Reichschef: „Judassyndrom“

■ „Verdächtigungen ohne Beweiskraft“ / Stasi-Archive hilfreich

Stasiverdächtigungen hinter vorgehaltener Hand und als „Flüsterpropaganda“ haben auch vor den Landesverbänden des Reichsbundes der Kriegsopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen in den neuen Bundesländern nicht halt gemacht. Der Bundesvorsitzende dieser sozialen Organisation, Walter Franke, bezeichnete die Entwicklung in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) als „Judas-Syndrom“. Oft genug würden ihm Verdächtigungen ohne jede Beweiskraft vorgetragen, sagte Franke. Immer wieder müsse er darauf hinweisen, daß nur dann Konsequenzen gezogen werden könnten, wenn es Beweise für „Verbrechen oder Vergehen“ gebe.

Außerdem sei der Reichsbundvorsitzende nicht bereit, nur weil er „Wessi“ sei, in den ostdeutschen Verbänden den „Saubermann“ zu spielen. „Die in den neuen Bundesländern müssen mit ihren Problemen selbst fertig werden“, betonte er. Begrüßenswert und hilfreich sei in diesem Zusammenhang die Öffnung der Stasi-Archive. Eine der Ursachen ist nach Frankes Worten die „geistige Integration“ nach der Wiedervereinigung, die viel schwieriger sei als die nahezu abgeschlossene Phase der materiellen Anpassung. Westliche Wertbegriffe und Spielregeln stießen im Osten noch immer auf Unverständnis und Mißtrauen.

Als Präsidiumsmitglied des Weltverbandes der Privatinvaliden hat Franke fast identische Probleme auch in der CSFR und in Ungarn festgestellt. Dort bestimmten Verdächtigungen die Politik. Eine Hilflosigkeit anderer Art sei in der ehemaligen Sowjetunion zu beobachten. Früher seien die rund 5,5 Millionen Mitglieder des Komitees der Kriegsveteranen vom Staat unterstützt worden und hätten keine Beiträge zahlen müssen. Heute falle diese Unterstützung komplett weg. In den einzelnen Republiken gründeten sich jetzt Verbände, die mit Hilfe des Reichsbundes die „unendliche Schwierigkeit der Selbstorganisation“ überwinden wollen, berichtete Walter Franke. dpa