Künstlerische Kollision der Codes

■ Ulrich Kühn zeigt das bildliche Erbe der Textverarbeitung in der Galerie Nikolaus Sonne

Die Eindeutigkeit in der Verwendung künstlerischer Medien scheint passé. Die in der »Galerie Sonne« präsentierten Arbeiten des Berliner Künstlers Ulrich Kühn spielen mit der Gegenüberstellung, Konkurrenz und Vertauschbarkeit künstlerischer Gestaltungsmittel. Mit diesem konzeptionellen Vorgehen untersucht der Künstler sowohl das Potential von Malerei, als auch den visuellen Informationswert einer von ihm entwickelten Kunst-Software.

Auf dem im zentralen Galerieraum installierten Monitor ist ein Text zu lesen, der präzise beschreibt, wie man zwei Baoding-Eisenkugeln auf der Handfläche kreisen läßt. In der Form einer Gebrauchsanweisung für Meditationssuchende werden verschiedene Möglichkeiten erklärt, die Kugeln immer professioneller — ohne daß sie sich berühren— rotieren zu lassen: »Um das Aneinanderreiben der Kugeln zu vermeiden, müssen sie in einem Abstand zueinander auf der Handfläche bewegt werden... jeweils zwei Finger bilden eine Schiene, auf deren vertiefte Mitte eine Kugel geleitet wird, während die andere auf dem Handteller balanciert werden muß.« Auf dem Bildschirm wird die Bewegung der Metallkugeln zur gleichen Zeit durch zwei graphische Kreise visualisiert. Beide Anschauungsmittel konkurrieren miteinander, was dazu führt, daß der Text, quasi als Verschleißerscheinung durch das Zirkulieren der graphischen Zeichen, ausradiert wird. Dabei wird deutlich, daß beide Anschauungssysteme in Relation zueinander stehen; denn ohne die textuelle Erläuterung verliert das graphische Modell sein Erklärungspotential und ist nicht mehr auf den Vorgang des Kugel-Kreisens zurückführbar.

In seinen Bildern erforscht Kühn die Vertauschbarkeit und Konkurrenz verschiedener Codes als Relevanz für die Malerei: Es sind Skizzen zu sehen, die nicht durch ein maschinelles Verfahren, sondern in traditioneller Manier mit Pinsel und Farbe produziert wurden. Statt expressiver Unmittelbarkeit geht es hier um die Untersuchung der medialen Gestaltungsmöglichkeiten des Bildes. Ulrich Kühn verwendet das akademisch verbrauchte Thema der »Reiterstudie«, wie es im 19. Jahrhundert zum studentischen Lernprogramm gehörte. Entgegen disziplinierter Abbildtreue ist der Blick allerdings auf die Veränderung der Bildwirkung und -wahrnehmung gerichtet: Das klassische Thema funktioniert als Zitat aus dem kunsthistorischen Fundus.

Der Künstler beläßt aber die Verwendung des Motivs nicht bei einer formalen Anspielung, sondern formatiert die Studie als malerische Datenverarbeitung. Die von ihm am Rechner gewonnenen Erfahrungen werden auf die handwerkliche Tätigkeit des Malens übertragen, ohne die formale Sprache des Computerns zu benutzen. Denkt man an die Versuche des informellen Malers K.O. Götz, der 1959/60 erstaunlicherweise das Schwarz-weiß- Bild Density 13:2:1 durch kleine horizontale und vertikale Farbstreifen als Monitorflimmern malte, wird Kühns veränderte Technorezeption offensichtlich. Während Karl Otto Götz die Techniksprache durch sein malerisches Selfmade-Verfahren imitierte, kompiliert Kühn die malerische Pinselführung mit Formen und Figuren des hochmodernen Computerbildes.

Die Umrißlinien der Figuren und Pferde scheinen, wie auch die Kreise und Raumkoordinaten, trotz der unregelmäßigen Pinselstriche aus einem Graphikprogramm entsprungen. Im Vergleich mit traditionellen Verfahrensweisen der Malerei läßt sich ablesen, daß die künstlerische Produktion mit Hilfe des Computers eine zur Malerei konträre Methode ist, was sich auch in einem veränderten Erkenntnisinteresse an Bildwirkung und -wahrnehmung widerspiegelt.

Die Farbskizzen von Ulrich Kühn gewinnen erst in der Rückbindung an seine Erfahrungen mit synthetisch durch Animation erzeugten Computerbildern ihre Relevanz.

Kühns Gegenüberstellung von Technologiecode und Bildsprache führt zu einem Experiment künstlerischer Datenverarbeitung oder — wie es der Künstler nennt — zu »Belegen und Ersetzen«. Herbert Jochmann

Noch bis 18. Januar, Galerie Nikolaus Sonne, Kantstraße 138,

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Freitag 11-13 Uhr und 15-18.30 Uhr, Sa. 11-14 Uhr