Im Sommer heiß, im Winter kalt

■ Der Dachgeschoßausbau bleibt umstritten/ Im Westteil der Stadt könnten 35.000 Wohnungen entstehen, im Osten gibt es wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse praktisch keine Ausbauten

Ein unerwartetes, heftiges Rumpeln veranlaßte Martina B., einen Blick in ihr Schlafzimmer zu werfen. Ein Bild des Grauens bot sich: Die Zimmerdecke war heruntergebrochen, Möbel und Teppich übersät mit Putzteilen und Holzstücken. Über Martina B.s Wohnung wurde gerade das Dach ausgebaut — mit durchschlagendem Erfolg.

Tausende von Dachgeschoßwohnungen entstehen jedes Jahr in Berlin, nicht alle so dramatisch, aber doch oft umstritten. Knapp 2.000 davon werden mit öffentlichen Geldern gefördert. Zirka 35.000 Wohnungen, ließ die Senatsbauverwaltung 1988 ermitteln, könnten allein in Westberliner Dächern entstehen. In Ost-Berlin hingegen gibt es schon wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse so gut wie keine Dachausbauten. Was vom Bausenator als Stein der Weisen zur Behebung der Wohnungsnot gepriesen wird, stößt jedoch bei vielen Untermietern auf Kritik. Denn sie werden im Zweifelsfall monate-, manchmal jahrelang durch Lärm und Dreck belästigt. Zudem können, wenn sie Pech haben, im Zuge des Dachgeschoßausbaus teure Modernisierungen — etwa ein Fahrstuhl — auf ihre Miete umgelegt werden. Aber auch die frischgebackenen Mansardenmieter sind nicht immer glücklich. »Im Winter ist es bei uns unbeheizbar kalt, im Sommer unerträglich heiß, und wir zahlen über 2.000 Mark für drei Zimmer«, klagte taz-Leserin Katarina F.

Und selbst Bauherrn haben Grund zur Klage. Thomas M., seit gut zwei Jahren Besitzer eines Altbaus in Schöneberg, wollte in seinem Dach vier Wohnungen ausbauen. In eine davon wollte er mit seiner Familie ziehen, die anderen drei an Freunde vermieten. Doch es kam anders. »Öffentliche Förderung durften wir nicht nehmen, denn weder sind wir Sozialmieter, noch wäre in unserem Haus eine Wohnung freigeworden, die wir an einen Sozialmieter hätten vermieten können«, erzählt er. Nur dann aber bekommt man vom Senat die Pauschale von 40.000 Mark pro Dachgeschoßwohnung (siehe Kasten). »Diese Pauschale in Anspruch zu nehmen ist nur für Hauseigentümer praktikabel, die so viele Häuser haben, daß bei ihnen über kurz oder lang sowieso eine Wohnung frei wird«, meint Thomas M. »Mitnahmeeffekt«, nennt der Fachmann das.

Er habe dann den Dachausbau privat finanziert, berichtet Thomas M. weiter. Und das wurde teuer. Die Dachbalken mußten saniert, die historische Fassade aufwendig ergänzt werden, zudem stiegen die Zinsen. Der Spaß kostet letztlich 1,3 Millionen Mark, was einer Quadratmetermiete von 25 Mark entspricht. Für Thomas M.s Freunde ist das zu teuer. Und er selbst kann sich seine Dachwohnung nur leisten, weil er seine alte Wohnung im Erdgeschoß sehr viel teurer als zuvor als Anwaltskanzlei vermieten wird.

Eine ganze Reihe von Hauseigentümern finanzieren inzwischen ihr Dachgeschoß mit einer in Gewerbe umgewandelten Wohnung. Denn da ist ein kräftiger Mietenschub möglich. Und seit März 1991 ist das rechtlich möglich: Damals urteilte das Bundesverwaltungsgericht, daß jeder, der ein Dach ausbaut, einen Rechtsanspruch darauf hat, eine Wohnung in Gewerberaum zweckzuentfremden. Vorbehalt: Das Dachgeschoß darf nicht die ortsübliche Vergleichsmiete überschreiten. Aber die beträgt im Berliner Neubau etwa 25 Mark den Quadratmeter.

Von den Auswirkungen dieses Urteils können alle Baustadträte der Westbezirke berichten. In Schöneberg hat sich die Zahl der Zweckentfremdungen unter Berufung auf einen Dachausbau seit diesem Urteil fast vervierfacht, berichtet Uwe Saager (SPD), Baustadtrat von Schöneberg. Seine Kreuzberger Kollegin Erika Romberg (AL) muß beispielsweise einen Altbau in der Schlesischen Straße in ein Aussiedlerheim umwandeln, für das Gewerbemieten verlangt werden. Denn der Eigentümer bot zum Ausgleich dafür an, entsprechend viele Dachwohnungen zu bauen — in Zehlendorf. »Das führt zur Entvölkerung der Innenstadt«, stellte Frau Romberg fest. Der Senat müsse, fordern beide Stadträte, die Zweckentfremdungsverbotsverordnung ändern, um solche »unsittlichen Geschäfte«, so Saager, zu unterbinden. Zwar gibt es für solche Dachgeschosse wenigstens keine Förderung aus öffentlichen Mitteln. »Aber in den City-Bezirken werden die inzwischen meist privat finanziert«, stellt Saager fest.

Das ist aber nicht der einzige Grund, der Baustadträte verschiedener politischer Couleur beim Thema Dachgeschoßausbau die Brauen runzeln läßt. Denn im Gegenzug zum lukrativen Ausbau würden die Bezirkspolitiker vom Bauherrn gerne die ein oder andere Ausgleichsmaßnahme für die übrigen Mieter verlangen, etwa eine Hofbegrünung oder eine Wärmedämmung für die Fassade. Jedoch setzt sich nicht nur der Bausenator über so etwas hinweg, auch die Bundesregierung hat 1990 mit ihrem Wohnungsbauerleichterungsgesetz verfügt, daß praktisch jeder Dachausbau genehmigt werden muß.

Daß der Dachgeschoßausbau auch für den Hausbesitzer langfristig böse Folgen haben kann, stellte die Zeitschrift des Haus- und Grundbesitzerverbandes, das »Grundeigentum«, fest. Ein Dachstuhl, vor allem seine Holzbalken, brauche viel Luft, erläutert dort Alfred Eisenschink. Die nötige Wärmedämmung verhindere jedoch den Luftaustausch. Zudem ziehen die zur Dämmung benutzten Mineralwollmatten Feuchtigkeit an, was zu Blauschimmelbefall führe. Und: Die Wollmatten können durch Erschütterungen, etwa durch den Straßenverkehr, brechen. Dann entstehen Mineralstäube, die sich anschließend in den Lungen der Dachgeschoßbewohner wiederfinden. Langfristig ist das auch ein Beitrag zur Behebung der Wohnungsnot. Eva Schweitzer