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Untergrundhelden und Stasi-Spitzel am Prenzlberg

Wie die Künstlerszene in Prenzlauer Berg auf die Enttarnung von Sascha Anderson und Rainer Schedlinski als Stasi-Mitarbeiter reagiert/  ■ Von B. Mika und U. Scheub

Jahrelang hat die DDR-Künstlerszene am Prenzlauer Berg um zwei Satelliten gekreist, die gleichzeitig Killersatelliten waren: der Lyriker Sascha Anderson und der Schriftsteller Rainer Schedlinski waren im Nebenberuf Stasi-Autoren. Anderson, experimenteller Dichter, Punkmusiker und Untergrundheld, trug zur Verhaftung Oppositioneller wie Roland Jahn und Rüdiger Rosenthal bei. Schedlinsky, Essayist und nach der Wende auch taz-Autor, verfaßte Spitzelberichte über seine engsten Freunde. Beide killen heute — im nachhinein — den Mythos vom „Prenzlberg“.

Die „andere“, staatsferne Kunst, die in Ost-Berlins alternativstem Viertel entstanden ist, gerät durch die Duftmarke der Stasi in unangenehmen Geruch. War die Subkultur, die privaten Lesungen und Ausstellungen, die offenen Formen des Zusammenlebens, letztlich doch nur stasi-gesteuert? Die Dichter und Malerinnen, Fotografen und Filmemacherinnen, die sich dort in den 80er Jahren einen Freiraum nicht gegen, aber jenseits des SED-Staates erkämpft zu haben glaubten, wissen selbst nicht mehr, wie sie ihre eigene Vergangenheit bewerten sollen.

Das freieste Stück Leben, das damals in der DDR möglich schien, war gleichzeitig vom dichtesten Spitzelnetz der DDR durchzogen. Das belegen nicht nur die jetzigen Enttarnungen, sondern auch die Rekordanzahl von konspirativen Wohnungen auf den in der taz veröffentlichten Stasi-Listen. Sowohl der Tatort Prenzlauer Berg als auch die Personen Anderson und Schedlinski zeugen von einer unauflösbaren Schizophrenie. Oder, wie es der Maler A.R. Penck ausdrückte, den die Stasi laut Kontraste unter Mithilfe des IM Anderson diskreditieren wollte: Der Sascha als Untergrundheld und Stasi-Spitzel in einer Person gehe als Synonym für die DDR-Verhältnisse noch mal in die Geschichte ein.

Ralf Winkler alias Penck lernte Anderson in der zweiten Hälfte der 70er Jahre im Umkreis der Dresdner Kunsthochschule kennen. Der gelernte Schriftsetzer war kurz vorher aus dem Knast entlassen worden — offiziell hat er wegen Scheckbetrugs, nach eigenen Angaben aber wegen Opponententums gesessen. Aus dieser Zeit stammt auch die Freundschaft Andersons mit der Malerin Cornelia Schleime und ihrem Kollegen Ralf Kehrbach. Beide durften ihre Bilder nicht ausstellen. Mit Anderson produzierten sie die ersten Zeitschriften, „verpackten“ seine verbotenen Gedichte in ihre Drucke und Zeichnungen. Die drei traten als Trio infernale auf, steckten immer zusammen, gründeten eine Punkband. Texte, die nicht gedruckt werden konnten, wurden eben gesungen. Anderson war damals „der“ Dresdner Poet und „zog mit seinem Köfferchen von einer Frau zur anderen“, erzählt Cornelia Schleime. „Er war machtgierig und setzte sich immer ins gemachte Nest. Aber einen großzügigeren Menschen als ihn kann man sich gar nicht vorstellen. Wenn ich auf der Fresse gelegen hätte, war er der einzige Mensch, auf den ich mich verlassen konnte.“

Die Freundschaft hielt 15 Jahre. Und jetzt: „Manchmal habe ich gedacht, daß ich ihn umbringen will. Aber mein Gefühl ändert sich von Stunde zu Stunde.“ Fünf Jahre hatte die Malerin gewartet, bis sie nach West-Berlin ausreisen durfte. Jetzt fürchtet sie, daß ihr Freund Sascha hinter allen Steinen steckte, die ihr in den Weg gelegt wurden. Bis heute erzählt Anderson seinen Freunden nichts über seine Arbeit für die Firma Späh und Horch. Als Kehrbach ihn zehn Minuten nach der Kontraste- Sendung — die alle Zweifel an Andersons Spitzeltätigkeit ausräumte— anrief, sagte der Dichter: „Ich war es nicht.“

„Anderson mußte mit furchtbaren Spaltungen gelebt haben, mußte so schlimm erniedrigt worden sein, daß er den Verrat dann brauchte“, glaubt der aus Prag stammende Ostberliner Lyriker Jan Faktor, für den auch Andersons Gedicht vom Killersatelliten „ganz eindeutig“ von „seiner bedrohlichen Stellung zwischen den Fronten“ handelt. Doch für Jan Faktor ist das keinerlei Entschuldigung: „Ab '82 bzw. ab '85 war er dann aber so weit bekannt, daß er vor dieser Gewalt durch die Öffentlichkeit genügend geschützt gewesen wäre.“

Anderson hat offensichtlich Schwierigkeiten mit der Erinnerung. Enge Freunde erzählen: „Er konnte den Finger noch voll Schokolade haben, aber wenn man ihn fragte, ob er wieder genascht habe, verneinte er mit voller Überzeugung.“ Er habe Angst vor beschriebenem Papier, panische Angst vor seiner eigenen Unterschrift. „Unangenehme Dinge schrieb er auf Zettel und vergaß sie sofort. Wenn man ihm die Notizen hinterhertrug, wurde er ganz blaß.“

Schon in Dresden fiel Anderson durch seine Hyperaktivität auf, die er ab 1982 auf den Prenzlauer Berg verlagerte. Auch hier klinkte er sich in schon bestehende Strukturen ein. Die Keramikerin Wilfriede Maaß und ihr Mann führten ein offenes Haus, waren Treffpunkt für unangepaßte Künstler aus der ganzen DDR. Anderson zog in Haus und Ehe ein. Er übernahm die Regie und konzentrierte die Szene auf sich.

