ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Blauäugiges Kunstgerocke und sozialistischer Zeilruppenpop

Weltall Erde Mensch ist ein dickes Propagandabuch, das den Teenagern der DDR in den siebziger Jahren zur sozialistischen Jugendweihe geschenkt wurde, worin sich die angehenden Erwachsenen über die Welt aus der Sicht des Sozialismus DDRscher Einfärbung orientieren sollten.“ So klärt ein Beiblatt alle West- Hörer über den Titel des gleichnamigen DDR- Hit-Samplers auf, den die DT-64-Jockeys Lutz Schramm und Roland Galenza fachmännisch zusammengestellt haben. Eine ironische Referenz an ein Sein, das nun mal das Bewußtsein bestimmt hat: Die sozialistische Jugend nimmt ihren Weg, der Mensch steht im Mittelpunkt des Geschehens. Nur konsequent also, daß der Gang der Geschichte zu höheren Zielen auch seine Spuren im DDR-Pop hinterlassen hat. Sätze wie „Mensch ehrt den Menschen“ von der Renft- Combo möchten die Staatsbürger in eine schöne Republik gegenseitiger Achtung führen.

Nicht nur DDRler nahmen teil an dieser hausbackenen Pop-Verführung. Seit dem Ende der sechziger Jahren kam aus dem Küchenlautsprecher des Wohnzimmerradios zu Hause in Bad Segeberg recht häufig der 'Berliner Rundfunk‘ zum sonntäglichen Frühstück, und schmissiger Agit-Pop von Team4 (Sag mir wo du stehst) verband sich mit glücklichen Kinderstunden. Anfang der siebziger Jahre holte einen der Vater jeden Mittwoch vom Schwimmtraining ab. Auf der dunklen Fahrt nach Haus verfolgten wir dann die ersten 20 Minuten einer DDR-Jugendpopsendung. Seltsam endlos und hippiemäßig, vernebelt oder mit hoher Stimme, vor allem chorbewußt dämmerten Klanggebilde im Lloyd oder Ford dahin. Sei kein Vulkan forderten die Jungs von der Bürkholz-Combo. Der Text kam von Gerulf Pannach.

Beim allwöchentlichen An-die-Ostsee-Familienausflug sang Nina Hagen Du hast den Farbfilm vergessen. Unsterblich verliebten sich damals auch West-Gemüter in ihren entschieden launischen und deshalb schönen Berliner Akzent.

Besteht die Liebe zum DDR-Sound allein aus Nostalgie? Bei ständigem Kreisen in den Musik- erinnerungen bestätigt sich vor allem die Liebe zum Pop. Manchmal burschikos aufmüpfig, gute Laune verbreiten wollend, winken die Pudhys mit ihrem polterigen Geh' zu ihr dem schwellfüßigen Glam der Slade zu. Das Stück zum Plenzdorf-Film Die Legende von Paul und Paula und der Kotelettenrock von Look Wot You Dun klingen schon sehr ähnlich, „hey, hey, hey...“ Doch geklaut wird nicht; umgeschrieben vielleicht. Echte Popveredelung entsteht als freundliche Hommage mit leichtem Augenzwinkern.

Schließlich sind Profis am Werk. Den US- Rock und Britpop hinterherhinkenden West- Deutsch-Musizierenden entsprachen im Osten versierte Staatsmusiker, die von Jazz bis Krenek so ziemlich alles spielen konnten. Auf der Platte blitzt dieses Handwerk in ausufernden, überschwenglichen Arrangements auf, die, viel zu kompliziert für gängige Refrains, Extravaganzen in kleine bescheidene Drei-Minuten-Schlager einbetten. Kaum merkt man den bekifft Beach-Boys-ähnlichen Harmonien im Chorgesang der Klaus-Renft-Combo (Wer die Rose ehrt) die schwierigen Terzschritte an, die Hanns Eisler näher klingen als den künstlichen Visionen liebeshungriger Oberschüler: Psychedelisches im Einklang mit akademischem Idealismus. Und wenn eine Gruppe wie die Horst-Krüger-Band zum großen lyrischen Coup ausholt und Sieben-Minuten-Bilderwelten (Hab mir von der Tagesreise manches mitgebracht) mit Orgeln, Synthesizern und Querflöten ausmalt, dann nur im Sinne von kulturpolitischem Denken und Hippielenken.

Immerhin ist noch Platz für Kapriolen am Rande. Hasch mich, Mädchen von der Gruppe Keks nimmt für die beteiligen Musiker das staatlich genehmigte Recht auf Punk-Rock in Anspruch. Erst spielen sie sich mit ein paar swingenden Bluesschemen warm, bevor auf ein „Achtung, Aufnahme!“-Kommando des Kapellmeisters rotziger Punk folgt.

Sicher, auch die klassischen West-Krachmacher, wie Frieder Butzmann oder der Jazzdrummer F.M. Einheit, haben eine musikalische Vorbildung. Trotzdem war ihre Art, sich Befreiung im Lärm zu verschaffen, Ausdruck eines eher bemühten Anders-Seins. Ost-Rock dagegen klingt selbst in seinem blauäugigsten Kunstgerocke total far out, gerade weil er eine seltsame massenwirksame Fusion von individueller Freiheit und FDJ-Jugendklubgeprüfter Einheitsliturgie darstellt. Im Falle des Songs Nach Süden von Lift heißt das, vom „Abhauen“ singen zu dürfen, aber es „mit den eigenen Flügeln“ nicht zu schaffen. Symbole zählen nicht, Metaphern umso mehr, zumal sie Geschichten transportieren. Man singt vom Reisen.

Der Einschnitt im West-Pop zwischen den siebziger und achtziger Jahren findet sich auch auf dem Sampler wieder. Wo die Naivität und Professionalität der siebziger jedoch mit einer seltsamen Unschuld begeistern, wirkt der später folgende Zielgruppenrock oftmals gekünstelt. Die aufkeimende lockere Führung der Jugend oder auch die Nischenbildung im Untergrund haben am Ende ein Konkurrenzverhalten mit gleichgearteten BRD-Bands aufgemacht, das an die Stelle des lustvollen Imitierens das zielgerichtete Plagiat setzt. Verspätet ahmt André Herzberg (später Pankow) mit seiner Gaukler- Rock-Band nach, womit Nina Hagen und Spliff in der Blüte der NdW ihre Erfolge hatten. Gruppen wie Ornamente&Verbrechen oder Herbst in Peking fehlen, so daß die Sammlung dort abglättet, wo deren Abwege Verbindungen zu den neunziger Jahren herstellen könnten.

Momentan übt sich die „Deutsche Schallplatten“ jedoch im Archivieren. Mehr als zehn weitere Oldieveröffentlichungen folgen dem Sampler bereits in diesen Tagen. Und das alles, obwohl kein zweiter Manfred Krug in Sicht ist.

Rock aus Deutschland (Ost), Vol.1: Weltall Erde Mensch — Deutscher Demokratischer Beat. Gala Classics/Deutsche Schallplatten GmbH, Berlin

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