Tiere, Touristen und Massai

■ Safari in Tansania: Zwischen Elefanten begucken und Löwen belauern schnell noch ein Massai-Fototermin. Doch die mit Kameras bedrängten Massai wissen sich zu helfen

Safari in Tansania: Zwischen Elefanten begucken und Löwen belauern schnell noch ein Massai-Fototermin. Doch die mit Kameras bedrängten Massai wissen sich zu helfen

VONSUSANNEBRAHMS

„There is no more real adventure“, sagte Paolo und zuckte bedauern mit den Schultern. Es gibt kein echtes Abenteuer mehr — und unser Blick schweifte aus dem klapprigen Jeep- Fenster hinaus in die weite, karg braune Massai-Landschaft. Unser Auto erklimmt keuchend den Kraterrand zu einem der berühmtesten Nationalparks Tansanias, dem Ngorongoro-Krater. Freunden und Bewunderern der Grzimek-Familie ist er sicher ein Begriff: Er liegt ganz in der Nähe des Serengeti Nationalparks und ist berühmt für seine Tierwelt. Von schroffen Gebirgszügen umgeben, können die Tiere den Boden des Vulkantrichters nur schwer verlassen. So wird der Ngorongoro-Park zum riesigen Zoo, in dem sich neben sieben Nashörnern, einigen Elefanten, Affen und sonstigem Getier haufenweise Touristen-Jeeps tummeln.

Als wir endlich den Kraterrand erreichten, haben wir unsere erste Autopanne. Passierende Massai treiben ihre buckligen Kühe an uns vorbei und winken uns fröhlich zu; eine Gruppe Hirten und einige junge Frauen mit Babys auf dem Rücken umringen uns und zupfen belustigt am großen Objektiv von meinem Fotoapparat. Die Massai sind eine der bekanntesten Ethnien Ostafrikas. Jeder zweite ostafrikanische Reisefühger schmückt den Schutzumschlag mit den malerischen Halbnomaden. Sie sind wie seinerzeit die Sanyasin immer in Rot, Orange und Violett gekleidet. Die Massai sind groß und gertenschlank, sie kommen so europäischen Schönheitsidealen ziemlich nah. Sie befriedigen also ein doppeltes touristisches Bedürfnis: ein ästhetisches und ein romantisches. Denn die Massai leben noch wie „damals“ — sie lieben ihre Kühe über alles und haben ihr halbnomadisches Leben noch nicht aufgegeben. Doch was heißt schon „ursprünglich“. Die Massai des Ngorongoro-Kraters haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Mehrmals wurden sie umgesiedelt — sie mußten ihre Dörfer in den Nationalparks verlassen. Den Ngorongoro-Massai ist es allerdings erlaubt, ihre Kühe im Krater zu weiden. In der ganzen Welt wurde dieses Experiment, Naturschutz ind soziale Anliegen zu verbinden, mit Spannung betrachtet.

Die jungen Massai, die interessiert und schadenfroh unsere Panne in Augenschein nehmen, umflatterte mehrere Lagen rotkarierter Stoff. Das Tuch ist aus hundert Prozent Synthetik und garantiert nicht handgewebt. Besonders dekorativ machen sich die Zahnpastatubendeckel in den Halsketten der Frauen. Die Männer haben sich kleine Plastik- Arzneimittelfläschchen kopfüber in die Ohrlöcher gesteckt. Die Rotgewandeten Ostafrikas werden von den übrigen belächelt. Ihnen haftet der Ruch des Folkloristischen an, und: ihre Kühe entziehen sie der Geldwirtschaft, mit ihnen wollen sie keinen Handel treiben. Nyrere, unser freundlicher stiller Fahrer aus Arusha, kann das nicht verstehen. Nyrere hat noch neun Geschwister zu Hause. Seine Eltern erwarten, daß er für sie arbeitet und das Geld, was er verdient, zu Hause abgibt. Nyrere ist 29 Jahre alt — aber an eine Hochzeit ist noch lange nicht zu denken — kein Geld. Wie so viele Tansanier hat er viele Jobs nebeneinander. Er ist nicht nur Fahrer, er ackert auf dem Land der Eltern und verkauft Gemüse auf dem Markt. Obwohl er Fahrer ist und in der Tourismusbranche arbeitet, die viele Dollar abwirft, reicht der Lohn bei weitem nicht aus. Nyrere bekommt für die fünf Tage Safari 4.000 Schilling Lohn. Das entspricht zwar ungefähr dem durchschnittlichen Monatslohn — aber die umgerechnet dreißig Mark reichen auch in Tansania nicht zum Leben aus. Daß die Massai ihre Kühe in so harten Zeiten nicht verkaufen wollen, stößt bei Nyrere auf Unverständnis. Und nicht nur das. „Sie wollen keine Hosen tragen und keine Hemden“, sagt er. Nach der Autoreparatur schenkt Nyrere den tapferen Hirten eine Dose Autoöl. „Damit können sie sich die Köpfe einschmieren“, meint er gönnerhaft.

Paolo, unser italienischer Safari- Reisegefährte ist über die Panne hocherfreut. Denn Paolo schreibt einen Reiseführer über Tansania und auch er möchte die erste Seite mit Massai schmücken. Jedes der geduckten Massai-Dörfer möchte er ansteuern: zwischen Elefanten begucken und Löwen belauern noch schnell einen Massai-Fototermin. Doch die Massai wissen sich zu helfen. Längst schon haben sie aus der Suche der Europäer nach dem echten, ursprünglichen Fremden, das auch im Schnellverfahren konsumierbar ist, ein florierendes Geschäft gemacht. Auch die Hirten, die sich während der Panne so nett mit uns unterhalten, wollen die Preise nicht verderben und verlangen von Paolo hundert Schilling pro Person pro Foto. Viel Geld in Tansania. Massai-Frauen an den Wegrändern der Nationalparks singen und wippen mit ihren Perlenhalskrausen, um die Weißen zum Foto zu animieren. Die geschäftstüchtigen Massai haben „Museumsdörfer“ eingerichtet, in denen Touristen für umgerechnet 15 Mark einen Blick in die Hütten der Massai werfen dürfen. Fotos kosten extra; für die Besucher stellen sich Frauen und Kinder zum Gruppenfoto auf und singen laut: Give me pen, give me pen — gib mir einen Kugelschreiber. Die Touristen sind nach dem Besuch meistens völlig entnervt und um einiges ärmer.

Auch sonst sind die Massai keine Kostverächter und machen sich die Errungenschaften der Zivilisation durchaus zu eigen: In den Massai- Dörfern drängeln sich neben den kugeligen Strohhütten Wellblechdachhäuser. Die Sandalen der Krieger sind aus alten Autoreifen und für die bunte Swatch von Paolo wollte der Führer der Gruppe seinen schönsten Speer hergeben.

Nachdem Nyrere ein mannsgroßes Rohr aus dem Wagen gebastelt hat, springt er wundersamerweise wieder an und wir konnten in den Krater hinunterfahren. Dort hat mir am besten der Nilpferd-Tümpel gefallen; ich wußte nicht, daß die einzige Aktivität der Nilpferde darin besteht, mit ihren Stummelschwänzen die Kacke beim Scheißen propellerartig über ihre Kumpels zu verteilen. Auch wir lieben eben das Ursprüngliche.