: Der tragische Fall des einsamen Königs
■ Der sichtbare Irrsinn des georgischen Präsidenten ist den diktatorischen Strukturen und dem politischen Denken, das ihnen entspricht, zuzurechnen, und nicht der Person Swiad Gamsachurdias
Königsdämmerung über Tiflis. Die Szene paßt in eines der schauerlichen Königsdramen des elisabethanischen England — sei es, daß der gute König sich gegen seine verräterischen Freunde im Palast verschanzt hat, wie es Gamsachurdia und seine Anhänger sehen; sei es, daß sich der Tyrann seiner Entthronung durch Bluttaten entziehen will, wie seine Gegner annehmen. Es fehlt im Drama nur die Lady; aber die Schriftsteller, die sich des Schicksals Gamsachurdias bemächtigen werden, könnten sie hinzudichten.
An Tiefe wird es einem solchen Stück auf keinen Fall mangeln, denn der Fall ist tragisch. Gamsachurdia ist kein abgefeimter Schurke, der sich den Weg an die Macht über schmutzige Tricks und Morde gebahnt hat. Er ist kein Sergo Ordshonikidse und kein Iosif Dshugaschwili, kein Saddam Hussein und kein Nicolae Ceausescu. Der sichtbare Irrsinn des georgischen Präsidenten ist den diktatorischen Strukturen und dem politischen Denken, das ihnen entspricht, zuzurechnen, nicht der Person.
Es sind die persönlichen Stärken, die Gamsachurdia zur negativen historischen Gestalt machten. Jahrelang hatte er im Kampf für Freiheit und Menschenrechte gelitten, ohne einen Sieg einkalkulieren zu können. Er war, wie einige andere Dissidenten, eine durchweg moralische Persönlichkeit, die sich durch ihr Engagement in hoffnungsloser Zeit die Legitimation für eine politische Führungsrolle erworben hatte. Was Gamsachurdia von den meisten seiner Zeitgenossen unterschied, war die Unbedingtheit seines moralischen Engagements.
Eine solche Unbedingtheit läßt sich aber nicht ablegen, sobald die politische Herrschaft errungen ist. Für die ungeschmälerte Herrschaft des Rechts und der Wahrheit hatte Gamsachurdia unter Einsatz seines Lebens gekämpft. Und dafür setzte er den Kampf auch dann fort, als er die alten Gefährten zum Feind überlaufen sah. Gamsachurdia, der gegen einen scheinbar allmächtigen und allwissenden Gegner gekämpft hatte, glaubte nun feststellen zu müssen, daß dieser längst maskiert in seine Umgebung eingedrungen war.
In vielen Interviews hatte Gamsachurdia zwei Argumentationsfiguren wiederholt, die sein Denken offenbar tatsächlich bestimmten. Die eine war, daß alle seine Gegner Verräter und Schurken seien; die zweite, daß sie im Dienste des äußeren Feindes standen. Es war Gamsachurdia schon 1990, noch bevor die Herrschaft der KP in Georgien richtig gebrochen war, klar, daß Gemäßigte wie Bakradse oder Radikale wie Tschanturia und alle anderen, die gegen ihn opponierten, wissentlich oder unwissentlich Werkzeuge des sowjetischen Zentrums waren. Nachdem dieses Zentrum gefallen war, übernahm Jelzin die Rolle des Oberteufels, die zuvor Gorbatschow innegehabt hatte.
Die Suche nach einer auswärtigen schuldigen Kraft gehörte zum Denken Gamsachurdias. Aber diese Denkform durchzog die ganze sowjetische Geschichte. Sie bestimmte die Stalinsche Repression und die sie überdauernde offizielle Propaganda. Zu ihr gehörte auch die Pogromstimmungen vorbereitende Dämonisierung nationaler Minderheiten oder ganzer Nationen, wie der Russen. So waren für Gamsachurdia neben den Russen auch die aufmüpfigen Minderheiten wie die Südosseten, die Abchasen, die Adsharen und die Aserbaidschaner Instrumente der Zentrale. Letztlich findet sich die in dieser Denkform angelegte Paranoia in allen Mentalitäten, die auf eine Diktatur zusteuern. Das tragische besteht wie in vielen Regionen der zerfallenen Sowjetunion und Osteuropas darin, daß sich die Tendenz zur Diktatur gegen die bewußten und ausdrücklichen Intentionen der politischen Akteure durchsetzt.
Gamsachurdia hat die politische Realität geistig bereits verlassen. Seine Gegner haben jetzt leicht argumentieren. Man sollte sich aber daran erinnern, daß auch sie bis vor kurzem den georgischen Präsidenten als Marionette des Kreml zu bezeichnen pflegten. Und schließlich stürzten sie ein Staatsoberhaupt, das vor einem dreiviertel Jahr frei, legal und mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt worden war. Erhard Stölting
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