: Rent a video!
■ Graphothek startet unter dem Dach der Weserburg erweitertes Angebot / Mitnahmeeffekt erwünscht
Kartons nebeneinander
Z. B. einen Beuys für DM 12, incl. Tragetasche
Die Frauen liegen auf der Frauenstation im St.Jürgenkrankenhaus und haben Frauenleiden. Was fehlt? Einmal in der Woche kommt Joachim Schumacher vorbei und zeigt es ihnen: Bilder für die Krankenhauswände. Er hat ein Wägelchen voll gerahmter Druckgrafiken, Fotos, Aquarellen und Zeichnungen, die Frauen haben die Wahl. Wenn über den Kunstbegriff im Krankenzimmer Dissens besteht, kommt Stimmung auf.
Joachim Schumacher ist pädagogischer Mitarbeiter der Bremer Graphothek, die am Sonntag ihre neuen Räume in der „Weserburg“ feierlich einweihen konnte. Er kümmert sich darum, daß in öffentlichen Räumen Kunst ihren Platz findet. In Schulen, Krankenhäusern und bei Pro Familia. Sonst wartet die Graphothek eher auf ihre Kundschaft: ÄrtzInnen, Rechtsanwälte, Kunstlehrer und überraschend
viele Minderbeschulte (45%) leihen hier Kunst aus.
Ab sofort residiert die Graphothek endlich wieder, wo sie hingehört, im Herzen Bremens auf dem Teerhof. Die Geschichte der Graphothek (seit 1975) ist eine Geschichte der Umzüge. Zuletzt, zu Umbauzeiten der Weserburg, war man in einer Schule in Horn-Lehe untergebracht. Jetzt herrscht eitel Wohlgefallen an hellen adretten Räumlichkeiten mit Weserblick direkt unter der „Gesellschaft für aktuelle Kunst“ (GAK). Vis-a-vis das Sammlermuseum. Eine Kombination, von der sich die Chefin der Stadtbibliothek, Martha Höhl, viel Zulauf verspricht. Interessiert sich doch die Graphothek wie ihre Nachbarn ausschließlich für Kunst der letzten dreißig Jahre. Und: hat man Beuys, Christo, Darboven oder Uecker in der Weserburg gesehen, steigt gewiß der Appetit, eine Originalgrafik der Künstler für 16 Wochen ausleihen zu können. Kostenpunkt: für Menschen mit Stadtbibliotheks- Ausweis umsonst, für den Rest 12 Mark.
Aussuchen kann man von der Wand weg oder aus dem Magazin. Für öffentliche Einrichtungen können komplette themenzentrierte Ausstellungen und Grafik-Zyklen ausgeliehen werden. Pappkartons mit Griff erleichtern das Wegschleppen der guten Stücke. Das neueste Angebot im Programm: Kunst-Videos. Bundesweite und Bremer VideokünstlerInnen sind in der neuen „Videothek“ vertreten. Die (bislang neun) Tapes können nicht nur dortselbst angesehen werden, sondern ebenfalls — ein deutsches Novum — ausgeliehen werden.
Die Graphothek ist ein „typisches Kind der 70er Jahre“ (H. J. Manske, Kulturbehörde, er war dabei); die Kunst dem Volke, billig sollte sie sein, und der Boom der Serigrafie kam der neuen Graphothek entgegen. Mit 100.000 Mark Startgeld konnte einiges eingekauft werden, was heute — wie Pop Art - richtig was wert ist. Nach den mageren 80ern, in denen a) das große Sparen begann und b) die Künstler wieder das teure Unikat bevorzugten, zeichnet sich für die 90er zumal in Bremen eine Renaissance der Serigrafie ab.
50.000 Mark Ankaufetat pro Jahr, d.h. maximal 2.000 Mark für eine Arbeit. „Da kommen wir natürlich an die großen Namen nicht ran“, sagt Manske; und doch kommen Jahr für Jahr 200 neue Bilder hinzu. Darunter sind allerdings auch viele, die der Behörde als Gegenleistung für soziale Künstlerförderung zugefallen sind. Entstanden ist immerhin die größte Bremer Pop-Art- Sammlung und die umfassendste Kollektion Bremer junger Kunst.
Dem Graphothekar schlagen immer zwei Seelen in der Brust: eine gehört dem leidenschaftlichen Sammler; die andere freut sich über jedes Kunstwewrk, welches das Haus via Ausleihe verläßt. Des einen Uhl ist des anderen Nachtigall: leere Regale.
Burkhard Straßmann
Die Graphothek auf der Teerhof- Weserinsel ist ab 14. Januar dienstags, mittwochs, donnerstags und freitags von 13 bis 18 Uhr geöffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen