Die Suppe war gut

■ Das Ensemble Oriol im Kammermusiksaal des Schauspielhauses

Samstagabend. Ein spannendes Konzert ist angekündigt und der Kammermusiksaal des Schauspielhauses nicht allzu weit: Das Ensemble Oriol hatte sich gemeinsam mit dem Geiger Kolja Blacher und dem Pianisten Alan Marks amerikanische Kammermusik des zwanzigsten Jahrhunderts als Programm gewählt. Also mache ich mich in Begleitung einer schönen Frau auf die Socken, nebenbei auch mal wieder die Vorzüge einer Pressekarte vorzuführen.

Wie es sich gehört, verbrachte ich selbstverständlich den Nachmittag am Telefon, um brav und vorsorglich die Pressekarten zurückzulegen zu lassen. Mit der Öffentlichkeitsfreundlichkeit des Schauspielhauses allerdings ist nicht zu rechnen: hat man mit Glück die lokale Telekom-Barriere der Ost-Neun überwunden, so scheitert man beliebig oft am Besetztzeichen. Alle verschiedenen Nummern des Schauspielhauses kann man ausprobieren, sämtliche Durchwahlen oder auch die Zentrale — immer dasselbe monotone belegte Tuten. Vermutlich feiert man den Samstagnachmittag und frühen Abend, oder irgendeiner hat seine Kaffeepause verlängert, oder man hält es einfach für überflüssig, überhaupt vor Konzerten für potentielle Besucher erreichbar zu sein; — und die Erfindung des Anrufbeantworters hat sich vermutlich noch nicht bis zum Schauspielhaus durchgesprochen, wer weiß...

Und so kommt natürlich obligat, was kommen mußte. Als wir, durch beißende Kälte, schließlich vor Ort angelangt sind, hat die Kassiererin pünktlich um halb acht den Vorhang hinter ihrer bazillensicheren Glasscheibe zugezogen und antwortet erst mal mit der lakonischen Bemerkung, daß nun bereits Feierabend sei. Schließlich bequemt sie sich doch. Nun, da lege ich meinen Presseausweis vor und bitte um die Karten. Aber ja — es liegt ja keine telefonische Anmeldung vor, »Zuweisung« nennt sich das auf schauspielhausdeutsch — und da gibt's denn auch freilich keine. Es sei denn — zwanzig Mark das Stück. Ich erinnere mich des Fernsehinterviews mit einem Luftwaffenoffizier der Volksarmee: Wie hatte der so schön, nachdem er erst mal von westdeutschen Flugzeugen geschwärmt hatte, auf die Frage geantwortet, ob es ihm nichts ausmache, nun für die Bundeswehr zu fliegen: »Ich fliege für jeden Herrn gegen jeden Feind...«

Und ich erinnere mich der »besseren Zeiten«, als Ostberliner Konzerte noch erschwinglich waren. »Schön war das: für drei Mark fünfzig damals Platz 14 in der ersten Reihe Balkon auf ehemals Honeckers Platz gesessen«, werde ich dann meinen Kindern mal erzählen.

Offensichtlich, daß mit der Dame nicht weiter zu reden ist. Also drehe ich mich zu meiner weiblichen Begleitung, mich, freilich nicht ohne peinliche Berührung, entschuldigend, und lade sie zu einer Lachssuppe ein, um das Geld zu verspeisen, das als Konzertkritik- Honorar zu verdienen mir nicht vergönnt war. Die Suppe immerhin war gut. Fred Freytag