Im Dickicht des Weltmarkts

Der internationale Koka-Handel stößt in immer größere Teile Perus vor. Mit einigen wenigen Projekten versucht die UNO, den Bauern das Umsteigen auf andere Produkte zu ermöglichen. Doch mafiöse Marktstrukturen und mangelnde Unterstützung seitens der peruanischen Regierung erschweren die Abkehr vom Kokain.  ■ VON KAI AMBOS

Nur 140 Kilometer Luftlinie, aber acht beschwerliche Autostunden von der Andenstadt Cuzco entfernt liegt ein verschlafenes Waldstädtchen namens Quillabamba. Hier, im sogenannten Becken der Selva Perus, begann im Jahre 1985 das Drogenkontrollprogramm der UNO (UNFDAC, jetzt UNDCP) — ein Projekt zur Kokasubstitution, das bis heute nur wenig Beachtung gefunden hat. Und das, obwohl diese traditionelle Region des Koka-Anbaus zu einem Zentrum des internationalen Kokainhandels zu werden droht.

Noch 1985 betrug hier die offizielle Anbaufläche 20.000 Hektar; inzwischen hat sie sich auf 40.000 verdoppelt. Das staatliche Kokaunternehmen Enaco kauft die Koka-Produktion von gerade 8.000 Hektar — der Rest wird illegal vermarktet, zum Kauen oder zur weiteren Verarbeitung. Laut Enaco-Funktionär Enrique Battistini hat die Enaco mit der Polizei Abkommen geschlossen: Von der Polizei beschlagnahmtes Kokain wird an die Enaco verkauft, um einen Eigenverkauf durch Polizisten an Drogenhändler zu verhindern. Zunehmend entzieht sich die Kokaproduktion der staatlichen Kontrolle. Ein Grund ist die permanente Migration von Kokabauern nach Norden, immer tiefer in die selva hinein. Andererseits wird die Koka von Quillabamba illegal vermarktet: Aufkäufer des Drogenhandels zahlen mehr als das Doppelte des Enaco-Preises von 12 US-Dollar pro arroba (12 kg). Jeden Tag ziehen zu diesen sogenannten „Bienenoperationen“ Kleintransporteure von Quillabamba nach Cuzco.

Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, versucht das UNO- Projekt, den Kokabauern alternative Einkommensmöglichkeiten mit legalen Produkten zu ermöglichen. Eine direkte Substitution ist meist nicht möglich: Auf den steilen Berghängen kann kaum etwas anderes als Koka angebaut werden. So lautet die Strategie „wirtschaftliche Substitution“: Legale Produkte sollen vermehrt und zu besserer Qualität produziert werden, der Verkauf mittels Direktvermarktung den Bauern ein Mindesteinkommen garantieren und mittelfristig die Abhängigkeit von der Koka verringern.

Bisher ist es gelungen, 2.500 der insgesamt 30.000 Bauern der Region zum Anbau anderer Produkte zu bewegen — 1.000 Hektar Kaffee, 800 Hektar Kakao, 400 Hektar Achiote, 100 Hektar Obst und 800 Hektar Lebensmittel zur Selbstversorgung gab es Mitte 1991. Auch Viehzucht wurde ermöglicht. Wie der deutsche Projektleiter Wiese meint, wurde dadurch „ein wesentlicher Beitrag geleistet, um die Abhängigkeit der Bauern von der Kokaproduktion zu verringern, und der Tendenz zur weiteren Ausdehnung in den Kolonisierungsgebieten entgegengewirkt“.

Doch stößt das Projekt auf Schwierigkeiten. Die einflußreiche „Bauernfederation“ macht offen Front gegen die von ihr befürchtete Vernichtung der Koka. Im März letzten Jahres forderte sie den Rückzug des Projektes, doch die Solidarisierung der mit dem Projekt arbeitenden Bauern verhinderte dies.

Die Position der „Federation“ ist verständlich: Sie lebt vom Kokageschäft. Enaco zahlt ihr pro arroba Koka 0,05 soles (5 cents) — insgesamt 17.000 US-Dollar im Jahr, deren Verwendung niemand kontrolliert.

Das wichtigere Hindernis besteht jedoch darin, daß legale und illegale Koka einen höheren Preis erzielt als die Substitutionsprodukte. Eine arroba Kaffee bringt mit 10 US-Dollar weniger als den staatlichen Koka- Ankaufspreis; für die anderen Produkte liegt der Preis noch niedriger. Nicht nur die Weltwirtschaft ist daran schuld. Die Gründe sind teilweise hausgemacht.

