Das Diktatorentango

Imelda Marcos, Frau des einstigen philippinischen Diktators, ist aus dem Exil zurückgekehrt und will die einstige Hoffnungsträgerin Corazon Aquino als Staatsoberhaupt beerben.  ■ VON ELKE WANDEL

Niemand kann der Vorsehung entfliehen!“ Imelda Marcos sprach's — und gab ihre Kandidatur für die philippinischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Mai bekannt. Was zunächst wie ein Treppenwitz der Geschichte klingt, ist im Kontext der philippinischen Politszene und des Werdeganges der Diktatoren-Witwe gar nicht einmal so erstaunlich.

Imelda ist nicht nur als schamlos verschwendungssüchtig und moralisch skrupellos bekannt; sie gilt auch als ausgesprochen ehrgeizige und zudem durchsetzungsfähige Frau. So hatte sie zu Ferdinand Marcos' Lebzeiten als Bürgermeisterin von Manila und Ministerin für Siedlungsfragen bereits hohe politische Ämter bekleidet — wenn auch mit zweifelhafter Kompetenz. Wie ein mit erlesenen Brillianten aufgeputzter Christbaum pflegte sie durch die Slums der Vorstädte zu stöckeln. Sie sah sich als Stern der armen Leute, der ein bißchen Glanz in die trüben Hütten bringt.

Fast 20 Jahre ging Imelda ganz in ihrer Rolle als First Lady auf. Seite an Seite war sie mit Ferdinand auf Repräsentationstouren durch die Lande gezogen und hatte schwülstige Liebeslieder mit ihm im Duett gesungen. Diese Auftritte wurden jedoch zunehmend peinlicher. Und bei seinem letzten Wahlkampf 1986 wirkte der fast schon senile Diktator neben seiner blühend aussehenden, gepflegten Gattin wie ein abgetakelter Tangotänzer. Häufig mußten ihn seine Leibwächter vorsichtig auf die Rednerbühne tragen und zuweilen — wenn ihn wieder einmal die Blase im Stich gelassen hatte und er in nassen Hosen zu seinem Volk sprach — dann unvermittelt und hektisch vom Podest zerren.

Seit Jahren schon war Marcos schwer krank gewesen. Und Imelda fürchtete nichts mehr, als nach dem Tod ihres Mannes — ohne den Posten der First Lady — in die Bedeutungslosigkeit zu versinken. Folglich hegte sie Ambitionen, die Nachfolge Ferdinands anzutreten und nach dessen Ableben selbst den Diktatorenthron zu besteigen.

Benigno Aquino, der damalige Oppositionsführer, drohte der ehrgeizigen Dame jedoch einen Strich durch die Rechnung zu machen. 1983 kündigte er seine Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil und seine Kandidatur im bevorstehenden Wahlkampf an. Dieser Schritt hätte die uneingeschränkte Herrschaft des Diktatorenehepaars gefährlich ins Wanken bringen können. Doch gleich bei seiner Ankunft wurde der populäre Politiker auf dem Flughafen erschossen. Es heißt, Ferdinand Marcos habe, als er von dem Mord an seinem Rivalen erfuhr, nach seiner Frau mit einem schweren Gegenstand geworfen, der unter Imeldas rechtem Auge eine Platzwunde hinterlassen habe.

Tatsächlich gilt Imelda Marcos als eine der wesentlichen Drahtzieherinnen dieses politischen Mordes. Und auch wenn Ferdinand ihr an Skrupellosigkeit sicher in nichts nachstand, wäre er hier vielleicht nicht ganz so plump vorgegangen. Die Ermordung Benigno Aquinos und seine anschließende Heroisierung nämlich haben entscheidend zum Fall der Marcos-Diktatur beigetragen und Corazon Aquino 1986 zu ihrer Präsidentschaft verholfen. Die Witwe des Märtyrers hatte beschlossen, das Vermächtsnis ihres ermordeten Mannes einzulösen und als seine Stellvertreterin das politsche Erbe anzutreten. Die schlichte Hausfrau mit dem Madonnen-Image schlug den schrillen skandalumwitterten Vamp Imelda mitsamt ihrem altersschwachen Ferdinand in die Flucht nach Hawaii.

Nach Wild-West-Manier raffte das Marcos-Duo im Februar 1986 noch in letzter Minute zusammen, was nur in dem für sie bereitstehenden Jet unterzubrigen war: Antiquitäten, Schmuck, Goldbarren und kofferweise druckfrische Pesos. Wie mittelalterliche Raubritter hatten sie die Philippinen mehr als zwanzig Jahre schamlos ausgesaugt und schafften ihre Beute außer Landes.

