Sehen und gesehen werden

■ „Jüdische Lebenswelten“ im Fernsehen/ Begleitprogramme zur Ausstellung

Es geschah auf einer ARD-Kulturkonferenz: In Erwartung der Berliner Großausstellung Jüdische Lebenswelten wurde in den Hirnen der Kulturchefs eine gute Idee geboren. Auch im Fernsehen sollten Einblicke in die Vielfalt der jüdischen Kultur gegeben werden. Und so wurde im Rahmen eines Begleitprogramms, das in den kommenden Wochen Sendeplätze im Dritten und in Eins Plus gefunden hat, auch ein ganz besonderes Magazin zum heutigen Eröffnungstag der Ausstellung in Auftrag gegeben. Unter dem Titel Heimgesucht — Heimgefunden berichten ARD-Korrespondenten aus New York, Curacao, Buenos Aires, Melbourne und Paris über das Leben jüdischer Gemeinden heute. Doch was die Sendung eigentlich spannend macht, ist nicht nur das, was die Programmacher bei der Planung im Sinne hatten. Fünf Fernsehkorrespondenten und ein Thema: schaut man die Sendung an, erfährt man mehr über die Einfalt mancher TV- Berichte als über die Vielfalt der jüdischen Kultur in aller Welt.

Ein Skalpell und anderes chromblitzendes Ärztebesteck liegen auf weißem Tuch und ein Baby in den Armen der Mutter. Heiko Engelkes berichtet über die Beschneidungszeremonie sephardischer Juden in Paris. Im Kommentar aus dem Off fallen die Worte „gewisse Grausamkeit“. Wer keine Kastrationsängste kennt, bekommt jetzt welche. Auch wenn sich Engelkes in seinem Film bestimmt der Aufklärung verpflichtet fühlt: was er per Dauerkommentar zum Thema Beschneidung zu sagen hat, hat man sowieso schnell vergessen. Ein klassischer Fall der Ton- Bild-Schere, die Medienprofessor Bernward Wember schon vor Jahren als Kardinalfehler bei der Informationsvermittlung im Fernsehen feststellte. Und selbst wenn man einmal gezielt dem Text lauscht und von „alten Männern im Café“ oder „fruchtbaren, dicken Müttern“ die Rede ist — was dem Publikum am Beispiel Paris bleibt, ist Schrecken.

Allen Korrespondentenberichten merkt man die Vorliebe für die Bebilderung jüdischer Feste an. Dennoch gibt es qualitative Unterschiede. Zum Vergleich Argentinien: In Buenos Aires läßt Wolfgang Gahbauer jüdische Emigranten selber sprechen. Spaß macht es, dem Plattdeutsch des Rabbis und Ex-Mönchengladbachers Hanns Harf zuzuhören. Das Lokalkolorit Farbe gibt, scheint der Korrespondent gelernt zu haben. Und auch, daß man Gesprächspartner immer wieder vor der Bücherwand in Szene setzen muß.

Daß Fernsehberichte zur jüdischen Thematik nach dem immer gleichen Schnittmuster gemacht sind, ist Susanne Stähr aufgefallen. Sie hat unzählige Stunden ARD- und ZDF-Material vom Archivstaub befreit, um eine Auswahl als Beitrag der Ausstellung Jüdische Lebenswelten im Berliner Martin-Gropius- Bau zu präsentieren. Friedhofsbilder und Schuberts Streichquartett Der Tod und das Mädchen seien bei den Fernsehmachern besonders beliebt, wenn es darum ginge, Jüdisches zu illustrieren, sagt sie. Sabine Jaspers

Heimgesucht — Heimgefunden ist in Eins Plus am Sonntag, 20.15 Uhr, sowie in N3 am 13.1. um 22.25 Uhr zu sehen.