Nord-Ostpreußen fest im Auge

■ Ein Thema umtrieb die »Deutsche Burschenschaft« auf ihrem Treffen: Wann wird das Gebiet um das ehemalige Königsberg wieder deutsch?/ Die Organisation zählt 22.000 Mitglieder aus Deutschland und Österreich

Wilmersdorf. Kurz nach 20 Uhr waren die 300 Männer von der Qual des Arbeitstages erlöst. Da erhob der Vorsitzende der Burschenschaft »Hilaritas« aus Stuttgart sein Bierglas und bat die »Herren Verbandsbrüder«, auf einen »harmonischen und glücklichen Verlauf des Abends zu trinken«. Bis dahin hatten am letzten Samstag abend einige der Anwesenden arg darben müssen. Im Saal des Wilmersdorfer Logenhauses der Freimaurer galt während der »41. Arbeitstagung« der »Deutschen Burschenschaft« striktes Alkoholverbot.

So mußten die kurzgeschorenen Herren in ihren dunklen Anzügen, den bunten Mützen und Bändern bei den Vorträgen mit Mineral- und Fruchtsäften Vorlieb nehmen. Doch auch so kamen sie auf ihre Kosten. Etwa beim Würzburger Professor Gerhard Ritter, der die USA scharf geißelte. Sie beherrschten allenthalben die Welt und versuchten, auch den Osten mit ihrem Konzept des »One World« zu gewinnen. Doch der östliche Nationalismus zeigt sich resistent, wie der Historiker Ritter glaubt. Grund: Die östlichen Ethnien würden durch ihre »starken bäuerlichen Instinkte« davor bewahrt.

Neben solchen wissenschaftlichen Erhellungen stand jedoch vor allem ein Thema im Mittelpunkt des burschenschaftlichen Interesses: die deutsche Minderheit im Osten. Denn auch nach der Vereinigung lege die Deutsche Burschenschaft »die Hände keineswegs in den Schoß«, so ihr Sprecher Hans Heckel. Die Solidarität gelte nun den Landsleuten »außerhalb unserer Grenzen«.

Ganz besonders hoch schlägt das Herz der 22.000 Mitglieder zählenden Organisation für die Rußlanddeutschen. Ihre Forderung: Sie sollten im Gebiet um Kaliningrad (ehemals Königsberg), das heute zu Rußland gehört, angesiedelt werden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Freiherr von Stetten beruhigte die Zuhörer mit der Feststellung, daß Nord-Ostpreußen »schlicht nicht geeignet ist, auf Dauer zur russischen Republik zu gehören«. Es werde in Zukunft keine deutsche, dafür aber eine »europäische Provinz« werden, so sein hoffnungsfroher Ausblick. Unter dem verständnisvollen Gelächter angesichts ausländischer Gäste ermahnte er die Burschenschafter zu Zurückhaltung: »Wir sollten über dieses Thema nicht so furchtbar laut nachdenken.«

Das hielt Sprecher Heckel nicht davon ab, den Leiter der polnischen Botschaft in Berlin zu fragen, ob »wir in Deutschland nun die Eroberung Nord-Ostpreußens auf friedlichem Wege durch Polen zu befürchten haben?«. Botschafter Jerzey Sulek blieb diplomatisch-gefaßt und verwahrte sich gegen jede Art von Plänen, an den bestehenden Grenzen zu rütteln. Wer das tue, der verschärfe die Gefahren für ganz Europa. Mit leicht ironischem Unterton forderte er die Burschenschafter auf, nicht allzu große Hoffnung auf eine Rückkehr von Millionen Deutschen rund um Königsberg zu setzen. Schließlich sei das Gebiet öde und in den letzten vier Jahrzehnten weitgehend heruntergewirtschaftet. Der Gesandte der CSFR-Botschaft, Frantisek Cerny, den eine »gewisse Neugier« zur Veranstaltung getrieben hatte und der zum ersten Mal »lebendige Burschenschafter« vor sich sah, schilderte die Ängste, die viele seiner Landsleute vor dem »imperialen Gehabe« der Deutschen hätten. Aufgrund der Vergangenheit sollten gerade die Deutschen versuchen, ihre offen zur Schau gestellte Besserwisserei »etwas zurückzustellen«.

Zum Abschluß ihres Festkommers, wie die Burschenschafter ihr Trinkgelage nennen, durfte schließlich der unter dem früheren Verteidigungsminister Manfred Wörner in Ungnade gefallene General Günter Kießling Militärtheoretisches zum besten geben. Die Bundesrepublik benötige weiterhin als »atomarer Habenichts« einen atomaren Schirm. Ganz nach dem Geschmack der Anwesenden war seine Forderung nach einer »Luftkavallerie«, mit der den »ungewissen Bedrohungen« aus der Dritten Welt begegnet werden soll. Und schließlich forderte er die »Verbandsbrüder« auf, beim abschließenden Singen der Nationalhymne an die »unbeschreiblichen Leiden« der deutschen Soldaten zu denken, die vor über 50 Jahren in Rußland kämpften. Severin Weiland