Skrupelloses Kleptokratenpaar

Imelda und Ferdinand galten als das skrupelloseste Kleptokratenpaar des Fernen Ostens. Entwicklungshilfegelder flossen zu einem erheblichen Teil automatisch auf ihre Privatkonten. Nach offiziellen Schätzungen könnte mit den gestohlenen Geldern fast die gesamte Staatsverschuldung getilgt werden.

Es scheint absurd, daß es bislang keine Möglichkeit gibt, an die verschwundenen Milliarden heranzukommen. Fünf Jahre nach der spektakulären Flucht ist nun endlich vor ein paar Monaten Anklage gegen Imelda Marcos erhoben worden, wegen Steuerhinterziehung und Korruption. Unter anderem geht es auch um das auf Schweizer Banken versteckte und dort eingefrorene Staatsvermögen. Aber die Pfade des philippinischen Rechtsweges sind verschlungen, und es werden noch viele Jahre ins Land gehen, bis sich in dieser Angelegenheit ein Ergebnis abzeichnet. An einer Verschleppungstaktik dürften vermutlich nicht nur die Marcos- Vasallen Interesse haben; denn auf die eine oder andere Weise ist ein maßgeblicher Teil der politischen Führungsschicht des Landes selbst in den undurchdringlichen Dschungel der Finanzdelikte verstrickt.

Liedchen für die Journalisten

Und schließlich mag der Ausgang des Prozesses gegen Frau Marcos vor einem Jahr in Manhattan als Maßstab für die einheimische Justiz gelten. „Die lustige Witwe“ war angeklagt, 220 Millionen Dollar aus der Staatskasse, in den USA in Grundbesitz und Juwelen investiert zu haben. Nach ihrem Freispruch ließ sie sich in die St.Patrick's-Kathedrale chauffieren, wo sie zum Entzücken der anwesenden Pressefotografen auf Knien durch das Kirchenschiff robbte. Anschließend lud sie die Geschworenen zu Spanferkelessen und Bauchtanz in ihre Luxussuite ein.

Auch jetzt kehrte Imelda nicht in der Pose der reuigen Sünderin heim. Siegessicher und strahlend traf sie nach fünf Jahren Exil in Manila ein. Daß sie darauf bestand, vom Flugzeug aus statt eines gesonderten Ausgangs den Durchgang für ganz normale Passagiere zu benutzen, ist nur allzu verständlich; denn Benigno Aquino erreichten 1983 die tödlichen Schüsse in einem Sonderausgang des Flughafens.

Vielleicht fürchtete sie tatsächlich, sein Schicksal könne sich bei ihrer Rückkehr aus dem Exil wiederholen. Aber bei der schleunigst einberufenen Pressekonferenz war bald alle Aufregung verflogen. Und sie sang den Journalisten ein schwermütiges Liedchen ins Mikrophon, die „Muse von Manila“, wie sie noch immer huldvoll von ihren Verehrern genannt wird.

Ganz in weiß — als personifiziertes Unschuldslamm — stellte sie sich wenig später den Justizbehörden, um sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen. Ihre Fingerabdrücke wurden abgenommen; der Gerichtsfotograf allerdings mußte nicht bemüht werden. Ein Foto hatte Madame griffbereit in der Handtasche. „Das ist ein trauriger Tag!“ hauchte sie und streckte den auf sie gerichteten Kameras pathetisch ihre von Tinte geschwärzten Fingerkuppen entgegen.

Madame erscheint mit perfektem Timing rechtzeitig vor Beginn des Wahlkampfes in ihrer Heimat. Keck fordert sie ihre Erzrivalin heraus. Zwar lehnt Corazon Aquino eine erneute Kandidatur ab, so daß es kaum zu einem Duell der Witwen kommen wird, aber es dürfte für Imelda eine Genugtuung sein, ihre Gegenspielerin abzulösen. Eine kleine Rache für die schmerzliche Vertreibung aus dem präsidialen Paradies des Malacanang-Palastes.

Meinungsumfragen haben allerdings ergeben, daß Imelda in der Gunst der WählerInnen augenblicklich nicht allzu hoch rangiert. Aber schon ihr Mann hat seine Wahlsiege aus dem prall gefüllten Staatssäckel bestritten. Vor allem aber ist das Parteienbündnis der Regierung Aquino augenblicklich hoffnungslos zerstritten. Nach langem Tauziehen hat sich vorläufig der derzeitige Parlamentssprecher Ramon Mitra als Spitzenkandidat durchsetzen können. Daß dies gegen das erklärte Votum der Präsidentin geschah, zeigt, wie stark ihr politischer Einfluß geschwunden ist.

