Rahmen des Schengener Abkommens waren für ihn eine Katastrophe, denn ohne eine „organisatorische und personalwirtschaftliche Neuordnung“, sprich Personalabbau, würde das kaum zu bewerkstelligen sein. So bildete man im Bundesinnenministerium 1987 die eingangs erwähnte Arbeitsgruppe „BGS 2000“. In einem, dem Bundestagsinnenausschuß im September 1988 vorgelegten Papier des BMI wurde u.a. konstatiert, daß der für das Jahr 1993 geplante Grenzabbau in erheblichem Umfange BGSler von bisherigen Aufgaben freisetzen würde: 760 Beamte und zirka 190 Arbeitnehmer des Grenzschutzeinzeldienstes allein durch die Öffnungen zu Frankreich und den Beneluxstaaten, hatte der damalige Innenstaatssekretär Carl-Dieter Spranger in einer Studie vom 6. Juli 1988 errechnen lassen.

Da an den schwerbefestigten Grenzen zur damals noch existenten DDR und zur CSSR nur ein geringer Anteil des BGS-Verbandspersonals gebunden bleiben würde und auch polizeiliche Großlagen nach 3 (Notstands- und Verteidigungsfall) und 9 BGS-Gesetz (Unterstützung der Polizeien der Länder) „keine Tagesaufgaben“ darstellten, müsse nun „ein entsprechender ,Aufgabenbedarf‘ begründet werden“. Zu denken, so das Papier, sei etwa an eine Ausweitung der Aufgaben im sog. polizeilichen Einzeldienst, an eine Übertragung von Aufgaben des Personenschutzes nach 9 des BKA-Gesetzes, eine Übernahme des Haussicherungsdienstes des Bundestages, eine Übernahme von Luftsicherheitsaufgaben nach 29c LuftVG und eben an eine Übertragung der bahnpolizeilichen Aufgaben auf den BGS.

In dieser Situation war der Fall der innerdeutschen Grenze für die abwicklungsbedrohten Grenzschützer direkt ein Glücksfall. Begünstigt durch das plötzliche Sicherheitsvakuum und den damit verbundenen sprunghaften Anstieg der Kriminalität in den Ländern der früheren DDR ging der BGS nach Osten. Unter der Anleitung von rund 400 bundesdeutschen BGS-Beamten wurde der „BGS Ost“ aufgebaut, in den auch ehemalige Angehörige der DDR- Grenztruppen, der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee (NVA) Aufnahme finden sollten. Die angestrebte Stärke des BGS-Kommandos Ost wird auf ein Planstellensoll von 8.300 beziffert.

Auf lange Sicht bedeutsamer als die schlichte räumliche Ausdehnung der BGS-Zuständigkeiten dürfte indes die inhaltliche Erweiterung sein. Gestützt auf die Bonner Vorplanungen und begünstigt durch die unbrauchbar gewordenen alten DDR- Polizeistrukturen übernahm der Bundesgrenzschutz im „Beitrittsgebiet“ gleich auch Aufgaben der Flugsicherung sowie die Aufgaben der ehemaligen Transportpolizei der Ex- DDR. In Berlin ist der BGS seither im Ostteil der Stadt für die Sicherheit auf den U- und S-Bahnlinien zuständig, während diese Aufgabe im Westteil von privaten Sicherheitsdiensten im Auftrag der BVG (unter teilweiser Unterstützung durch die Polizei) wahrgenommen wird.

Eine uniformierte Bundespolizei

Die Bonner Pläne allerdings gingen von Anfang an weiter. So soll beim BGS-Kommando in Berlin-Ahrensfelde eine 600 Mann starke Abteilung aufgebaut werden, deren ausschließliche Aufgabe künftig darin bestehen soll, die bisherigen bahnpolizeilichen Aufgaben im Großraum Berlin zu übernehmen. Überhaupt sahen die Ministerialen im Innenministerium die neue Situation im Osten wohl eher als einen Probelauf für eine letztendliche Ausweitung auf das gesamte Bundesgebiet an. Einen entsprechenden Vorschlag ihres für Polizeifragen zuständigen Arbeitskreises II (AKII) nahm die Innenministerkonferenz auf ihrer Sitzung Anfang Mai 1991 grundsätzlich zustimmend zur Kenntnis. Am 15. Mai wurde daraufhin ein Gesetzentwurf zur Änderung des BGS-Gesetzes durch das Bundeskabinett beschlossen, der zwei Monate später im Bundesrat wegen der, mit der vorgesehenen Übernahme der bahnpolizeilichen Aufgaben verbundenen Kollision mit den Zuständigkeiten der Länderpolizeien, jedoch an verfassungsrechtlichen Bedenken scheiterte. (Eine Übertragung der Luftsicherungsaufgaben hingegen wurde auch von den Bundesratsmitgliedern befürwortet.)

