Ein „Topagent“ plaudert vor Gericht

■ Ex-Verfassungsschützer Klaus Kuron soll acht Jahre das Kölner Amt als Agent des MFS „lahmgelegt“ haben

Düsseldorf (taz) — 1988 wurde sein „Verantwortungsbewußtsein und sein Plichtgefühl“ von den Vorgesetzten im Kölner Amt für Verfassungsschutz noch außerordentlich gelobt. Wie in den Vorjahren auch lautete die Gesamtbeurteilung des „vorbildlichen“ Agentenführers und Beschaffers ohne jede Einschränkung: „sehr gut“. Seit gestern steht der hochgelobte 55jährige Klaus Kuron, bis zu seiner Selbstenttarnung im Oktober 1990 als Regierungsamtsrat im Kölner Amt in der Spionageabwehr und Gegenspionage tätig, vor Gericht. Acht Jahre lang hatte der als „im Wesen aufrichtig, tolerant und uneigennützig“ beurteilte Kuron zuvor für die ehemalige DDR spioniert. Für den früheren Verfassungsschutzchef Gerhard Boeden gilt der Kuron-Verrat als die „größte Spionage-Affäre in der Geschichte der Bundesrepublik“.

Von diesem schweren Geschütz der Anklage blieb nach der Aussage von Kuron am ersten Tag indes nicht viel übrig. Im Gegenteil, der „Meisterspion“ war bemüht, seine Kölner Behörde, in der es nach seinen Worten „drunter und drüber“ ging, als ein Gebilde darzustellen, dessen wesentliche Geheimnisse der Spionagetruppe um den Generaloberst Markus Wolf ohnehin bekannt waren. Als Kuron etwa bei einem ersten Treffen mit den DDR-Emissären in Wien 1982 die Strukturen der Behörde offenbarte, mußte er erkennen, daß diese Informationen für seine Gesprächspartner nicht viel Neues hergaben.

Brisanter und im Sinne der Anklage schwergewichtiger waren indes die personellen Details, die Kuron verriet. Schon der Agentenlohn in Höhe von insgesamt 750.000 DM deutet die außerordentliche Wertschätzung an, die Kuron bei seinen Ostkollegen genoß. Mehrere gewichtige Doppelspione flogen durch seine Informationen auf. Für den Cottbuser Kreisschulrat und SED- Funktionär Horst Garau, der für die Kölner als „counter man“, also als umgedrehter Doppelagent arbeitet, endet das Geheimdienstspiel tödlich. Garau wird 1995 festgenommen und zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Drei Jahre später wird er, tot an seinem Bettpfosten hängend, im Bautzener Knast gefunden. Die offizielle Todesursache lautet Selbstmord. Verwandte sprechen von Mord. Mit diesem tragischen Ende will Kuron selbst aber nichts zu tun haben. Schon am ersten Tag des Prozesses versucht er klarzumachen, daß es der Überläufer Hans Joachim Tiedge war, der Garau ans Messer lieferte.

Als Motiv für seine Doppelagententätigkeit nannte Kuron ausschließlich Geldmangel. Er habe seinen vier Söhnen ein Studium und seiner Frau die Aufgabe einer Teilzeitarbeit ermöglichen wollen. Seine Frau sei 1982 „völlig erschöpft“ gewesen. Vor allem wegen des Hausbaus sei von dem Nettoeinkommen praktisch nichts übriggeblieben. Kuron, der zur damaligen Zeit 4.100 DM Netto verdiente: „Ich war praktisch verarmt.“ Das MFS half dem „verarmten Mann“ später mit monatlich 4.100 bzw. 4.500 Westmark und einer Einstandszahlung von 150.000 wieder auf die Beine. Kuron wörtlich: „Ich fühlte mich in dieser Gesellschaft ungerecht behandelt.“ Über die „Geldsäcke“ habe er sich immer wieder aufgeregt. Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht habe, sei ein Kostenvoranschlag von seinem Zahnarzt gewesen. „10.000 Mark sollte ich zuzahlen.“ Ein Bewerbungsschreiben als Doppelagent, konspirativ im Briefkasten der DDR-Botschaft deponiert, brachte die Rettung. Walter Jakobs