Unter Aquino änderte sich nichts

Als berühmtestes Opfer der brutalen Marcos-Ära wurde in den Achtziger Jahren Corazon Aquino für das gebeutelte Volk die Hoffnungsträgerin mit der weißen Weste. Ihr Credo war Wahrhaftigkeit und moralische Integrität, und damit verkörperte sie die Antithese zu der bluttriefenden raffsüchtigen Marcos-Herrschaft.

Doch schon bald wurde deutlich, daß auch Frau Aquino die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte. Auch heute wieder sind die Gefängnisse mit politisch mißliebigen Zeitgenossen überfüllt, werden Oppositionelle gefoltert.

Auch im Alltag der kleinen Leute hat sich unter Aquino nichts geändert. Nach wie vor lebt rund ein Drittel der Bevölkerung unter dem Existenzminimum, in Wellblechhütten, die vor Naturkatstrophen wie Überschwemmungen, Taifunen oder Vulkanausbrüchen nicht den geringsten Schutz bieten. Die größte Enttäuschung aber war, daß die versprochene Landreform nicht wie angekündigt durchgeführt wurde.

Eigentlich ist das kaum verwunderlich, denn die Präsidentin, eine geborene Cojuangco, stammt aus einer der reichsten Großgrundbesitzerfamilien des Landes. Und es war kaum zu erwarten, daß die Cojuangcos freiwillig auf ihre rund 5 000 Hektar große Zuckerrohrplantage verzichten würde. Stattdessen wurde ein Drittel des Landes in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Und statt eines Stücks Land bekamen die Bauern ein Stück Papier.

Eine wandelnde Bühnenshow

Der diskrete Charme der Restauration hat die unverhüllt schamlose Gewaltherrschaft des Aufsteiger-Diktators Marcos abgelöst. Die kleinen Leute fühlen sich jedoch betrogen. Und sie werden der scheidenden Präsidentin keine Träne nachweinen. Die Madonna hat ihren Heiligenschein verloren; der Witwen- und Märtyrerbonus trägt nicht mehr. Was übrigbleibt, ist eine intellektuell wirkende, wohlerzogene höhere Tochter, eine Frau ohne Charisma, die ihre Zuhörerschaft mit ihrer quäkig-näselnden Klosterschülerinnen- Stimme und dem zurückhaltend spröden, zuweilen biederen Auftreten langweilt.

Hier liegen vielleicht die Chancen der Imelda. Sie hat den Filipinos zwar auch kein Brot gebracht, dafür aber Spiele. Sie wird die Leute auch jetzt nicht satt machen, aber sie wird sie amüsieren, für Schlagzeilen sorgen, für Klatsch, grell und gemein.

„Wir sind eine auf Entertainment fixierte Kultur“, erläutert der philippinische Politologe Alex Magno, „und Imelda ist eine wandelnde Bühnenshow. Unser Leben ist momentan ziemlich eintönig und trübe. DA gibt's dann schon die Sehnsucht nach Zerstreuung.“ Und die zu liefern, ist eine von Imeldas Spezialitäten. Ihre bestens choreographierten Medienauftritte haben einen hohen Unterhaltungswert.

Aufgrund ihrer einfachen Herkunft — sie stammt aus dem verarmten Zweig einer insgesamt wohlhabenden Familie und mußte sich als junges Mädchen ihren Lebensunterhalt als Verkäuferin in einer Musikalienhandlung verdienen — ist Imelda vom alteingesessenen Geldadel nie als eine der ihren akzeptiert worden. Für die versnobte philippinische Aristokratie, zu der auch Corazon Aquino zählt, galt sie als ordinär.

Das Tragische an der politischen Situation auf den Philippinen ist eigentlich, daß es für den Alltag der kleinen Leute kaum einen Unterschied machen dürfte, ob die Präsidentin Corazon Aquino oder Imelda Marcos heißt. Dies gilt im übrigen auch für die Frauenfrage. Auf die Frage, was sie denn für die Emanzipation der philippinischen Frauen getan habe, antwortete Corazon Aquino: „Ich hoffe gezeigt zu haben, daß sich eine Frau politisch engagieren kann, ohne dabei ihre Weiblichkeit zu verlieren.“ Imelda Marcos sprach Frauen — außer sich selbst natürlich — generell das Recht auf eine eigenständige Karriere ab. „Frauen“ so der Kommentar der First Lady zum Wahlkampf, den Corazon Aquino gegen ihren Mann führte „erteilen Männern Lektionen allenfalls im Bett“.

So sehen sich auch beide Witwen als politische Erbinnen ihrer toten Gatten. Streng genommen hat Blas Ople, ehemals Arbeitsminister unter Marcos, recht, wenn er sagt: „Das ist kein Krieg der Witwen, das ist vielmehr die letzte Schlacht zweier Leichen.“