Geburtshelfer

■ Die Verdienste der Stasi bei der Gründung der SDP

Berlin (taz) — Man möchte den Gründermüttern und Vätern der damals noch SDP benannten DDR- SPD etwas mehr Gelassenheit wünschen. Kaum hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe nach Sichtung ihrer Stasi-Akte gemutmaßt, die Gründung der SDP sei „von der Stasi gesteuert worden“, regnete es aufgeregte Stellungnahmen der Führung. Die Gründung, so Wolfgang Thierse, sein kein Werk der Stasi gewesen, Barbe habe die Akten überinterpretiert. Steffen Reiche, Vorsitzender der brandenburgischen Sozialdemokraten, beeilte sich zu versichern, daß alle Mitglieder des Gründungskerns „durchleuchtet“ worden seien und Ibrahim Böhme sich als einziger Verräter herausgestellt habe. Markus Meckel schließlich gab bekannt, Böhme habe keinerlei Einfluß auf Programmatik und praktische Orientierung der neuen Partei nehmen können. Die Stasi, so Meckel, habe wenigstens dabeisein wollen, wenn sie die Gründung schon nicht habe verhindern können.

Wieso unbedingt verhindern? Generell gab es für die Firma stets die Alternative Prophylaxe oder Mitmischen. Die Stasi hätte im Vorfeld des Treffens in Schwandte, dem Gründungsort der SDP, die Handvoll Demokraten festsetzen können. Sie hat sich anders entschieden, wobei selbst eine strategische Überlegung, die Duldung eines begrenzten Pluralismus „auf sozialistischer Grundlage“, keineswegs außerhalb des Gesichtskreises der realsozialistischen Machthaber gelegen haben könnte.

Um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, sollten Meckel und seine Freunde ein wenig bei Lenin nachschlagen. Sie würden dort auf die kalte Feststellung treffen, daß man bei der konspirativen Arbeit Spitzel in Kauf nehmen muß. Es kommt einzig auf eine Kosten-Nutzen-Analyse ihrer Arbeit an. Hatte der zaristische Agent Malinowski nicht als bolschewistischer Abgeordneter in der Reichsduma gegen den imperialistischen Krieg agitiert und damit — unfreiwillig — der Sache des Proletariats gedient?

Wie unsicher, defensiv sich gerade Markus Meckel gegenüber dem ganzen Komplex verhält, verrät sein Versuch, Ibrahim Böhme als unpolitischen „Sunnyboy“ hinzustellen. Wenn Markus Meckel sich und der Öffentlichkeit gegenüber ehrlich wäre, müßte er mehr sagen, nämlich: Ibrahim Böhme war eine der wenigen großen politischen Talente in der Noch-DDR, sein Einfluß in der neuen Partei war überwältigend, er symbolisierte wie kein anderer den Wunsch der SDP nach einem eigenen Profil, das auch nach der Vereinigung mit der SPD erhalten bleiben sollte. Daß er andererseits ein seelisch ruinierter, haltloser Mensch war, der bis heute aus dem eigenen Wahnsystem von Rechtfertigungen nicht herauskommt, vermag diese Einschätzung nicht zu relativieren. Christian Semler