: Bundeswehr und die Stadt Berlin ehren Meuterer
■ Von den Nazis 1933 umbenannt, und 1947 wieder mit neuem Namen versehen: Die Köbisstraße am Rande des Tiergartens
Die Köbisstraße ist ein seltenes Kuriosum der Stadt: Sie ist in beiden Richtungen eine Sackgasse. In eine Richtung versperrt ein vor etwa vier Jahren errichteter Bürgersteig der Klingelhöferstraße die Zufahrt. An der anderen Seite am Reichpietschufer, nahe dem Bauhaus-Archiv, ist die Straße durch zwei Eisentore abgesperrt. Die Straße mit den neu gepflanzten Bäumen und der neuen Pflasterung gehört den wenigen Fußgängern und Radfahrern, die den Weg hierher finden.
Ihren Namen trägt die Köbisstraße seit dem 31. Juni 1947. Es handelt sich um eine symbolträchtige Namensgebung. Im Juli 1947 benannte der Berliner Magistrat etwa 150 Straßen und Plätze neu. Das war wenig angesichts der etwa 1.800 Vorschläge aus dem Jahr 1946. Es handelte sich größtenteils um Rückbenennungen und um eine kleinere Anzahl von Neubenennungen. Zwei der markantesten Neubenennungen waren die Umbenennung des damaligen Tirpitzufers nach einem Matrosen mit dem Namen Max Reichpietsch und die Umbenennung der Admiral-von-Schröder-Straße nach dem Heizer Albin Köbis. Dabei waren die Admiräle noch gar nicht so lange auf den Straßenschildern zu finden. Die Nazis hatten bald nach ihrer Machtergreifung den größten Teil der Straßen um das Reichswehrministerium (heute Reichpietschufer 72-76) »militarisiert«. Aus der Matthaikirchstraße war die Standartenstraße geworden. Die Hohenzollernstraße wurde die Graf-Spee- Straße (heute Hiroshima-Straße). Zu Ehren von Großadmiral von Tirpitz, der den Aufbau der kaiserlichen Flotte leitete, wurde der größere Teil der Kaiserin-Augusta-Straße am 7.12. 1933 in Tirpitzufer umbenannt, und der kleinere westliche Teil erhielt den Namen des Großadmirals Ludwig von Schröder. Schröder war im Ersten Weltkrieg kommandierender Admiral des Marinecorps in Flandern. Der Zeitpunkt der Umbenennung 1933 kam nicht von ungefähr: Der 7.12. 1933 war der 19. Jahrestag der Schlacht bei den Falklandinseln im Dezember 1914, in der die deutsche Südostasienflotte auf dem Weg nach Europa geschlagen wurde. Der größere Teil des Geschwaders ging unter.
Der Gesamtberliner Magistrat beseitigte 1947 nach langen Diskussionen einen Teil der ideologischen Altlasten auf Straßenschildern. Der Matrose Max Reichpietsch und der Heizer Albin Köbis verdrängten die beiden Großadmiräle. Beide waren Teilnehmer an der sogenannten »Matrosenrevolte« im Sommer 1917. Schlechte Behandlung, schlechtes Essen wie zum Beispiel verdorbenes Gemüse und Fleisch sowie ein noch drohender Kriegseinsatz waren die Ursachen für die Meutereien im August 1917 in Wilhelmshaven. Zu revolutionären Helden häufig hochstilisiert, ging es den größtenteils unpolitischen Soldaten wohl in erster Linie nicht um die »große Politik«, sondern um die Verbesserung ihrer akuten Notlage. Am Morgen des 1. August verließen 49 Mann das Schiff »Prinzregent Luitpold«, lagerten bis 11 Uhr am Deich und kehrten dann zurück. Elf der Meuterer wurden mit Arrest bestraft. Daraufhin unternahmen am nächsten Tag 400 Matrosen und Heizer einen Protestlandgang nach Rüstersiel (bei Wilhelmshaven) in eine Kneipe, aus der sie aber einige Stunden später gewaltlos zurückgeholt wurden. Da die Moral der Soldaten zu dieser Zeit schon sehr schlecht war, statuierte das Ministerium ein Exempel: Kriegsgerichtsprozesse gegen die Meuterer. So wurden am 26.8. 1917 gegen fünf angebliche »Haupträdelsführer« Todesurteile ausgesprochen. Zwei der Verurteilten stammten aus Berlin: der Heizer Albin Köbis aus Reinickendorf, der gewählter Vertrauensmann auf der »Prinzregent Luitpold« war, und der Matrose Max Reichpietsch aus Neukölln, Vertreter auf dem Flaggschiff »Friedrich der Große«. Unter Beugung des schon scharfen Kriegsrechts wurden die beiden wegen »Vollendung eines Aufstands« verurteilt, obwohl sowohl der Justitiar des Reichsmarineamts als auch der Offizialverteidiger zum Ergebnis gekommen waren, daß kein tatsächlicher Aufstand vorgelegen habe. Drei der fünf zum Tode Verurteilten wurden begnadigt. Reichpietsch und Köbis hatten kein Glück. Zur Vollstreckung des Urteils wurden sie wegen befürchteter Unruhen nach Köln verlegt. Auf dem Kasernengelände der Wahner Heide in Porz, südöstlich von Köln, wurden sie am 5. September 1917 erschossen.
Ihre Gräber befinden sich auf einem kleinen Friedhof innerhalb der Bundeswehrkaserne in Porz zwischen dort begrabenen russischen Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg. In den Findling, der Reliefs von Reichpietsch und Köbis trägt, sind die Worte »Unseren Kameraden« eingemeißelt. Ob es eine weitere Stelle in Deutschland gibt, an der die Bundeswehr einstige Meuterer ehrt und ihre Gräber pflegt? In der Ostseestadt Stralsund erinnert ein kleines Denkmal an die beiden ermordeten Meuterer.
Wie wenig die Geschichte von Albin Köbis und Max Reichpietsch in Berlin bekannt ist, zeigt die Erklärungstafel, die an den Straßenschildern am Anfang und am Ende der Köbisstraße angebracht sind. Sie sollen den Spaziergänger über den Sinn der Namensgebung informieren. Es heißt dort: »Albin Köbis, Anführer der Kieler Matrosenrevolte, erschossen im Oktober 1918 in Kiel«. Bis auf den Namen des Erschossenen ist am Text nahezu alles falsch. Guten Morgen, Bezirksamt Tiergarten! Jürgen Karwelat
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