: Mit Räubern gerettet
■ In Bremerhaven: Johannes Felsenstein inszeniert zum Schluß Verdis „Räuber“
Die Spielfläche der Bühne ist als Schräge angelegt, die nach hinten in zwei Richtungen in die Tiefe führt. Mauern im Hintergrund deuten das Schloß des Grafen von Moor an. Sie können zugleich der dunkle Wald sein, vor dem die Räuberbande des vom Vater verstoßenen Karl Moor lagert.
Johannes Felsenstein hat für seine letzte Inszenierung in Bremerhaven, für Verdis selten gespieltes Frühwerk „Die Räuber“ (I Masnaderi) einen Bühnenraum geschaffen, in dem die wenigen realistischen Elemente durch perspektische Verzerrungen verfremdet werden. Diesen auf Tiefe angelegten Raum füllt er mit pathetisch aufgeladenen, komischen, obszönen und erotischen Bildern, die aus der Nummernoper mit ihrer schematischen Reihung von Doppelarien, Duetten, Chören ein expressiv dramatisches Geschehen machen.
Das musikalische Wechselbad zwischen heroischen und sentimentalen Tönen, mit denen Verdi Schillers „Räuber“ verpackt, wird in permanente Bewegung umgesetzt. Die Figuren und ihre Umgebung erinnern an expressionistische Filme von Eisenstein bis Lang.
Der Graf (Andreas Macco), bleich wie ein Vampir, bewegt sich im Rollstuhl, die Räuber sind ein anarchistischer Haufen in Revolutionspose. Karls böser Bruder Franz (von Ludmil Kuntschev ebenso überzeugend gespielt wie gesungen) ist eine geile Kanaille, die sich auf dem Friedhof an Amalia heranmacht und ihr das Trauergewand vom Leib reißt. Amalia sträubt sich mit Haut und Haaren, schließlich reißt sie ihm das Messer aus dem Gürtel, und der Bedroher verschwindet. Der körperlich aufwendige Machtkampf wird im Duett absolviert. Natalia Dercho verliert dabei ihr Gewand, aber nicht die flexible und auch in hohen Lagen strahlende Stimme, die ohne Zweifel der Höhepunkt dieses Bremenhavener Verdi ist.
Johannes Felsenstein hat mit seiner letzten Inszenierung, trotz der von ihm öffentlich beklagten mangelhaften Probensituation, die sich in der Unsicherheit des Chores zeigt, Glück gehabt. Neben dem gut disponierten Orchester unter Leo Plettners Leitung standen ihm ein Ensemble stimm lich ausbalancierter Solisten zur Verfügung und eine noch junge „Primadonna“, die von sich reden machen wird.
Der schwergewichtige Regisseur hatte das dank eines dahindämmernden Schauspiels schwer angeschlagene Stadttheater mit handwerklich sauberen und häufig provozierenden Inszenierungen vor dem freien Fall in die tiefste Provinzialität retten können. Sein Konzept einer Theatralisierung der Oper folgte den Spuren seines Vaters Walter Felsenstein. Das gelang nicht immer, weil er dazu neigte, die SängerInnen in rigide Bewegungs-Korsetts zu stecken, die ihnen nicht passen wollten.
In den Beifallssturm für das Ensemble hatten sich laute Buhrufe gemischt. Ein Protest gegen den abrupten Abschied des Zauberers? Der Ausgebuhte — inzwischen Intendant in Dessau - nahm'ss gelassen, grüßte mit Kußhand und verschwand hinter dem Vorhang. Hans Happel
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