Erste selbstverlegte Bücher, Zeitschriften und Graphikbücher erschienen in Miniauflagen von vier bis 20 Exemplaren, die aber überall kursierten und das Beispiel für weitere Untergrundprodukte abgaben. In den noch in Dresden entstandenen Reihen „UND“ oder „POE-sie-all- bum“ oder später in den „Schaden“- Heften tanzten Prenzlberger Künstler wie Bert Papenfuß-Gorek, Stefan Döring, Detlef Opitz, Elke Erb und dann auch Rainer Schedlinski aus den knöchernen Reihen des DDR- Kulturbetriebs, und Anderson immer mittendrin, zwischen den Künsten, zwischen den Welten.

Sascha Anderson — selbst mit Auftrittsverbot belegt — habe eine seltene Fähigkeit besessen, die Dinge zu organisieren und die Leute zu begeistern, berichten die KünstlerInnen vom Prenzlberg. Aber, so schränken Jan Faktor und die Malerin und Filmemacherin Christine Schlegel ein, er habe nichts selbst gegründet, er habe durch seine zahlreichen Kontakte vor allem auch in den Westen nur bestehende Initiativen zum Erfolg gebracht. Er habe Leuten geholfen, und er habe Leute beschissen. Mal sei sie wütend, sagt Christine Schlegel, mal denke sie, ein anderer an Saschas Stelle wäre wahrscheinlich noch schlimmer gewesen. Anderson und Schedlinski, die seien doch keine reinen Überzeugungstäter und nicht für diesen Staat gewesen. „Ich hätte lieber mit dem Gefühl weitergelebt, daß es ganz schön war auf dem Prenzlberg.“

„Daß sich auf dem Prenzlberg niemand so richtig über Anderson aufregt, ist die reine Ghetto-Solidarität“, schimpft der Fotokünstler Thomas Florschütz. „Man klammert sich an eine Identität, die es so nicht gab. Das war eine reine Notgemeinschaft.“

Kein gutes Haar an der Kultfigur Anderson läßt die Erfurter Schriftstellerin Gabriele Stötzer-Kachold. Sascha Anderson habe gedacht, er könne „alle verarschen und alle benutzen“ — einschließlich der Stasi. Dennoch war die Bindung an die Staatsschnüffler offenbar so stark, daß Anderson auch nach seiner Ausreise nach West-Berlin im Jahre 1986 weiter für sie arbeitete. Auf dem Prenzlberg aber — so sagt zumindest der Schriftsteller Lutz Rathenow — habe ein anderer seine Rolle eingenommen: Rainer Schedlinski. Der aus Magdeburg stammende Schriftsteller hat im Freundeskreis inzwischen gestanden, der Stasi zugearbeitet zu haben. Allerdings habe er genauso wie Anderson nie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben — eine inzwischen durch die Gauck-Akten widerlegte Behauptung. Er selbst sieht sich als Stasi- Opfer: Sein Bruder, der sich früh in den Westen abgesetzt habe, sei Fluchthelfer gewesen. Als er einen Kontakt für ihn herstellen wollte, sei er geschnappt und anschließend, nach dreijähriger psychiatrischer Behandlung, von der Stasi erpreßt worden.

Schedlinski war der Mann, der die Fäden der 1986 gegründeten und nach einem Gedicht Andersons benannten „Ariadnefabrik“ in der Hand hielt. Die bis 1990 existierende kleine Zeitschrift wurde zum neuen essayistischen Forum der Dichter vom Prenzlauer Berg. Doch Jan Faktor und seiner Frau Annette Simon trauten Schedlinski schon damals nicht über den Weg. Schon 1987 veröffentlichten die beiden in der „Ariadnefabrik“ eine Abrechnung mit der „drückenden Atmosphäre“ der Prenzlberg-Szene: „Kalt“ sei sie, „nur auf eine unangenehme Weise neugierig geladen, letzten Endes aber stumpf und teilnahmslos“. Jetzt fühlen sie sich bestätigt. Die „Falschheit“ und „Leere dieser Produktion“ von Stasi-Künstlern müsse nun neu bewertet werden, glaubt Faktor. Den Verdacht, die Staatssicherheit habe das Apolitische dieser Szene bewußt gesteuert, findet er dennoch absurd.

Gegen das pauschale Stasi-Stigma wehren sich auch die Leute, die durch die Spitzel Anderson und Schedlinski noch heute in ihrer Existenz bedroht sind. Beide Kunst-Kollaborateure sind Gesellschafter beim „Druckhaus Galrev“, einem kleinen Ostberliner Verlag, der im Mai 1990 gegründet wurde. Nach den Enthüllungen springen Autoren reihenweise ab, die dünne Finanzdecke wird das nicht lange aushalten. Das wichtigste für Geschäftsführer Klaus Michael ist, zu beweisen, „daß es eine unabhängige und integre Literatur gab. Ich wehr' mich dagegen, daß alles von der Stasi gesteuert worden sein soll. Ich will auch meine eigene Biographie retten.“

Rette sich wer kann vor den Spitzeln und den Spätfolgen. Oder, wie Penck sagte: Was machen wir denn nun? Wir können ihn ja nicht töten.

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