Die für den September vorgesehene Beratung des Gesetzes wurde zunächst ausgesetzt und der Entwurf erst einmal an die zuständigen Ausschüsse weitergeleitet, ohne daß dies jedoch an den Plänen der Bundesregierung grundsätzlich etwas änderte. Mitte November stimmte der Bundestag dem „Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz“ dann auch mit den Stimmen aller Fraktionen zu. Schon vorher redeten Bonner Offizielle ebenso wie Polizeigewerkschaftler zunehmend von einer „Bundespolizei“ wenn vom BGS die Rede war.

Auch die im Zuge der notwendig gewordenen Umstrukturierung des BGS vorgenommene Umbenennung der Grenzschutzkommandos in „Grenzschutzpräsidien“ zeigt nach Aussagen eines Personalratsmitgliedes des BGS-Kommandos in Ahrensfelde den Willen des BGS weiter in Richtung auf eine Bundespolizei zu gehen. Von den (Ex-)Eisenbahnern der Bahnpolizei haben sich unterdessen rund 90 % für einen Wechsel in den BGS ausgesprochen — und so verrichteten im März 1991 schon einmal die ersten 34 von insgesamt 400 ehemaligen „Trapos“ aus Leipzig, Magdeburg Brandenburg und Halle ihre „Schnüffellehre“ auf Münchner Bahnhöfen; gewandet zwar noch in das Blau der DDR- Transportpolizei aber bereits versehen mit den Hoheitszeichen des BGS.

Schlußbetrachtung

Am 19. Dezember 1991 stimmte auch der Bundesrat den Bonner Plänen — gegen die Stimmen von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und dem Saarland — zu. Ein Versuch der Düsseldorfer Regierung, Zeit zu gewinnen und das Gesetz in den Vermittlungsausschuß zu überstellen, scheiterte an Hessen. Zu verführerisch war für dortige rot-grüne Koalition offenbar die Aussicht, die horrenden Kosten für die Sicherung des Frankfurter Flughafens auf den Bund abwälzen zu können, als daß grundsätzliche Bedenken noch ins Gewicht hätten fallen können.

Mit der ursprünglichen Planung, wonach der BGS seine neuen Aufgaben zum 1. Januar 1992 aufnehmen sollte, wäre es ohnehin nichts geworden, da das neue Gesetz nicht rechtzeitig hätte in Kraft treten können. Doch was hätten einige Wochen schon ausgemacht, dem seit der Regierung Adenauer immer wieder aufgewärmten Traum von einer uniformierten Polizei in unmittelbarer Befehlsgewalt des Bundesinnenministers endlich Gestalt zu geben? Auf die bisherige föderale Struktur der deutschen Polizei, hätte dies auf Dauer nicht ohne Folgen bleiben können. Das Machtgefüge zwischen Bund und Ländern würde sich im Polizeibereich beträchtlich in Richtung auf den Bund verschieben. Das haben unterdessen offenbar auch die SPD-Genossen in Düsseldorf erkannt, die das Gesetz nun im letzten Moment vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen wollen.

Die Folgen, die ein Scheitern in Karlsruhe langfristig für das pluralistische System der BRD nach sich ziehen würde, lassen sich gegenwärtig nur schwer absehen. Berechnet allerdings haben die Macher am Rhein bereits die finanziellen Aufwendungen für ihre Großmannsträume. So heißt es in der Beschlußempfehlung an den Bundestagsinnenausschuß vom 12.11.91 u.a.: „Bei Übernahme der bahnpolizeilichen Aufgaben im früheren Bundesgebiet werden im Bundeshaushalt zusätzliche Ausgaben in Höhe von 165 Millionen DM jährlich entstehen. Der Wirtschaftsplan der Bundesbahn wird demgegenüber um die Kostensätze für die Bahnpolizei und den Fahndungsdienst „entlastet“; die Kosten für die Flugsicherung werden bundesweit mit zirka 135 Millionen DM angegeben.

Doch zumindest für den Bereich der Bahn ist dies eine Milchmädchenrechnung. Nicht erwähnt wird nämlich, daß die neue „Bundespolizei“ für Werkschutzaufgaben wie etwa die Sicherung von Güterschuppen u.ä. nicht mehr zuständig wäre. Hierfür müßte die Bahn dann mit Millionenaufwand private Wachunternehmen anheuern. Da jedoch ohnehin geplant ist, die Bahn insgesamt stärker zu privatisieren (vgl. taz vom 20.12.91) wird dieser Posten offenbar gleich mitverramscht.

Der Autor ist Redakteur des in Berlin erscheinenden 'Informationsdienstes Bürgerrechte & Polizei/CILIP‘.