Kein gesichtsloser Höllenfürst

■ Sartres »No Exit« von den Berlin Play Actors

Finster ist der schmale Gang, den der Zuschauer beschreiten muß, um in das kerzenbeleuchtete Foyer des »Theaters Zerbrochene Fenster« zu gelangen. Sakrale Musik beschallt den Hintergrund, ein »Ordner« — mit einer Taschenlampe bewaffnet — beleuchtet den Weg zur Bar und zu den Toiletten: Phase I!

In Phase II entpuppt sich der Ordner als »Höllenführer«. Er geleitet das Publikum in einen weiteren dunklen Raum. Drei schemenhafte Gestalten tanzen verzerrt zu Stroboskop und Technopop. Etwas ratlos sieht man den zuckenden Körpern zu, bis der Strahl der Taschenlampe den Rundgang fortsetzen läßt. Vor einem Schaubild der nächste Halt: »Satan«, »Lucifer« und »Serpent« erläutert der Führer das — bis auf ein Paar Augen— leere Bild und grinst dämonisch. Wir sind am Ziel, in der Hölle angelangt; aus der aktiven Beteiligung wird eine passive: rund um eine ebenerdige Bühne befinden sich die Stühle, der unfreiwillige Höllenbesucher ist nun endgültig Zuschauer. Sartres No Exit (Geschlossene Gesellschaft) kann beginnen.

Wer eine qualvoll-düstere Abhandlung über Leben und Tod, Himmel und Hölle erwartet, hat sich in den Berlin Play Actors getäuscht: »Three people stuck in hell is funnier than shit«, beschreibt Regisseur Rik Maverik überdeutlich plastisch seine Konzeption im Programmheft. Und tatsächlich findet sich in der vorgegebenen Dreierkonstellation manche unerwartete Pointe, die Sartres häufig gespieltes Stück neu belebt (ohne daß es dabei zur Klamotte würde) und temporeich zur bitteren, wohlbekannten Erkenntnis führt: »Die Hölle, das sind die anderen.«

Nacheinander führt das Höllenfaktotum einen Mann und zwei Frauen in einen abgeschlossenen Raum: kein Tageslicht und eine Tür, die sich nur selten öffnet. Garcin, Inez und Estelle sind — auf der Erde— »absent«, denn »tot« ist ein zu endgültiges Wort, um es in den Mund zu nehmen. Alle drei wissen, wo sie sich befinden und erwarten grausame Torturen von einem gesichtslosen Höllenfürsten. Doch ihre Strafe scheint milder als gehofft: Sie sind bis in alle Ewigkeit dazu verdammt, gemeinsam, ohne schlafen zu können, in diesem Raum zu sein.

Genau das aber ist schlimmer als körperliches Leiden. Die Dreierkonstellation ist nicht zufällig ausgewählt: die mannstolle Estelle, die zynische Lesbe Inez und der Feigling Garcin quälen einander bis aufs Blut und fördern ihre eigenen Abgründe zutage. Wie auf der Erde sind sie auch hier die Sklaven ihrer Schwächen und ihrer Süchte. Positiven Entscheidungen gehen sie konsequent aus dem Weg: Am Schluß öffnet sich die Tür, die langersehnte Freiheit muß nur beschritten werden. Aber keiner von den dreien traut sich die Veränderung zu. Sie schließen die Tür erneut und begeben sich in die endgültige Abhängigkeit von ihren seelischen Untiefen.

Präzise und gekonnt verleihen die Schauspieler ihren Rollen das jeweils charakteristische Psychogramm, das notwendig ist, um die eigene Hölle und die der anderen herauszukristallisieren. Nina Franoszek ist eine oberflächliche »Estelle«, die durch Männer ihre Selbstbestätigung zu erhalten glaubt. Fast hysterisch stellt sie fest, daß es in der Hölle keinen Spiegel gibt, ihr bislang wichtigstes Requisit auf Erden. Inez hilft ihr, will ihr Spiegel sein, aber nur, weil sie selbst Estelle begehrt. Josephine Larsen kann in dieser Rolle manchen Punkt für sich gewinnen, zynisch kontert sie auf die Fragen ihrer Leidensgenossen, sie ist die treibende Kraft in puncto »Zerfleischen« — schlagfertig, ausgekocht, abgeklärt. Doch auch sie kommt an ihrer Vergangenheit nicht vorbei.

Terry Martin als Garcin steht zwischen den beiden Frauen: von der einen gewollt, lehnt ihn die zweite vollständig ab. Er spielt mit seiner Position, ohne nur ein Fünkchen Spaß zu empfinden. Zu tief ist auch er in seine eigene Unfähigkeit verstrickt, dem »Leben« eine neue Wendung zu geben.

So böse-komisch viele kleine Episoden, Streitgespräche und körperlichen Auseinandersetzungen auch verlaufen — am Schluß setzt sich Sartres düsterer Existentialismus durch, und die Inszenierung von Rik Maverik beendet dramaturgisch wirkungsvoll einen spannenden Theaterabend. Aus der gezeigten Hölle kann sich jeder wieder in seine eigene private begeben. Anja Poschen

Die Berlin Play Actors spielen — wie immer gut verständlich auf englisch — bis 2. März Do-Mo 20.30 Uhr im Theater Zerbrochene Fenster in der Schwiebusser Straße, Kreuzberg 61