Das Kaffeeimperium des Rafael Parades

In La Convencion und Lares — den beiden Tälern des UNO-Projektes — wurden Ende der 60er Jahre als Folge der von der Velasco-Militärregierung durchgeführten Agrarreform Kooperativen gebildet. 33 davon — fast alle — sind in einer Vermarktungsorganisation namens „Cocla“ zusammengeschlossen, die jedoch nicht direkt, sondern über eine in Lima ansässige Aktiengesellschaft namens „Occesa“ international vermarktet. Zusammen mit einem anderen Kooperativen-Zusammenschluß namens „Cafe Peru“ und einem Einmannunternehmen des Kaffee-Brokers Rafael Parades ist „Cocla“ gleichberechtigter Partner in „Occesa“.

Rafael Parades ist in dieser Konstruktion die Schlüsselfigur. Er vermittelt die Verkäufe und hat als einziger einen Marktüberblick. Offiziell verdient „Occesa“ — also Parades — nur 1 Prozent am Verkauf, doch niemand kann seine Vermittlungstätigkeit und Provisionen kontrollieren. Nicht nur Parades, sondern auch „Cocla“-Funktionäre sahnen kräfig ab.

Tatsache ist auch, daß der Weg des Kaffees vom Bauern zum internationalen Verkauf bis zu einem Jahr dauern kann. Oft werden die Bauern erst nach Ablauf dieses Jahres bezahlt — wenn überhaupt — und durch die hohe Inflation ist der ursprüngliche Preis dann erheblich abgewertet. So verkaufen zahlreiche Bauern nicht mehr über die Kooperativen, sondern an Einzelhändler, die direkt bezahlen.

„Ein sehr geschlossenes, fast italienisches Monopol in Lima“ beklagt Isaias Ascarza, hoher „Cocla“- Funktionär und Veteran der Kooperativenbewegung Perus. Die mafiösen Strukturen mit Verbindungen zur Zentralregierung kontrollieren die Vergabe von Exportlizenzen und machen somit eine alternative Kaffeevermarktung schwierig. Versuche, innerhalb „Cocla“ die „Occesa“-Struktur zu umgehen, wurden bisher von Parades vereitelt. Über die Sperrung eines 500.000-Dollar- Kredites seiner Hausbank „Banco Continental“ an „Cocla“ erreichte Parades die Entlassung eines „Cocla“-Funktionärs, der Möglichkeiten einer Direktvermarktung erurierte. Und auch Ascarzas gilt als Busenfreund von Parades.

Das UNO-Projekt hat nun versucht, die Bauern in Produktionskomitees zu organisieren, die als Teil der Kooperativen fungieren und diese gegenüber „Cocla“ stärken. Außerdem wird versucht, eine direkte Vermarktung über „Cocla“ ohne „Occesa“ und Herrn Parades aufzubauen. Doch dafür ist die Zusammenarbeit mit Händlern in Konsumentenländern notwendig, die bereit sind, den Kaffee von Convencion und Lares zu kaufen und damit der Ausbreitung der Koka-Wirtschaft entgegenwirken.

Koka-Krieg im Huallaga-Tal

Was sonst aus La Convencion und Lares werden könnte, ist schon längst im weiter nördlich liegenden Huallaga-Tal zu beobachten. Hier, im Department San Martin, ist das Koka- und Kokaingeschäft zu einer Haupteinnahmequelle der Guerillaorganisationen „Leuchtender Pfad“ (PCP-SL) und „Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru“ (MRTA) geworden — und beide kämpfen miteinander um die Vorherrschaft.

Grenze der Einflußbereiche der beiden Gruppen ist die Stadt Juanjui, am Eingang zum oberen Tal, dem Alto Huallaga, gelegen. Sendero ist seit 1983 im Alto Huallaga präsent und versucht seit Jahren, sich über Juanjui hinaus talabwärts in den Huallaga Central auszudehnen, wo 1986 die MRTA die Stadt Tocache einnahm und damit ihre eigene Präsenz in der Region einläutete.

Da MRTA den direkten Weg ins Huallaga Central über Juanjui blockiert, hat Sendero zwei Handelsrouten östlich und westlich der Stadt geschaffen. Andere Quellen berichten, Sendero versuche mit Hilfe von Kokabauern, die vom Alto Huallaga in die MRTA-Gebiete ziehen, eine schleichende Infiltration zu erreichen.

