Was wäre gewesen, wenn...

■ Bislang geheime Briefwechsel zwischen Kennedy und Chruschtschow veröffentlicht

Washington (dpa/taz) — Was wäre gewesen, wenn zum Beispiel der damalige US-Präsident Kennedy 1962 auf den damaligen sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow und dessen Vorschlag gehört hätte, nach der Beilegung der Kuba-Krise auch gleich „die deutsche Frage zu lösen“ und einen Friedensvertrag abzuschließen? Über diese Frage darf grübeln, wer nichts Besseres zu tun hat, seit am Montag das US-Außenministerium zwölf bisher unter Verschluß gehaltene Briefe zwischen den beiden Staatschefs veröffentlicht hat. Diese dokumentieren nicht nur den diplomatischen Schlagabtausch über die Stationierung sowjetischer Raketen im US- amerikanischen Hinterhof, sondern auch den Umstand, daß sich offensichtlich beide als Sieger in diesem Nervenkrieg sahen: Kennedy, weil Chruschtschow schließlich 42 mit Nuklearsprengköpfen ausgerüstete Raketen aus Kuba wieder abzog; Chruschtschow, weil Kennedy ihm zugesichert hatte, Castros Kuba nicht anzugreifen.

In zwei Schreiben vom 20. Oktober und 10. Dezember 1962 meinte Chruschtschow, daß Deutschland zum nächsten Krisenherd werden könne. Bis auf die „ungelöste Frage“ fremder Truppen in West-Berlin sei man sich in der deutschen Frage doch weitgehend einig, schrieb der Russe dem Amerikaner, bot ihm den Friedensvertrag an — und die Kooperation gegen einen Dritten: „Sollten Sie und wir uns (...) den Interessen eines alten Mannes unterwerfen, der moralisch wie physisch mit einem Fuß im Grab steht?“ Gemeint war Bundeskanzler Konrad Adenauer, der, wie man heute weiß, damals dem Grab zumindest physisch noch längst nicht so nahe war, wie Chruschtschow glaubte. Auch sonst lief — fast — alles anders, als Chruschtschow es sich gedacht hatte: Das Weiße Haus sagte „No“ zum Friedensvertrag, und die Frage fremder Truppen in West-Berlin ist inzwischen auch gelöst. Aber ganz anders, als es sich Nikita Chruschtschow je hätte träumen lassen. anb