Serben uneins über drittes Jugoslawien

Während es an der Front nur noch zu kleineren Scharmützeln kommt, ist die innenpolitische Szene in Serbien in Bewegung geraten / In der Armee und bei Politikern wird über Neujugoslawien dabattiert  ■ Aus Novi Sad Roland Hofwiler

Auch die Menschen in der zu Serbien gehördenden Region Wojwodina sind noch skeptisch. Aber langsam beginnen einige zu glauben, was nun stündlich aus den Radiosendungen dröhnt: bald werden Truppen der UNO nach Kroatien einrücken. Zunächst wollten die Vereinten Nationen 10.000 Friedenssoldaten für sechs Monate in die umkämpften Gebiete schicken. Zur Überbrückung der Zeit bis zum Eintreffen der UNO-Soldaten sollten zunächst 50 Militärbeobachter nach Kroatien geflogen werden.

„Wenn sie nun schon da wären“, sagt ein Mann, der in einer Kneipe den Nachrichten lauscht. Denn sein Sohn, der wie die ganze Familie der ungarischen Minderheit angehört, ist erst vor kurzem in die Armee eingezogen worden. „Warum soll er gegen die Kroaten kämpfen“, flüstert er, als niemand in der Nähe ist.

An der 600 Kilometer langen Front im nahe gelegenen Slawonien schwiegen am Montag die Waffen. Kommandeure der kroatischen Streitkräfte trafen mit Beobachtern der EG Vorbereitungen zur Erneuerung von Telefonverbindungen, damit bei Verletzungen der Feuerpause zunächst Gespräche aufgenommen werden können, heißt es in den Nachrichten. Und Freude kommt bei dem Mann auf, als er erfährt, daß der serbische und der kroatische Kommandant des östlichen Frontabschnitts sich im ungarischen Pecs treffen werden, um mögliche Waffenstillstandsverletzungen zu besprechen.

Bei serbischen Bekannten in Novi Sad, die der demokratischen Opposition angehören, wird noch über ein anderes Thema diskutiert. Denn am Freitag hat eine Konferenz über die „Zukunft eines dritten Jugoslawien“ in Belgrad stattgefunden, zu der fast 200 Vertreter serbischer Organisationen geladen waren. Soll ein neues, kleineres Jugoslawien entstehen, oder ein Großserbien? „Das Ziel von Milosevic, ein neues Jugoslawien aus der Taufe zu heben, hat doch keine Zukunft. Ich bin für ein Serbien, das mit den anderen Völkern eine Föderation bildet, aber nicht mehr“, sagt Jovanka. Auch andere sehen es als Problem an, daß Serbien zusammen mit Montenegro und den serbisch besiedelten Gebieten in Kroatien und Bosnien ein neues Jugoslawien bilden sollen. Denn, so zitieren sie den charismatischen Vorsitzenden der Serbischen Erneuerungsbewegung, Vuk Draskovic, diese Idee eines neuen Jugoslawien könne den Waffenstillstand wieder gefährden. „Dies ist der Versuch des Milosevic-Regimes, mit bolschewistischen Methoden einen Staat zu errichten, der nur aus filialen und ideologischen Verbündeten bestehen soll.“ Diese Staatsgründung eröffne einer Ausweitung des Krieges Tür und Tor, trage den Krieg nach Bosnien, in die Wojwodina und nach Kosovo, da alle Nichtserben gegen diesen neuen Staat Sturm laufen würden. Vuk Draskovic, so seine Anhänger, habe sogar zur Desertion der serbischen Soldaten aufgerufen, und er habe recht. Ähnlich habe auch Zoran Djindjic, der Vizepräsident der Demokratischen Partei, argumentiert, wirft einer ein, ein neuer Vielvölkerstaat würde dann geboren, in dem die Serben nur über eine knappe Mehrheit verfügten und alle anderen Völker rechtlos wären.

Doch diese Meinungen sind im heutigen Serbien noch in der Minderheit. Die große Debatte innerhalb der Machtgruppen spielt sich zwischen „Großserben“ und „Neujugoslawen“ ab. Es ist längst kein Geheimnis mehr, daß in der jugoslawischen Bundesarmee drei divergierende Strömungen vorherrschen, die sich in der serbischen Innenpolitik wiederfinden. Da sind zum einen die „Großserben“ um General Blagoje Adzic und Marko Negovanovic, die ganz offen mit den serbischen Freischärlergruppen um „Captain Dragan“ und „Vukovar-Befreier“ Zeljko Raznjatovic-Arkan kooperieren und die unverhüllt ein Großserbien anstreben, das bis auf sechzig Kilometer an Zagreb heranreichen soll. Ihnen treu verbunden sind die beiden „Präsidenten“ der selbsternannten „autonomen serbischen Gebiete“ Kroatiens, der Krajina und Slawoniens, Milan Babic und Goran Hadzic. Diese Gruppe lehnte in Belgrad auch strikt den Milosevic-Plan ab, Goran Hadzic war erst gar nicht zur Konferenz erschienen.

Ein „gemäßigteres“ Lager schart sich um Verteidigungsminister Veljko Kadijevic, Slobodan Milosevic und den serbischen Tschetnik- Führer Vojislav Seselj. Obwohl gerade von Seselj das geflügelte Wort stammt, „Kroatien umfaßt das Gebiet, das man vom Turm der Zagreber Kathedrale aus übersehen kann“, schwenkte dieser Rechtsextreme verbal auf Milosevic um. Davon ist nicht nur Vuk Draskovic überzeugt: „Das Duett Milosevic-Seselj hält die Entscheidung Krieg oder Frieden in ihren Händen.“ Der Rechtsextreme, der einst erklärte, „Jugoslawien ist tot, es lebe Serbien“ nahm nun das Wort Jugoslawien wie selbstverständlich in den Mund.

Ein dritte Strömung gruppiert sich um Ex-Verteidigungsminister Branko Mamula, der „Bewegung für Jugoslawien“, der „Partei der Jugoslawen“, der „Jugoslawischen Front der Werktätigen“ und anderen Gruppen aus der Tito-Zeit. Für sie heißt der Traum nach wie vor: Jugoslawien in verkleinerter Form. Und sie übten in Belgrad scharfe Kritik an Slobodan Milosevic. Der Vorsitzende der „Jugoslawischen Front“, Zvonko Tarle, will, daß allen Serben das Recht zugestanden wird, in einem Staat zu leben, doch dieser Staat sollte auch allen nationalen Minderheiten „großzügige Minderheitenrechte“ zugestehen. Für Tarle und Branko Mamula geriet Milosevic zu sehr ins Fahrwasser extremer Serbenkreise, „zum Verhängnis der serbischen Frage“ (Mamula).