Keine Ampel, dafür Schwampel

■ Grüne: „Genießbarer Cocktail“ / CDU, AWG und Grüne seit November in Aurich am Ruder

Was anderen Ortes viele für undenkbar halten, ist seit Ende November im früheren ostfriesischen „Regierungssitz“ Aurich (heute ca. 30.000 Einwohner) Realität: Dort regiert ein Bündnis von CDU, Grünen und Allgemeiner Wählergemeinschaft (AWG). Bei der AWG handelt es sich um einen bunt zusammengewürfelten Haufen mit den unterschiedlichsten politischen Positionen. Ihr Programm: Bürgernähe.

Zunächst hatte es Gespräche zwischen SPD und Grünen gegeben, aber die örtlichen SPD-Genossen wollten ihren Platzhirsch Werner Stöhr, seit 12 Jahren Bürgermeister, nicht einer Koalition mit den Grünen opfern. Selbst die Interventionen des niedersächsischen Finanzministers Hinrich Swieter konnten die Auricher Sozis nicht umstimmen.

Gespräche zwischen CDU, AWG und Grünen folgten. Aus dieser ungewohnten Allianz entwickelte sich zumindest aus Sicht der Auricher Grünen ein genießbar erscheinender „Cocktail“. Die CDU sah die Chance, ihren Landtagsabgeordneten Werner Ontijd als Bürgermeister durchzubringen. Gönnerhaft akzeptierte sie das Verhandlungspapier der Grünen in den meisten Punkten. Die wiederum überließen der AWG den repräsentativen Posten des stellvertretenden Bürgermeisters.

Am 28. November wurde Ontijd gewählt. Auf den ersten Sitzungen des Stadtrates ging es hoch her. Die frustierten SPD-Genossen zeigten sich als schlechte Verlierer. Ex-Bürgermeister Stöhr klagte in der Lokalpresse über Magenschmerzen und dachte an das Ende seiner Karriere.

Grünen-Chefin Gisela Altmann erklärt das Motiv ihrer Partei: „Wir hatten es einfach satt, immer für den Papierkorb zu arbeiten. Wenn man in die Parlamente geht, will man auch seine Ideen durchsetzen. Das ist uns bis jetzt gelungen,“ Sie zieht nach den ersten Wochen eine positive Bilanz: Dank „Schwampel“ habe es zusätzliche Mittel für die Jugendkultur gegeben, eine Frauenbeauftragten-Stelle sei beschlossen und Änderungen der Verkehrsplanung eingeleitet.

Fest eingeplant ist bis Mitte 1992 der Aufbau eines Umweltamtes. Drei festangestellte Mitarbeiter sollen Grünordnungspläne aufstellen und Bebauungspläne mitgestalten, eine Baumschutzsatzung erarbeiten und Abwasserkontrollen bei Aurichern Betrieben durchführen.

Als eigentlicher Knaller entpuppte sich die unmittelbar nach dem Wechsel beschlossene Änderung der Geschäftsordnung des Stadtrates. Die Ratsmitglieder haben für das Jahr 1991 das Recht auf Einsicht in verwaltungsin

Zufriedene „Schwampel": A.Backa, W.Ontijd (CDU), O.Odens (AWG), G.Altmann (Grüne)Foto:Ostfr.Nachr.

terne Akten erhalten, um einen „Kassensturz“ machen zu können. Der brachte an den Tag, was die ehemalige Opposition vorher nicht belegen konnte: Stadtdirektor Thomas Friemann hatte bei der Finanzierung von zwei Tiefgaragen mit gezinkten Karten gespielt. Statt 7-8 Millionen kosten beide Objekte den Steuerzahler 17 Millionen Mark. SPD-Mitglied Friemann rechtfertigte seinen Rechenfehler mit angeblichen falschen Zahlenmaterial aus

Hier bitte die vier

am Tisch

der Verwaltung.

Gisela Altmann, die Ende November zur Sprecherin der Grünen in ganz Niedersachsen aufgestiegen war, sieht die Kooperation mit der CDU nicht als strategisches Bündnis: „Die Zusammenarbeit mit der CDU ist auf lokalpolitische Ebene beschränkt. Sie hat keinen modellhaften Charakter, obwohl ich sagen muß, daß es bis jetzt gut läuft. Wir arbeiten nach dem Konsensprinzip. Einige Sachen werden mit uns allerdings nicht laufen. Was das Bündnis aushält, werden die für Januar/Februar anstehenden Haushaltsberatungen zeigen.“

Auf die Frage, ob es möglich ist Grünes Profil in einer Partnerschaft mit dem ehemaligen Polizeibeamten Ontijd zu bewahren,

antwortete Gisela Altmann: „Das geht nur über Inhalte, die wir der Basis und den Wählern vermitteln können.“

Auch die schwarze Schwampel-Fraktion spart nicht mit Lob für das ostfriesische Experiment. Gerade das persönliche Miteinander klappt offensichtlich über alle ideologischen Grenzen hinweg. Mit Worten wie „sehr gut“ und „menschlich“ beschreibt Anna Backa, CDU-Fraktionsvorsitzende, die Zusammenarbeit in der Auricher Schwampel. „Unser Problem ist die Verwaltung. Der rote Filz blockt ab. Vom Stadtdirektor erwarten wir ehrliche Auskünfte und Beratung, doch der tut sich noch schwer mit den neuen Verhältnissen.“

Jürgen Kucz