Rote Zahlen

■ Einige Gemeinden im Departement Savoyen haben sich im Zuge der Olympiaplanung übernommen

Albertville (afp) — Der anfängliche Optimismus über die Chancen einer dynamisierenden Wirkung der Olympischen Winterspiele 1992 auf die Wirtschaft des Austragungsgebiets in den französischen Alpen ist Sorge und Unbehagen gewichen. Einer kurzen Periode der Euphorie folgten Zweifel an der Rentabilität hoher Investitionen für olympische Einrichtungen, deren Nachnutzung nicht gesichert ist, zumal der Alpentourismus seit 1986 keine Hochkonjunktur mehr hat. Das Departement Savoyen, in dem der Umsatz mit Touristenunterkünften im schlechten Schneejahr 1990 um 26 Prozent sank, garantiert seit vergangenem Jahr nicht mehr automatisch Fremdenverkehrsinvestitionen. Das machte die Banken scheu, die sich jetzt mit Krediten für einige finanziell ausgeblutete Olympia-Gemeinden zurückhalten.

Ein Beispiel ist der 30 km von Albertville entfernte Kurort Brides-les-Bains, der zum Olympischen Dorf auserkoren wurde. Die Gemeinde ließ ein neues Thermalzentrum errichten, das Rathaus umbauen, das Spielcasino und das in eigener Regie verwaltete Grand Hotel des Thermes aufwendig renovieren, einen unterirdischen Parkplatz und eine Umgehungsstraße anlegen und verausgabte sich schließlich vollends mit einer 95 Millionen Francs (28,5 Mio. Mark) teuren Seilschwebebahn in den zwölf Straßenkilometer entfernten Wintersportort Meribel, wo sämtliche alpinen Skiwettbewerbe der Damen und die Eishockeyspiele stattfinden werden. Die Gemeinde investierte insgesamt 600 Millionen Francs (180 Mio. Mark), was fast einer Million pro Einwohner entspricht. Jetzt fehlen ihr 69 Millionen Francs (20,7 Mio. Mark) zur Schuldenbegleichung. Dabei gilt die Bergbahn, von der sich der vornehmlich auf Sommertourismus eingestellte Ort mehr Wintergäste erhofft, schon im voraus als unrentabel.

Brides ist nicht der einzige Fall. Pralognan-la-Vanoise rutschte ebenfalls tief in die roten Zahlen, was vor allem auf ein neues großes Sportzentrum mit einer überdimensionierten Eishalle zurückzuführen ist, in dem die als Demonstrationssport auf dem Olympia- Programm stehenden Curling- Wettbewerbe stattfinden. Die 670 Einwohner sollen nun durch eine Erhöhung der Gemeindesteuern zur Kasse gebeten werden.

Auch der Ort Les Saisies, wo die Langlauf- und Biathlonwettbewerbe ausgetragen werden, steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Bei einem Jahreshaushalt von 35 Millionen Francs (10,5 Mio. Mark) wird die Gemeinde jährlich 13 Mio. (3,9 Mio. Mark) an Krediten zurückzahlen müssen.

Manche Olympia-Gemeinden haben nach Ansicht von Finanzexperten in einer euphorischen Phase ihre Investitionsprogramme überfrachtet, ohne die Rentabilisierungsmöglichkeiten sorgfältig genug abzuwägen. Zudem sei vor der Kandidatur keine wirklich ernsthafte Finanzanalyse erarbeitet worden. Diese Meinung vertritt auch Professor Paul Préau von der Universität Grenoble. Im Gegensatz zu den Spielen vor vier Jahren im kanadischen Calgary sei in Savoyen keine seriöse Marketingstrategie entwickelt worden, die der Wirtschaftsstruktur des Gebiets Rechnung trage. Es habe an Kooperation zwischen dem olympischen Organisationskomitee COJO und manchen Behörden gemangelt.

Alle Experten sind sich einig, daß die Winterspiele 1992, die Gesamtausgaben von 11,5 Milliarden Francs (3,45 Mrd. Mark) veranlaßt haben, durch den Werbeeffekt und das erhöhte Angebot an touristischen Einrichtungen den Fremdenverkehr zumindest für zwei oder drei Jahre beleben werden, aber nicht die industrielle Entwicklung des Gebiets, das neben dem Tourismus vor allem von kleinen und mittelständischen Betrieben lebt. Ein Teil der ortsansässigen Metall-, Chemie- und Elektroindustrie steckt in der Flaute. Die Arbeitslosigkeit erhöhte sich in dem Gebiet innerhalb eines Jahres um zehn Prozent. Neue Wirtschaftsimpulse wären also willkommen, doch wird die im Zuge der Olympischen Spiele erheblich verbesserte Infrastruktur nach Meinung von Experten nicht genügen, um neue Unternehmen zur Ansiedlung in den Savoyer Alpen zu veranlassen. Greta Maiello