Beide Organisationen lassen sich den Schutz des Kokaingeschäfts, dessen Umsatz zwischen 800 Millionen und einer Milliarde US-Dollar im Jahr liegt, teuer bezahlen. Ein Flug mit Koka-Pasta kostet im Alto Huallaga eine „Abgabe“ von 4.000-7.000 Dollar, im Huallaga Central noch bis zu 2.000. Die Einnahmen beider Gruppen werden dadurch auf bis zu 50 Millionen Dollar im Jahr geschätzt. Der Konsum selbst wird hingegen scharf bestraft, auch durch Hinrichtungen — jedenfalls von Sendero.

Wenn Sendero oder MRTA nicht kassieren, halten die staatlichen Sicherheitsorgane die Hand auf — insbesondere die Drogenpolizei. Eine parlamentarische Kommission untersucht zur Zeit Unregelmäßigkeiten bei der staatlichen Drogenkontrollbehörde UPECUD, die beschlagnahmte Güter und internationale Finanzhilfe verwaltet. Es wird sogar berichtet, daß US-Helikopter, geflogen von Piloten der US- Drogenbekämpfungsbehörde DEA, Koka-Pasta transportiert haben — was die US-Botschaft zwar zurückweist, gleichzeitig aber beklagt, daß es den DEA-Beamten aus Sicherheitsgründen nicht möglich sei, ihre peruanischen Kollegen am Drogentransport zu hindern. In der vom Drogenhandel kontrollierten Stadt Uchiza, 180 Kilometer südlich von Juanjui, wurden DEA-Operationen von der Bevölkerung behindert, mit militärischer Hilfe der dort vom Drogenhandel bezahlten peruanischen Armee.

Doch der drastische Kokapreisverfall in der Andenregion — im wesentlichen auf die verstärkte Repression in Kolumbien und den damit zusammenhängenden Nachfragerückgang zurückzuführen — hat auch im Alto Huallaga die Bereitschaft zur Koka-Substitution wachsen lassen. Seit Februar 1990 gibt es in Tocache, 140 Kilometer südlich von Juanjui im Alto Huallaga, eine Kooperative für Kakao und andere Produkte, in der sich bereits existierenden Betriebe zusammenschließen. Dank technischer und finanzieller UNO-Hilfe (Projektnummer AD/Per/86/459) hat sie heute 500 Mitglider und bewirtschaftet 3.500 Hektar. Ebenso hat die „Kooperative Alto Huallaga“ im Juni 1990 begonnen, Kakao und Platano anzupflanzen. Insgesamt wurden mit UNO-Hilfe 150 Produktionskomitees gegründet, Basis für sechs Unternehmen und Lebensgrundlage für 50.000 Menschen.

Damit erreicht das UNO-Projekt ein Fünftel der Kokaproduktion Perus. Doch trotz dieser verheißungsvollen Schritte und der Entschlossenheit der Bauern, „mit Koka Schluß zu machen“, kann hier noch keine Familie ohne Koka leben. Noch immer sind die Koka-Preise, trotz des jüngsten Preisverfalls von drei US-Dollar für ein Kilo Kokablätter auf einen Dollar, höher als diejenigen anderer anbaubarer Produkte — ein Kilo Kakao kostet etwa 60 Cents. Zudem sind letztere kaum rentabel, weil ausländische technische Hilfe zur Weiterverarbeitung fehlt. Im April 1992 soll das UNO-Projekt auslaufen. Wird es nicht verlängert, ist ein Rückfall in den ausschließlichen Kokaanbau zu befürchten. „Wenn uns niemand hilft“, sagt ein Bauer, „bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter Koka anzupflanzen.“

Fujimoris liberale Chimären

Hinzu kommt, daß sich die vom „Institut für Freiheit und Demokratie“ (ILD) des neokonservativen Ökonomen Hernando de Soto entwickelte „Fujimori-Doktrin zur Kokasubstitution und alternativen Entwicklung“ bis jetzt nur als Rhetorik erwiesen hat. Versprochen wurde „bäuerliche Partizipation“, die Anerkennung der Kokabauern als „wertvolle Gesprächspartner“ (interlocutores validos) statt als Kriminelle, und so steht es auch im US-peruanischen Abkommen vom Mai 1991. Doch in der Praxis erschöpfte sich dies in einem militärisch gesicherten Blitzbesuch von Repräsentanten des Instituts, die Juli 1991 Uchiza bereisten. Außerdem wurden einige Personen handverlesen und der Presse im Regierungspalast in Lima als „Vertreter“ der Kokabauern dargestellt.

