Umweltpolitische Revolution sofort!

■ „Worldwatch“: Sonst kommt das Ende der Zivilisation/ Ökologische Revolution nicht ohne Entwicklung/ Lebensstil ändern und Politiker anschieben/ 200.000 Krebstote durch Ozonloch

Berlin (taz) — Globale Revolution oder Untergang: Auf diese drastische Formel hat das Washingtoner „Worldwatch-Instituts“ die umweltpolitische Weichenstellung der nächsten Jahre gebracht. Die Zerstörungen der Lebensbedingungen auf der Erde habe ein solches Ausmaß angenommen, daß nur eine „Revolution in der Umweltpolitik“ eine Katastrophe verhindern kann, heißt es in dem am Wochenende veröffentlichten Bericht zur „Lage der Welt 1992“. Worldwatch fordert drastische Schritte, die ähnlich einschneidend sein müßten wie die Einführung der Landwirtschaft vor rund 10.000 Jahren oder die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert.

„Wenn die umweltpolitische Revolution Erfolg haben soll, muß sie innerhalb weniger Jahrzehnte erfolgen“, sagte Worldwatch-Präsident Lester Brown zur Vorstellung des Berichts. Andernfalls sei die Entwicklungsschraube von Zerstörung und Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Brown forderte, auf fossile Brennstoffe wie Kohle oder Öl in Zukunft zu verzichten und statt dessen die Umstellung auf Sonnenenergie durchzusetzen. Die Weltwirtschaft müsse umstrukturiert werden, den armen Ländern Schulden erlassen, die Rüstungsausgaben gekürzt und die Abhängigkeit vom Auto beendet werden. Auch müßten die Familien kleiner werden. Jedes Jahr wachse die Weltbevölkerung um 92 Millionen Menschen.

Die ökologische Revolution sei ohne Entwicklung aber nicht zu haben. In den 40 ärmsten Ländern habe das Einkommen von rund 800 Millionen Menschen im vergangenen Jahrzehnt abgenommen, während reichlich ein Fünftel der Weltbevölkerung weiterhin 85 Prozent der Ressourcen verprasse. Die für jeden verfügbare Menge an Getreide gehe nach US-Studien seit 1984 zurück, überdurchschnittlich in den armen Ländern. Und wer nicht genug zu essen haben, werde sich „kaum um die Klimaerwärmung Sorgen machen“.

Dabei seien auf der Erde noch nie so hohe Durchschnittstemperaturen gemessen worden wie 1990. Und die Ozonschicht über der Nordhalbkugel der Erde schrumpfe zweimal so schnell wie noch vor kurzem angenommen. 200.000 Hautkrebstote zusätzlich seien deshalb allein für die USA in den kommenden 50 Jahren prognostiziert. Im 'American Journal of Public Health‘ zeigten Wissenschaftler, daß Tausende Kinder in Los Angeles wegen der Luftverschmutzung schon mit zehn Jahren chronische Lungenschäden haben. „Und wenn das schon in Los Angeles der Fall ist, was glauben Sie, passiert in Mexiko-Stadt oder Bangkok“, fragte Brown. In der ehemaligen Sowjetunion würden rund 300.000 Menschen gegen Strahlenschäden behandelt.

Ein gestiegenes Umweltbewußtsein der Bevölkerung allein reiche nicht aus. Veränderungen des Lebensstils seien nötig. Weltweit müßten die Menschen ihre Regierungen zu einem Verbot von Einweg-Packungen und einer ökologischen Verkehrspolitik, vor allem aber zu einer aktiven Bevölkerungspolitik drängen. Gesetze und Umweltbehörden in 115 Ländern hätten bislang keine Besserung erreicht. Gefragt, was seiner Ansicht nach geschehe, wenn die Revolution unterbliebe, verwies Brown darauf, daß Gebiete, die vor 2.000 Jahren noch Kornkammern des Römischen Reiches waren, heute Wüste seien.

Das Worldwatch-Institut wird von Stiftungen und der UNO unterstützt. Es gibt den jährlichen Bericht seit 1984 heraus. Hermann-Josef Tenhagen