Kryptisch

„Bindet uns Feuer und rühret es an“: Fritz Schwegler mit Bildern, Objekten und Büchern von 1965 bis 1991 in Hamburg  ■ Von Jochen Becker

Seine Bilder, Zeichnungen und Objekte erinnern mich an Texte von Peter Handke, welche mit würde- bis weihevollem Ton den Kleinigkeiten gewidmet sind. Beide sind unbeirrbar auf der Suche nach dem Elementaren, dem schlichtweg Schönen. Und sie wissen, daß man dies nicht ohne weiteres in Worte und Bilder fassen kann, ohne es dabei kleinzumachen. Deshalb vielleicht, zum Schutz der unscheinbaren Grundbausteinchen ihrer Welt, schlagen sie in ihren Texten einen hohen Ton an.

Fritz Schweglers Bilder jedenfalls, und nun lasse ich die von ihm beigestellten Texte außer Betracht, besitzen die Klarheit von Kinderbüchern: Die Gegenstände haben deutlich abgegrenzte Konturen, wiedererkennbare Gestalten, prägnante Farben und reduzieren sich auf meist symmetrische Grundformen wie Kreis, Kreuz oder Rechteck. Man erkennt sogleich die in naiver Manier gestalteten Bäume, Stifte, Schlangen, Häuser, Bücher oder Menschen. Doch warum wachsen zwei Bäume auf der Kühlerhaube, weshalb fehlt dem Buch eine Ecke, und warum besteht das Haus nur aus einer dachziegelbedeckten Fassade mit auslandender Treppe? Der Holzstuhl hat eine verkehrte und somit nutzlose Lehne, zwischen den grauen Hüten stört ein unnatürlich gelber, und das Treppengeländer endet mit einem dicken Knoten.

Eigenartigerweise verstören die bildlichen Verfremdungen nicht weiter. Eher wecken sie die Aufmerksamkeit. Dies mag an Schweglers Ordnungsliebe hängen: Bildgegenstände und Texte sind in einem klaren Layout auf Leinwand gebannt und durch graphische Rahmen übersichtlich gegliedert. Und indem er moderne Farben verwendet — man meint, sie vom zeitgenössischen Innenausstatter oder Möbeldesigner her zu kennen — wirken die Bilder und Objekte frisch und ansprechend. Schwegler heftet seit 1962 seine Text- und Gegenstandserfindungen, weche regelmäßig Wiederverwendung finden, in Skizzenordnern ab. Diese versammeln nun wie ein Lexikon die Bild- und Textvokabeln seines Repertoires. Jede Neuentwicklung wird mit einer Inventarnummer versehen; der Bestand ist inzwischen auf über 8.500 Einheiten angewachsen. Schwegler begründet diesen konzeptuellen Ansatz mit Platzgründen: Irgendwann hatte sein Atelier am Fuße der Schwäbischen Alb die plastisch realisierten Arbeiten nicht mehr fassen können.

Im zentralen Raum der leicht retrospektiv angelegten Ausstellung stehen sieben mal sieben weiße Sockel im Quadrat. Etwa auf Brusthöhe liegen kleine vollplastische Dinge, die man als Skizze, Zeichnung oder Gemälde an der Wand hängend wiederentdecken kann. Die mit Abtönfarbe bemalten Metallobjekte erinnern an Holzspielzeug, Schmuck und weihnachtliche Bastelarbeiten mit ofengebrannter Fimo-Knetmasse. In ihrer Nutzlosigkeit, abgesperrt unter Plexiglas und eigenartig durch ihre Verfremdung, wirken sie wie die Privatsammlung zierlicher Kultgegenstände einer längst versunkenen Welt. Schwegler nennt die rund 200 Gegenstände „Notwandlungsstücke“. In seinen Titeln und Texten liebäugelt er mit Verrätselungen und unlösbaren Wortspielen. Bei den mit lehrmeisterlichen Druckbuchstaben auf Leinwand niedergeschriebenen Titeln und Nonsensbotschaften geht Schwegler ähnlich vor wie bei den Bildentwürfen und verkehrt prägnante Dinge durch die unsinnige Kombination. Als pures Bild oder Objekt mit seiner scheinbar naiven Klarheit bewahrt dieser „Zustand um die Ecke“ (ein Bildtext) Selbstverständlichket. Doch in Form kryptischer Satzkonstrukte — entstanden aus dem Zusammenprall mehrerer für sich geommen durchaus noch schlichter Wortbilder — wirkt dieses Vorgehen extrem künstlich, mythisch und altmodisch poetisch. Während die Bilderfindungen einen wiedererkennbaren Bezug zur Wirklichkeit herstellen, schotten sich Schweglers Texte wie Geheimcodes von ihr ab.

Fritz Schwegler ist kein Priester, aber Lehrer. Seine Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie wirkt wie eine kleine Welt für sich, in der unter der pflichtbewußten und fürsorglichen Betreuung des Meisters die Schüler aus buntem Papier fröhliche Alltagsgegenstände basteln, auf Leinwand futuristische Autos durch Tunnels schweben lassen, und vom Teddybären bis zum Strohhut kein Gegenstand zu banal ist, um nicht auf ihn aufmerksam zu machen. Der Preis der sorgenden Betreuung durch den Lehrer ist die deutliche Wiedererkennbarkeit von Arbeiten der Schwegler-Klasse. Berühmtestes Beispiel dafür sind die Arbeiten des inzwischen im Kunstbetrieb recht erfolgreichen Thomas Huber.

Schwegler ist in seiner Mischung aus altem Handwerksmeister, Pfaffen, Spielzeug-Designer und Peter Handke ein Unikum, allerdings ohne den Irrenbonus der „Art bruit“. In seinem sympathischen Eigensinn malt er Fahrräder mit acht Reifen, stellt seltsame Bücher und großformatige, an überdimensionale Kleinkinderpuzzles erinnernde Skulpturen her oder hängt spitz aufgeschlagen wie eine Zeitung zwei ungebleichte Leinwände von der Wand ab. Wie der Vater begann er als Schreinermeister im Schwabenland, sein Schaffen hat etwas Weltabgewandtes, Beharrliches, Ordentliches. In den Arbeiten duelliert allerdings das Handwerkliche einer dörflichen Umgebung mit dem Chic der Modestadt Düsseldorf, seiner zweiten Heimat.

Die retrospektive Ausstellung mit Bildern, Objekten und Büchern von Fritz Schwegler ist noch bis zum 2.Februar in der südlichen Deichtorhalle in Hamburg zu sehen. Anschließend vom 20.März bis zum 26.April im Kunstverein Göppingen.