: Österreichs Adler in der EG-Hendlbraterei
Striptease des österreichischen Bundesadlers als anregende Ablenkung fürs Volk: Behält der Wappenvogel Hammer und Sichel in den Klauen?/ Leidenschaftliche Debatten und ein Kanzler im Wendefieber/ Ergebnis: Es bleibt, wie es ist ■ Aus Wien Günther Nenning
Nun wird also doch der österreichische Bundesadler nicht ersetzt durch das noch österreichische Backhendl. Solch patriotischen Ersatz hatte der grüne Politstar Peter Pilz vorgeschlagen — als Radikalmaßnahme, denn die lebhaft diskutierte Befreiung des Wappenviehs von Hammer und Sichel, die es in den Klauen hält, sei ja doch nur eine halbe Sache.
In Österreich gibt's, außer einem Antisemitismus ohne Juden, vollständigkeitshalber auch einen Antikommunismus ohne Kommunismus. Ihm huldigend, hatte Prominenz aus den beiden bürgerlichen Parteien — der rasant absteigenden ÖVP und der, rechts von ihr, rasant aufsteigenden FPÖ — den Adler von den KP-Insignien säubern wollen.
Die Diskussion war leidenschaftlich — endlich ein Problem, das mit der Realität verläßlich nichts zu tun hat! — wurde aber leider von den Meinungsforschern abgewürgt. Sie erhoben, daß 80 Prozent der Österreicher den Adler haben wollen, wie er ist.
Der sozialdemokratische Bundeskanzler Vranitzky schloß sich pfeilschnell dem Volke an. Was ihm nicht schwerfiel. Er war erst für den Adler samt Hammer und Sichel gewesen, dann dagegen, jetzt halt wieder dafür. Er sprach eines seiner Machtworte, welche er immer spricht, wenn alles schon entschieden ist. Das Volk war wieder einmal gescheiter als die Regierung — bei deren schwindendem IQ freilich kein Kunststück.
Der republikanische Adler, die Halbierung des habsburgischen Doppeladlers, erhielt 1918 eine Mauerkrone fürs Bürgertum und für Arbeiter und Bauern Hammer und Sichel. Mit Kommunismus hatte dies nicht nichts zu tun, wie jetzt von den Adlerverteidigern behauptet wurde, sondern ganz schön einiges. Die österreichische Revolution von 1918 war ein Ablegerchen der russischen.
Natürlich sind die ÖsterreicherInnen nicht aus revolutionärer Nostalgie für den Adler, wie er ist, sondern umgekehrt. Weil sie so konservativ sind, sind sie für die kommunistischen Symbole — ein Guinness-würdiger Weltrekord an Konservativität.
Hätte man den Bundesadler seiner Arbeiter-und-Bauern-Symbolik entkleidet — seine bourgeoise Krone hätte er unangefochten auf dem Haupt behalten. Sie stand nie zur Diskussion. Was kein Zufall ist — es ging um eine Operation in Fortsetzung dessen, was der klerikale Bundeskanzler Ignaz Seipel in der ersten Republik bezeichnete als „wegräumen des revolutionären Schuttes“.
Ach, über den Adler hätten die Politiker so gern noch weiter diskutiert! Es fällt ihnen immer schwerer, anregende Ablenkung fürs Volk zu finden. Der demoskopisch verifizierte Ordnungsruf ihrer Wähler: „Habt's ihr Teppen keine andern Sorgen?“ — hat das österreichische Corpus politicum in ahnungsvolle Vibrationen versetzt. Denn, schrieb einst Oscar Wilde, der Zyniker und Metaphysiker, „nur Dummköpfe urteilen nicht nach Äußerlichkeiten“.
Außer dem Adler schwanken und wanken und fallen immer mehr Säulen des 47jährigen Tempels der zweiten Republik Österreich.
Zweite wie erste Republik war ein Geschöpf der Parteien. Sie waren vor dem Staat da, hoben ihn aus der Taufe, oder welcher heidnische Ersatzakt das damals war — zogen ihn auf —, nahmen ihn in Geiselhaft. Jetzt sind die Paten nicht mehr, was sie waren. Wenn die Staatsparteien nicht mehr da sind, ist dann der Staat noch da? Die Firma „Sozialistische Partei Österreichs (Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten)“ — ja, so hieß das 1945 — ist geändert auf „Sozialdemokratische Partei“ und fungiert als ideeller Gesamtkapitalist Österreichs. Weil die zweite Firma „Österreichische Volkspartei“ bankrott ist. In den Jahrzehnten der ehelichen Umarmung mit den schlaueren Sozis ist sie geschrumpft auf ein Koalitionspartnerchen, das nur noch gut ist für häuslichen Streit. Derzeit ist die ÖVP voll beschäftigt mit ihrem Zerfall in einen „rosaroten“ Wirtschaftsflügel, der die Gütergemeinschaft mit der SPÖ fortsetzen will, und einen „hellblauen“ Politflügel, der überwechseln will in einen Bürgerblock mit der wachsenden FPÖ Jörg Haiders. Das Liebäugeln mit Haiders blauer Heldenbrust, unterdessen auch bei den Roten im Schwange — ist das aufgelöste Rätsel der österreichischen Politik.
Kroatien und Slowenien anerkennen — spätestens sofort (Haider) oder erst im Schlepptau der EG?
Neutral bleiben — gar nicht (Haider) oder ein bißchen?
Den Staatsvertrag von 1955, völkerrechtliche Existenzgrundlage des selbständigen Österreich — in den Papierkorb (Haider) oder fortdauern lassen?
Striptease des Bundesadlers — jetzt nicht, aber doch (Haider), wenn nämlich Österreich auf den Spieß kommt in der EG-Hendlbraterei.
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