Triumph aus dem Rückraum

■ Mit der Startnummer 38 schnappte Markus Wasmeier aus Schliersee dem Österreicher Ortlieb den Sieg bei der Weltcup-Abfahrt von Garmisch weg/ Katja Seizinger gewann die Abfahrt von Schruns

Garmisch-Partenkirchen (dpa/ taz) — „Was haben die Deutschen heute auf ihre Skier geschmiert?“, fragte sich der verblüffte Platzsprecher Christian Neureuther. Gerade hatte Markus Wasmeier mit der Startnummer 38 die Bestzeit des Österreichers Patrick Ortlieb, der zwei Stunden zuvor als erster in die Kandahar-Abfahrt gegangen war, um sechs Hundertstel Sekunden unterboten, kurz zuvor war der Oberstdorfer Hansjörg Tauscher mit dem zweitbesten Abfahrtslauf seiner Karriere bis auf sieben Zehntel an Ortlieb herangekommen.

Als sich der 28jährige Wasmeier waghalsig die völlig vereiste Piste hinunterstürzte, die mehr an eine Bobbahn erinnerte als an eine Abfahrtsstrecke, hatte der Österreicher längst alle Gratulationscouren hinter sich. Seit die Fahrer der ersten Startgruppe entweder langsamer oder auf der Strecke geblieben waren, wähnte sich Ortlieb als sicherer Sieger, und auch das österreichische Fernsehen hatte sich nach der Startnummer 30 beruhigt ausgeblendet.

Niemand glaubte, daß nach den schweren Stürzen, die es bis dahin gegeben hatte, noch jemand den Mut aufbringen würde, voll auf Sieg zu fahren — am allerwenigsten die Deutschen, deren Mannschaftskamerad Berni Huber gleich am Anfang in die Schaumstoff-Ballen an der Ausfahrt des steilen Tröglhanges gefahren war, sich einen Bruch des fünften Brustwirbels zugezogen hatte und mit dem Hubschrauber abtransportiert werden mußte. Danach verfehlte der verunsicherte Hannes Zehentner ein Tor, und der österreichische Routinier Leonhard Stock gab lieber mitten im Rennen auf, als sich weiter den Gefahren der tückischen, 3.300 Meter langen Piste auszusetzen. Weniger Weisheit beweisen der Kanadier Rob Boyd, gerade von langer Verletzung genesen, und der Norweger Atle Skaardal. Beide stürzten an derselben Stelle und zogen sich Bänderrisse zu. Skaardal rutschte unter den Schaumstoffballen und einem dahinterstehenden Jägerzaun hindurch in die Zuschauermenge und erlitt einen Kreuzbandriß im linken Knie.

Das Rennen mußte wegen weiterer Stürze immer wieder unterbrochen werden, ging als zeitlich längste Abfahrt in die Weltcup-Geschichte ein, und wenn es nach den Verantwortlichen des Internationalen Skiverbandes (FIS) geht, war dieses Sturzfestival die letzte Kandahar- Abfahrt. Die Strecke sei zu schnell und habe „zu enge Radien“, kritisierten Renndirektor Karl Frehsner und der Sicherheitsbeauftragte Sepp Messner.

Für Wasmeier und Tauscher genau das Richtige. Ein Wundermittel hatten sie zwar nicht auf ihre Bretter geschmiert, aber den Miraculix von Garmisch spielten Trainer Martin Osswald und der Firmen-Rennsportchef. „Der Trainer sagte, auf dem Eis nicht defensiv, sondern aggressiv fahren“, erzählt Tauscher, und der Rennsportchef empfahl einen neuen Ski mit einer neuen Taillierung, womit auch in den spiegelglatten Kurven der Kurs gehalten werden konnte.

„Ich habe gemerkt, daß ich die Kurven saustark fahre“, sagte Markus Wasmeier, der 1985 bei den Weltmeisterschaften in Bormio mit einem Knalleffekt, der Goldmedaille im Riesenslalom, mitten in die Manege des alpinen Skizirkus gehüpft war. Danach war er einige Jahre lang das Aushängeschild des deutschen Männerteams, ein Brustwirbelbruch im japanischen Furano warf ihn 1987 jedoch nachhaltig zurück. „Mir fehlt das nötige Selbstvertrauen, auch dort in der Hocke zu bleiben, wo mir das früher keine Probleme gemacht hätte“, klagte der Schlierseer damals. In Garmisch hatte er bei seinem zweiten Weltcup-Sieg in der Abfahrt nach Wengen 1987 in dieser Hinsicht keine Probleme. „Als Hansjörg Tauscher mit der bis dahin zweitbesten Zeit mit der Startnummer 31 im Ziel war, wußte ich, das ist heute mein Tag. Ich habe alles riskiert.“

Fast noch glücklicher war der 24jährige Tauscher, der nach seinem sensationellen Abfahrtssieg bei der Weltmeisterschaft 1989 in Vail/Colorado wieder in der Versenkung verschwunden war. Vor der aktuellen Saison hatte ihn sogar seine Skifirma vor die Tür gesetzt, weil sie mit ihm „keine Perspektiven mehr“ sah.

Im gestrigen Super-Riesenslalom bestätigten die beiden Deutschen ihre gute Form. Tauscher wurde Fünfter, Wasmeier kam auf den sechsten Rang. Es siegte der Italiener Patrick Holzer vor dem Schweizer Paul Accola .

Weit weniger unerwartet als Wasmeiers Triumph aus dem Rückraum, kam der erste Abfahrtssieg von Katja Seizinger, die im österreichischen Schruns-Tschagguns vor Sabine Ginther (Österreich) gewann, die dafür am Sonntag den Slalom für sich entschied. Die Eberbacherin befindet sich seit Wochen in glänzender Verfassung. „Durch ihren Sieg von Santa Caterina hat sie die Sicherheit. Sie ist so locker drauf“, lobte Abfahrtstrainer Alois Glaner. Der Coach konnte am „Golm“ mit seinem Team sehr zufrieden sein: Fünfte Karin Dedler (Kempten), Rang sechs für Miriam Vogt (Starnberg) und insgesamt acht Läuferinnen des Deutschen Skiverbandes (DSV) unter den schnellsten 17. Im Zielraum bekam Katja Seizinger Gratulationen von allen Seiten, doch sie selbst freute sich lange nicht: „Ich juble lieber zu spät als zu früh“, meinte sie vorsichtig. „Bis Startnummer 35 will ich warten.“ Drei Nummern zu früh, wie sich in Garmisch zeigte, aber die 19jährige kam im Gegensatz zum Kollegen Ortlieb ungeschoren davon. Matti