Das schüchterne Monster

■ »Water dreams of a shy monster« vom Transformtheater im Polnischen Kulturzentrum

In einem die Bühnenfläche einnehmenden Wasserbassin stehen Blechtonnen, Benzinkanister, Bänke aus Planken und Tauen, ein Metallbett, ein Waschtisch nebst Holzstuhl und ein Ruderboot voller Sand.

Fünf Männer und drei Frauen betreten plätschernd dieses Terrain, kuscheln sich aneinander oder räkeln sich auf dem Mobiliar. Stille. Aus ihren Mündern kommt langsam ein Ei ans Licht des Theaters und fällt auf den flüssigen Boden. Während sich ein Pärchen in wilden, verrenkten Umarmungen liebt, wird der Monolog der »Molly Bloom« aus Ulysses rezitiert. Eine Madonna singt und kost einen Ast, als wäre es ihr liebliches Kind. Eine Wassermelone führt ein Streitgespräch mit einer Honigmelone, Gerty McDowell erzählt die Geschichte ihrer transzendierten Liebe zu Bloom in der Kirche, und die geistig etwas zurückgebliebene Cissy produziert als Huhn ein übergroßes Ei. Leopold Bloom philosophiert über die Menstruation der Frau und ißt dabei ein Stück roter Melonenfrucht. Er stirbt als Odysseus/Ulysses und wird dabei durch das Wasser von der Bühne gezogen.

Zu Textpassagen aus Finnegans Wake gibt es einen »Ball Bizarr« mit Männern in Strapsen und Frauenkleidern, der in Gesang und Tanz endet. Die Alpträume »HCEs« nehmen Gestalt an und sorgen für einen somnambulen Zustand der Hauptfigur. Während zwei Wäscherinnen Tratsch und Klatsch über Anna Livia Plurabelle und HCE (Humphrey Chimpden Earwicker) verbreiten, waschen sie weiße Bettlaken, die nur noch schmutziger werden können. HCE (Here Comes Everyone) läßt sich von ALP (Annuschka Lutetiavitch Pufflova) baden, und beim Wasserdampf des Teekessels erzählt sie das Ende und den Anfang von dem »work in progress«. Der Kreis schließt sich jetzt.

Die Inszenierung von Henryk Baranowski verzichtet zugunsten sprachlicher und körperlicher Ausdrucksformen der Akteure weitgehend auf Requisiten und Effekte. Durch die Verwendung der mannigfaltigen Möglichkeiten des Elementes Wasser wird nicht nur auf einen Hauptaspekt in den Werken des irischen Schriftstellers James Joyce hingewiesen, sondern auch auf die Philosophie von Gianbattista Vico, der die Arbeit von Joyce maßgeblich inspiriert hat: Seine Theorie besagt, daß Historie ein fließender Zustand ist, der sich periodisch wiederholt, genau wie Wasser verdampft, um als Regen zu Boden zu fallen und später wieder zu verdampfen. Aber man spürt in dieser Inszenierung nicht nur die intellektuelle Beschäftigung mit Joyce, sondern auch zwei wesentliche Charaktermerkmale seiner Person: Sex und Humor.

Die Texte von Joyce für die Bühne zu bearbeiten haben schon viele versucht, und die meisten sind daran gescheitert. Sicherlich liegt dies auch an der verbohrten Einstellung des Suhrkamp-Verlages und der Erben, die jegliche Bemühungen in dieser Richtung generell unterbinden. Aber Henryk Baranowski und seinem Bühnenbildner Katarzyna Januszko ist in dieser Hinsicht ein Kleinod höchster Poesie mit dramatischer Aussagekraft gelungen: sie verknüpfen die Tradition des polnischen »Armen Theaters« mit moderner Ästhetik. Fixiert auf die Konzentration der Körperlichkeit der SchauspielerInnen, entwickeln sie ein Panoptikum der Phantasie, voller Assoziationen und Symbole. So merkt man dieser Produktion nicht nur einen enormen Kraftaufwand in der Arbeit an der Umsetzung der Textbausteine an, sondern sieht auch ein Ensemble, das von professioneller Bühnenpräsenz, Virtuosität und Spielfreude geprägt ist.

Die SchauspielerInnen sind durch die Bank sowohl textlich und spielerisch als auch gesanglich hervorragend. Besonders Kimberly Bruce (als Gerty McDowell und ALP in ihren unterschiedlichen Varianten) wie auch Johanna M. Höppl (als Cissy und Wäscherin) stechen durch ihre Leistungen hervor. Bei den Männern sind Andrzej Blumenfeld (als Bloom und HCE) und Timo Sturm (als Shaun und Robert) nennenswert.

Diese Produktion ist eine der wenigen Ausnahmen, von der man sagen kann, daß sie zu Recht vom Kultursenat gefördert wurde. Denn hier verbindet sich der Mut zum Experiment mit künstlerischem Handwerk, und das ist in der weiten Landschaft der Berliner Off-Theater immer noch selten genug. York Reich

Weitere Aufführungen von Water dreams of a shy monster: 15.-19. Januar, jeweils um 19.30 Uhr im Polnischen Kulturzentrum in der Karl-Liebknecht-Straße 7, 1020 Berlin.