Voller Coolness im Gerichtssaal

■ Neun Männer, die dem Berliner Zuhältermilieu zugerechnet werden, stehen seit gestern in einem Großverfahren vor Gericht/ Die Vorwürfe gegen die Angeklagten gehen quer durchs Strafgesetzbuch

Mit wallendem Haar, gestriegeltem Oberlippenbart und dunklem Anzug, mit pomadierten Pferdeschwänzen, in Lederjacke oder ganz trivial im Jogginganzug, cool Kaugummi kauend — so präsentierten sich gestern neun angeklagte Männer, die mit unterschiedlicher Tatbeteiligung dem Berliner Zuhältermilieu zugerechnet werden, zu Beginn eines Großverfahrens vor der 16. Strafkammer des Landgerichts. Die Palette der Vorwürfe geht quer durchs Strafgesetzbuch: Zuhälterei, Menschenhandel, schwere räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung, versuchte und vollendete Nötigung und Bedrohung, Diebstahl, Hehlerei, schwerer Widerstand, Beleidigung, Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Waffengesetz.

Fünf der neun Angeklagten im Alter zwischen 22 und 39 Jahren sitzen seit einigen Monaten in U-Haft. Unter den Inhaftierten befindet sich auch der 32jährige Hauptangeklagte Olav Sch. und dessen 37jähriger Bruder Stig. Olav Sch. wird zur Last gelegt, im Mai 1989 eine junge Frau laufend bei der Prostitutionsausübung überwacht und ihr bis auf ein geringes Taschengeld sämtliche Einnahmen abgenommen zu haben. Als sich die Frau von ihm trennen und aussteigen wollte, soll Olav Sch. sie unter Androhung von Gewalt gezwungen haben, weiter anschaffen zu gehen. Die Staatsanwaltschaft hat der Frau, die erst Monate später fliehen konnte, eine neue Identität und geheime Wohnung verschafft und sie unter Zeugenschutz gestellt.

Ein weiterer Vorwurf, der sich gegen die beiden Brüder Sch. und einige der Mitangeklagten richtet, soll sich am Dezember 1990 zugetragen haben. An diesem Tag sollen die Angeklagten den als »Chinesen-Kalle« in der Unterwelt verschrieenen J. — ein ehemaliger Leibwächter des früheren Berliner Landesvorsitzenden der »Republikaner«, Andres — bei einer Boxveranstaltung in der Sporthalle Chrlottenburg zusammengeschlagen haben. »Chinesen-Kalle« soll in der Szene als V-Mann der Polizei gelten und durch eine Bekannte Einfluß auf ein Bordell gehabt haben. Nach Angaben von Justizsprecherin Fölster sollen die Angeklagten durch die Attacke gegen J. versucht haben, ihre Stellung im Zuhältermilieu zu festigen. Sie hätten sich als »Bosse vom Kudamm« aufgespielt. Auch in anderen Bordellen der Stadt sollen einige der Angeklagten eingeritten sein und dort das Inventar zertrümmert sowie die Belegschaft zusammengeschlagen haben.

Der Vormittag des ersten Prozeßtages verstrich mit Besetzungsrügen der Verteidigung. Die Wahl der Schöffen sei falsch. Am Nachmittag meldete sich der Angeklagte Stig Sch., dessen Verlobte am Morgen im Zuschauerraum wegen Kokainbesitzes festgenommen worden war, mit der Begründung krank, der Vorfall habe ihn so erregt, daß er der Verhandlung nicht mehr folgen könne. Nachdem ein vom Gericht hinzugezogener Arzt Stigs Blutdruck gemessen und ihm eine Verhandlungsunfähigkeit wegen »nervöser Übererregbarkeit« bescheinigt hatte, wurde der Prozeß für die meisten Angeklagten unterbrochen. Nur gegen zwei Männer wurde der Prozeß am Nachmittag mit der Verlesung der Anklageschrift und Vernehmung zur Sache weitergeführt.

Der Prozeß, der Montag fortgesetzt wird, ist vorerst bis Mai terminiert. Die Mehrzahl der 70 von der Staatsanwaltschaft benannten Zeugen sind Polizeibeamte. Außerdem soll ein Videofilm von der Schlägerei in der Sporthalle gezeigt werden. Staatsanwalt Buckow von der Abteilung organisierte Kriminalität erklärte gegenüber der taz, daß in Berlin nur ganz wenige Prostutierte anschaffen gehen könnten, ohne von Zuhältern behelligt zu werden. Prügel, Säureanschläge und ein durchs Gesicht gezogener Zuckerwürfel als Druckmittel gehörten zur Tagesordnung.

Nach wie vor würden auch viele Thailänderinnen unter falschen Versprechungen nach Berlin gelockt. Es werde jedoch immer schwieriger, den Zuhältern das Handwerk zu legen, weil sie die Frauen sofort zum Standesamt schleppten und mit »gekauften« Sozialhilfeempfängern verheirateten. »Am nächsten Tag«, so Buckow »stehen die Thailänderinnen bereits im Badeanzug im Bordell«. plu