Miguel Gonzalez del Rio, Vordenker der offiziellen Kokapolitik und Institutsmitglied, zeigt bei einem Besuch des Instituts stolz ein dickes Buch mit den Unterschriften der Bauern vor — doch seltsamerweise fühlt sich im Alto Huallaga niemand von den ausgewählten „Vertretern“ vertreten. Außerhalb Uchizas kennt man nicht einmal die „Fujimori- Doktrin“ oder das Institut. „In dieser Zone“, meint ein Bauer in Tocache, „leben wir vergessen von der Zentralregierung. Hierher kam niemals ein offizieller Repräsentant, um mit uns zu diskutieren.“

Die Gastgeber des Instituts in Uchiza fühlen sich betrogen. Das Institut habe sich als die UNO ausgegeben und dann eine Entschädigung für die Substitution versprochen, wenn sich die Bauern registrieren lassen würden. Die in Lima empfangenen „Vertreter“ seien eingekauft und zum Teil nicht einmal Kokabauern. Auf solche Vorwürfe erwidert Gonzalez, daß die Vertreter nach demokratischen Kriterien ausgewählt worden seien, bis jetzt aber „noch kein Geld“ da sei, um in der Region zu arbeiten. Tatsache ist, daß einer der „Vertreter“ im Juli 1991 nahe der Militärkaserne in Uchiza ermordet wurde.

Ab Februar oder März 1992 soll jedoch, so Gonzalez, ein im November gegründetes Entwicklungsinstitut in den peruanischen Kokaanbaugebieten (San Martin, La Convencion, Apurimac und der Nordwesten) arbeiten, „die Hilfsgelder verwalten und kanalisieren sowie als Kontakt zu den örtlichen Organisationen dienen.“

Ein, zwei, viele Huallagas?

Trotz dieser wenig ermutigenden offiziellen Politik sind die Kooperativbauern des Alto Huallaga entschlossen, aus der Kokawirtschaft auszusteigen — und das nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Die Gewalt, die Übergriffe der Sicherheitskräfte, die Ausweitung der Guerilla-Aktivitäten, die Ausbeutung durch die Zwischenhändler und die Gefahren des Pasta-Konsums sind weitere Gründe.

Hinzu kommt, daß das Drogengeschäft diese Region zur teuersten in ganz Peru gemacht hat. Die riskanten Kurzflüge in sechssitzigen Maschinen, zwischen den einzelnen Städten oft einzige Fortbewegungsmöglichkeit, kosten 50 bis 100 US-Dollar, Übernachtungen in heruntergekommenen „Hotels“ bis zu 14 Dollar, dürfige Mittagessen bis zu sechs.

Doch ist zu befürchten, daß in Peru noch viele Alto Huallagas im Entstehen sind. Gegenwärtig ist eine Koka-Produktionsverlagerung in den Norden San Martins zu beobachten (Huallaga Central, Bajo Huallaga) und auch an den Ucayali-Fluß im Amazonas. Huallaga Central und Bajo Huallaga repräsentieren inzwischen schon 30 bis 40 Prozent der Gesamt-Kokaanbaufläche Perus, die sich nach US-Zahlen auf 160.000 Hektar beläuft. — In dieser Situation ist die Selbstorganisation der Bauern die einzige Hoffnung. Sie ist nicht nur der einzige Weg zur Reduzierung der Koka — abgesehen von einem seit einigen Monaten wütenden Pilz, der schon 6.000 Hektar Anbaufläche, nicht nur Koka, zerstört haben soll — sondern auch die einzig wirksame Sicherheitsgarantie. Der verstärkte Einsatz der Armee, wie ihn implizit das Abkommen mit den USA vom Mai 1991 fordert und wie er in einer danach unterzeichneten Absichtserklärung explizit festgeschrieben ist, ist dagegen solange kontraproduktiv, wie er sich gegen die Bauern und nicht gegen den organisierten Drogenhandel richtet.

Vom selben Autor erschien in der taz vom 3.12.1991 ein Artikel zur Koka- Ökonomie Kolumbiens.