Geht mit der UdSSR auch das Osteuropa-Institut unter?

■ FU-Vizepräsident Kuhbier stellte in einem Brief die Notwendigkeit des Osteuropa-Instituts in Frage

Dahlem. Geht es dem Osteuropa-Institut (OEI) mit über 100 StudentInnen an den Kragen? Das jedenfalls befürchten Professoren und Studierende des Instituts, nachdem sie bereits vor Weihnachten einen Brief des FU-Vizepräsidenten Peter Kuhbier erhalten hatten. Darin stellte der Vize die Notwendigkeit eines Osteuropa-Instituts in der jetzigen Form in Frage. »Konnte vor dem Fallen des Eisernen Vorhangs noch von einem einheitlichen Osteuropa und dessen Wirtschaft, Soziologie, Philosophie etc. unter der »totalen Vorherrschaft« der Sowjetunion gesprochen werden, erscheine das jetzt völlig anders«, schrieb er. »Die Einheitlichkeit ist weg«, bestätigte Kuhbier und fragte in seinem Brief: »Muß nicht nunmehr das ‘vergangene‚ Osteuropa in seiner künftigen Entwicklung in eine solche Vielfalt aufgelöst werden, daß nicht mehr — sowenig wie etwa im Hinblick auf Westeuropa — von ‘einem‚ Osteuropa beziehungsweise Osteuropa-Institut sinnvoll gesprochen werden kann?«

»Das Institut soll doch nicht aufgelöst werden«, beschwichtigte Kuhbier im nachhinein. Er wolle nur Denkanstöße für eine Neuorientierung geben. Trotzdem reagierten Professoren und Studenten gleichermaßen beunruhigt.

»Herr Kuhbier hat keine Ahnung, was wir am Institut machen«, so Carsten Kumke, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Osteuropäische Geschichte. Witold Kosny, Literaturprofessor und Vorsitzender des Institutsrats sieht in dem Brief ebenfalls einen Angriff auf die Weiterexistenz es OEI. »Das Institut darf auf keinen Fall abgeschafft werden«, sagt Kosny. Seine elf Fächer dürften nicht in die allgemeinen Fachbereiche aufgeteilt werden, beispielsweise die Slavistik als größtes Fach zu den Neueren fremdsprachlichen Philologien oder Ost- und Südosteuropäische Geschichte zu den Geschichtswissenschaften, so wie es in dem Brief anklang. »Kein Student rennt durch fünf Fachbereiche, um sich mit Osteuropa zu beschäftigen.« Auch »unsere Nachbarn« — Polen und Tschechen beispielsweise — wären sehr enttäuscht, wenn das OEI verschwände. Schließlich habe Berlin eine Brückenfunktion zwischen Ost und West.

Ebenso sei der seit zwei Semestern bestehende neue Studiengang »Osteuropa-Studien« gefährdet. Fächerübergreifend könnten die StudentInnen Seminare besuchen, die in drei Schwerpunkte untergliedert sind: Kulturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Staatswissenschaften. Seminare werden teilweise von zwei Professoren, beispielsweise einem Rechts- und einem Wirtschaftsprofessor abgehalten. Nur dadurch, daß sich die Fächer alle im Osteuropa-Institut befänden, ließen sich solche interdisziplinären Veranstaltungen verwirklichen.

»Die ‘Osteuropastudien‚ sind kein hinreichender Grund, das Institut zu erhalten«, sagte jedoch Vizepräsident Kuhbier. Wenn beispielsweise jemand im Magisterstudiengang drei Fächer studiere, müsse er ebenfalls in die verschiedenen Fachbereiche und Institute gehen. Auch das sogenannte Graduiertenkolleg mit dem Titel »Die Umgestaltungsprozesse der gesellschaftlichen Systeme in Ost- und Südosteuropa und ihre historischen Voraussetzungen«, ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt sei »allein kein zwingender Ausdruck der sinnvollen Fortsetzung des bisherigen Osteuropa-Instituts«.

»Allein schon, daß wir dieses Graduiertenkolleg für das vergangene Semester so schnell bewilligt bekamen, verbietet es, das Institut aufzulösen«, so Kosny. Zur Zeit gebe es zwölf Promotionskandidaten und zwei Habilitanten, die von der DFG ein Stipendium erhalten.

»Das Argument mit dem Eisernen Vorhang ist ziemlich dämlich«, machte der Balkanologie-Student Felix Genthe seinem Ärger Luft. »Osteuropa war schon vor dem Ende des Kalten Krieges nicht einheitlich.«

Die Studierenden des OEI hatten sich auf einer Vollversammlung vor Weihnachten darauf geeinigt, einen Protestbrief an den Vizepräsidenten zu schicken. Sie forderten ihr eigenes Institut. Immer mehr interessierten sich für den Studiengang und Osteuropa. Allerdings müsse im Inneren umstrukturiert werden. Wie dies genau aussehe, war ihnen allerdings noch nicht klar. »Sollten jedoch aus dem OEI Fächer ausgelagert werden, steigen wir auf die Barrikaden«, lautete der Tenor der Versammlung. Susanne Landwehr